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# taz.de -- Inflation und Preissteigerung: Die #Dönerflation ist überfällig
> Der Dönerpreis steigt rasant. In Frankfurt wurde die 10-Euro-Schallmauer
> durchbrochen. Bisher wurde der Döner allerdings weit unter Wert verkauft.
Bild: Lecker Döner!
Der Döner kostet jetzt in Frankfurt am Main 10 Euro. In Worten: zehn Euro!
Das berichtet die Frankfurter Neue Presse am Mittwoch mit Verweis auf ein
beliebtes Kebabhaus in der Innenstadt der Mainmetropole.
Es geht da nicht etwa um eine Bankenviertel-Luxusversion mit Trüffelsoße
und aus bestem Biofleisch, sondern um den [1][Döner populare], sprich
irgendetwas vom Tier mit Soße und Salat, Zwiebeln und Tomate im Fladenbrot.
Und das auf die Hand, zum Essen im Stehen. Noch zu Beginn des Jahres
kostete das durchschnittlich 5 Euro. Mit der Inflation wurden es schnell
vielerorts 6, 7 oder 8 Euro – die Dönerpreise stiegen weit schneller noch
als die durchschnittliche Teuerungsrate. Die massiven Preissteigerungen,
die man beim Döner in kürzester Zeit beobachten konnte, sind für viele
Deutsche eine enorme Belastung.
10 Euro, diese Zahl stellt vieles infrage, was über Jahrzehnte
selbstverständlich schien, nicht zuletzt, dass Migrant*innen in
Deutschland für billiges Essen sorgen und sicherstellen, dass sich auch
die, die wenig haben, den Bauch mit einer vollwertigen Mahlzeit
vollschlagen können.
Das sagenhafte Preis-Leistungs-Verhältnis des Döners im Brot war über
Jahrzehnte ein relevanter Beitrag der türkischen Community zur
Aufrechterhaltung des sozialen Friedens hierzulande. Dafür wurde der Döner
im Laufe seiner nunmehr 50-jährigen Geschichte zum beliebtesten Fastfood
der Deutschen – weit abgeschlagen die Brat- oder Currywurst.
## Volksgericht Nummer eins
In Deutschland werden täglich bis zu 550 Tonnen Dönerfleisch konsumiert,
also rund 200.000 Tonnen im Jahr. Jede/r Deutscher/r isst im statistischen
Mittel damit 16 Döner im Jahr. Versorgt werden die Deutschen von rund
18.500 Dönerimbissen mit 80.000 Beschäftigten, was nichts anderes bedeutet,
als dass auf je 4.500 Einwohner ein Dönerimbiss kommt. Und diese
Dönerimbisse machen mehr Umsatz als die zehn größten Player der
Systemgastronomie in Deutschland zusammen, also zum Beispiel McDonald’s,
Burger King, die Nordsee GmbH, Ikea Deutschland, Starbucks oder Mövenpick.
Und weil der Döner das Volksgericht Nummer eins in Deutschland ist, wird
der Inflationsindex heute nicht mehr daran gemessen, was ein Kilogramm
Schweinefleisch kostet oder ein Pfund Butter, sondern daran, wie lange
heute für einen Döner gearbeitet werden muss.
Und wenn Elon Musk auf die Frage, was sein Lieblingsessen in Deutschland
sei, antwortet: „Der Döner!“, dann ist klar: Der Döner gehört inzwischen
zur deutschen Identität. Wie das geschehen konnte, ist schnell erklärt: Die
Deutschen lieben es billig, und sie lieben Riesenportionen von Fleisch. Der
Döner bietet beides.
Bislang.
Natürlich hat die Preissteigerung zum Teil damit zu tun, dass die
Dönerbranche von den steigenden Energiepreisen über Gebühr betroffen ist.
Die Kühlkette von der Produktion bis hin zur Zubereitung am Grill
verbraucht Gas, sehr viel Gas, welches nun knapp und teuer wird.
Die Wahrheit ist jedoch auch: Der 5-Euro-Döner war all die Jahre viel zu
billig. Zu billig für ein Gericht, das gewöhnlich aus sechs bis acht
Komponenten besteht und etwa 150 bis 200 Gramm Fleisch enthält.
## Dönergastro als Ausweg
Der Döner verdankt seinen Erfolg keiner hippen und coolen
Marketingstrategie, sondern schweißtreibender, knallharter Arbeit für
kleines Geld. Über Jahrzehnte bot die Branche den Döner zur Freude der
Konsument*innen weit unter Wert an. Das alles war nur aufgrund einer
enormen Ausbeutung, meist Selbstausbeutung, in den kleinen
Familienbetrieben, den Dönerproduktionsstätten und den Bäckereien für das
Fladenbrot möglich. Hier wurde weit unter den üblichen gewerkschaftlichen
Standards gearbeitet und bezahlt. Über Jahrzehnte funktionierte dieses
System, weil die Dönerbranche oft die einzig verbleibende
Überlebensstrategie war, um Arbeitslosigkeit, dem Verlust des
Aufenthaltsstatus, der Abschiebung [2][oder dem Rassismus] in den Betrieben
zu entgehen. Das galt von den siebziger Jahren bis weit in die nuller Jahre
hinein.
Inzwischen hat sich vieles verändert. Viele Türk*innen sind nun Deutsche,
viele Kinder und Kindeskinder der Gründergeneration sind auch dank des in
der Dönerbranche akkumulierten Kapitals sozial aufgestiegen und verdienen
ihr Geld heute als Journalist*innen, Rechtsanwält*innen, Café- und
Clubbetreiber*innen und vieles andere mehr.
Jenen wiederum, die den Bildungs- und den sozialen Aufstieg nicht geschafft
haben, stehen mit der allgemeinen Ausweitung des Niedriglohnsektors in den
zehner und zwanziger Jahren Alternativen zur körperlich äußerst harten
Arbeit in der Imbissbude zur Verfügung – sei es bei Amazon oder irgendeinem
der anderen Lieferservices.
Die Dönerbranche steht heute unter enormen Kostendruck. Auch
Dönerunternehmer*innen müssen den Mindestlohn bezahlen und um die
knapper werdenden Arbeitskräfte konkurrieren. Dönerproduktionsstätten
werden zunehmend aus Deutschland nach Polen verlagert, wo der Mindestlohn
unter 4 Euro liegt. Und viele Imbissbuden finden längst keine Mitarbeiter
aus der türkischen Community mehr – und keine Fachkräfte, die mit dem
berühmten langen Dönermesser umgehen können.
## Ein Mysterium bleibt unentschlüsselt
Das ist der Grund, weshalb wir vor den Dönerspießen immer mehr Personen,
darunter zunehmend Frauen, antreffen, die mit dem elektrischen Dönermesser
hantieren. Heute arbeiten in vielen Dönerbuden Geflüchtete aus Afghanistan,
Syrien oder anderen Ländern, die sich am unteren Ende in das System
einfädeln müssen.
Ein Mysterium der inflationären Preisentwicklung ist allerdings noch nicht
zur Gänze entschlüsselt: Während der Döner preislich galoppiert, lassen es
die arabische Variante Schawarma sowie Gyros, die griechische Schwester des
Döners aus Schweinefleisch, gemächlicher angehen. Gyros gibt es heute
vielerorts noch für 5 oder 6 Euro und ebenso Schawarma.
Eberhard Seidel ist Autor des Buchs „Döner. Eine türkisch-deutsche
Kulturgeschichte“ (März Verlag, Berlin 2022). Zu sehen und zu hören ist
Seidel am Sonntag in Berlin: „Die große Stadt der kleinen Leute: Döner,
eine türkisch-deutsche Kulturgeschichte“, Veranstaltung um 11 Uhr im Kurt
Mühlenhaupt Museum, Fidicinstraße 40, Berlin-Kreuzberg
9 Nov 2022
## LINKS
[1] /Tuerkisch-deutsche-Kulturgeschichte/!5836223
[2] /Diskriminierung-in-Deutschland/!5871940
## AUTOREN
Eberhard Seidel
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