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# taz.de -- Autorin über Befreiungskampf von Frauen: „Ich nehme eine Veränd…
> Najat El Hachmi stammt aus einer marokkanischen Familie in Spanien. Die
> Autorin über den Befreiungskampf junger Frauen und Leben zwischen den
> Welten.
Bild: Während der Ferien am Strand von Valencia, Spanien
taz am wochenende: Frau El Hachmi, auch in Ihrem neuen Roman „Am Montag
werden sie uns lieben“ geht es um junge Frauen, deren Familien aus Marokko
einwanderten und die in Spanien aufwachsen. Sie hadern mit einem Leben, das
sie mit zwei scheinbar unvereinbarer Welten konfrontiert. Wie viel von
Ihrer eigenen Biografie steckt in Ihren Büchern?
Najat El Hachmi: Es ist nicht unbedingt meine eigene Geschichte, die ich
erzähle. Aber der Kontext, in dem meine Romane stattfinden, ist der, in dem
ich geboren wurde und aufgewachsen bin. Die Probleme, die ich reflektieren
möchte, haben viel mit diesem Kontext zu tun.
Welche Probleme sind das?
Das größte Problem ist, dass diese jungen Frauen nicht frei sind. Das mag
wie ein Klischee klingen. Trotzdem ist es wahr. Denn von ihnen wird häufig
erwartet, dass sie einen Weg einschlagen, der nicht der ist, den sie selbst
wählen würden.
Was beinhaltet dieser Weg?
Viele von ihnen sollen sehr jung heiraten, sollen zu Hause bleiben. Wenn
sie arbeiten wollen, müssen sie in sogenannten anständigen Berufen
arbeiten. Dort, wo sie möglichst keiner Öffentlichkeit ausgesetzt sind. Die
wenigsten dürfen studieren oder sich ihre Ehemänner selbst aussuchen. Und
natürlich können sie sich nicht aussuchen, ob sie Kinder haben wollen oder
nicht, – denn das sei nun mal Teil ihres Schicksals als Frau. Mit all
diesen Problemen wachsen wir auf.
Dem Leben innerhalb der eingewanderten Familie, die weiter an Traditionen
festhält, steht in Ihrem aktuellen Roman das Aufwachsen im Spanien,
präziser im Katalonien der Neunzigerjahre gegenüber. Wie wirkt sich das auf
die jungen Frauen aus?
Wenn man selbst nicht frei ist, aber in einer Gesellschaft lebt, in der es
den Anschein hat, als lebe jede*r andere in Freiheit, dann löst das ein
Gefühl der Isolation aus. Meine Großmütter zum Beispiel wuchsen in
ähnlichen familiären Verhältnissen auf wie ich. Für sie war das aber die
einzige Realität, denn eine andere kannten sie nicht. Sie wussten nicht um
die Möglichkeit, ein ganz anderes Leben führen zu können. Wir aber wachsen
damit auf, Frauen zu sehen, die Dinge tun, die wir nicht tun dürfen. Wir
sehen sie im Fernsehen, sehen sie in Gestalt unserer Freundinnen in der
Schule. Der Balanceakt, unseren Platz zu finden zwischen dem, was wir zu
Hause vorgelebt bekommen und dem, was wir außerhalb sehen, ist immens.
Wie sind Sie selbst in jungen Jahren mit dieser Situation umgegangen?
Wie jedes Kind wollte ich so „normal“ wie möglich sein. Ich habe Strategien
entwickelt, um meine häusliche Situation zu verbergen. Meine Freund*innen
wussten nicht, dass mein Vater mir mit 13 Jahren sagte, ich solle heiraten.
Ich wollte nicht anders sein, wollte dazugehören. Sie wussten auch nicht,
dass mein Vater nicht wollte, dass ich zur Schule ging, geschweige denn
studierte.
Also haben Sie sich geschämt?
Unsere Familien wollen nicht, dass wir diese Geschichten erzählen. Und wir,
die wir Teil einer kleinen Gemeinschaft sind, wollen sie oft auch nicht
erzählen. Es ist nichts, worauf wir stolz sind.
Nun erzählen Sie aber diese Geschichten, haben bereits mehrere Bücher dazu
veröffentlicht …
Weil sie sonst unsichtbar blieben. Das Aufwachsen in zwei parallel
nebeneinander existierenden Gesellschaften bedeutet gerade für junge Frauen
einen Kampf, in dem sie ihre Rechte immer wieder neu verhandeln müssen. Ein
einziger Roman reicht da nicht aus. Es gibt nicht nur die eine Geschichte,
sondern viele unterschiedliche.
Wie reagiert die muslimisch geprägte Gemeinschaft auf Ihre Bücher?
Ich nehme eine Veränderung wahr: Als ich anfing zu schreiben, fühlte ich
mich sehr einsam. Vor 20 Jahren gab es in Spanien kaum Stimmen junger
Muslim*innen. Ich war mir nicht sicher, ob es Menschen geben würde, die
meine Protagonistinnen mögen, sich mit ihnen identifizieren würden.
Mittlerweile gibt es jedoch eine dritte und vierte Generation, die hier
aufwuchsen. Diese Frauen sind, anders als ich, bereits hier geboren. Sie
lesen meine Bücher, kommen zu meinen Lesungen, kontaktieren mich über
Social Media. Und die, die sich sicher genug fühlen, erzählen mir ihre
Geschichten. Das bedeutet mir viel. Ich wusste nie, ob ich mich eines Tages
mit anderen Frauen zusammentun könnte. Es gibt aber auch Kritik aus unserer
traditionellen Gemeinschaft.
Wie äußert sich diese?
Einige versuchen uns zum Schweigen zu bringen. Ich kenne viele Frauen, die
in sozialen Medien angefeindet werden. Sie erhalten Hassbotschaften einfach
nur, weil sie über ihre Lebensrealität sprechen.
Ihr aktueller Roman legt einen Fokus auch auf den weiblichen Körper. Ihre
Protagonistin hadert mit ihrer aufkeimenden Sexualität. Sie ist neugierig,
hat aber einen geradezu verstörenden Hass auf den eigenen Körper.
Die weibliche Sexualität ist für mich wie der berühmte Elefant im Raum. Wir
lernen kaum, darüber zu sprechen, und doch dreht sich so viel darum. Ich
bin in einer Umgebung aufgewachsen, in der die Körper von Frauen andauernd
kontrolliert werden. Uns wurde vorgeschrieben, wie wir uns zu kleiden, wie
wir zu sitzen und zu gehen haben. Es gibt so viele Regeln rund um unsere
Körper, die vor allem den Zweck haben, ihn uns zu entfremden. Um den
eigenen Körper zurückzuerobern, sich als Ganzes zu fühlen, bedarf es sehr
viel Arbeit.
„Am Montag werden sie uns lieben“, der Titel bezieht sich auf Listen, die
Ihre Protagonistin anfertigt. Listen, die mit einem Optimierungsgedanken
verbunden sind. Anhand deren Abarbeitung sie hofft, endlich geliebt zu
werden. Wird dieser Montag jemals kommen?
Natürlich nicht. Denn sie glaubt an die falsche Prämisse: geliebt zu
werden, wenn sie perfekt ist. Um das zu erreichen, muss sie in allem besser
werden. Doch dass sie nicht geliebt wird, hat nichts mit einer
vermeintlichen Unvollkommenheit zu tun.
Sondern?
Sie glaubt, dass alles besser würde, wenn sie aus den patriarchalen
Strukturen des familiären Umfelds ausbricht. Dass sie endlich die Frau sein
kann, die sie sein will. Nur um festzustellen, dass auch die westliche Welt
von Misogynie durchzogen ist, dass auch dort das Patriarchat herrscht. Mit
anderen Regeln zwar, aber dennoch weit von wirklicher Gleichberechtigung
entfernt.
So kommt es, dass Ihre Protagonistin und deren Freundin, obwohl sie alles
anders machen wollten als ihre Eltern, doch wieder in traditionellen
Familienkonstrukten landen. Mit Männern, die weniger emanzipiert sind als
anfangs gedacht.
Beide suchen sich Männer aus, von denen sie zunächst denken, dass sie ihre
Sichtweise teilen und auch für Gleichberechtigung in der Beziehung sind.
Doch das verändert sich schnell, als der soziale Druck von außen wächst,
der von ihnen erwartet, sich traditionellen Männlichkeitsbildern zu fügen.
Dagegen [1][kämpfen viele Männer nicht genug an]. Die Not scheint für sie
nicht groß genug zu sein. Für Frauen gibt es im Feminismus viel zu
gewinnen, für Männer auf den ersten Blick nicht. Sie gehen davon aus, dass
sie ihre Privilegien verlieren, was auch erklärt, warum Antifeminismus
überall erstarkt. Dabei profitieren Männer ja auch vom Feminismus, wenn
Erwartungen und Druck besser aufgeteilt würden. Leider lastet aber die
Verantwortung, für eine gleichberechtigtere Welt zu kämpfen, weiter vor
allem auf Frauen.
Wie auch bei den Protesten in Iran gerade zu beobachten ist.
Die Zustände in Iran zeigen, wie weit wir noch von einer gerechten Welt
entfernt sind. Aber wenn ich etwas aus der Geschichte des Feminismus
gelernt habe, ist es, dass es zwar ein langer Weg ist, aber einer, der es
wert ist, ihn Schritt für Schritt zu gehen.
31 Oct 2022
## LINKS
[1] /Roman-Die-Wunder-von-Elena-Medel/!5885490
## AUTOREN
Sophia Zessnik
## TAGS
Interview
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Feminismus
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Schwerpunkt Iran
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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