Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Iranische Studierende in Deutschland: „Wie soll ich mich konzentr…
> Die Proteste in ihrer Heimat nehmen iranische Studierende auch in
> Deutschland mit. Vier von ihnen berichten, wie sie mit der Situation
> umgehen.
Bild: Oktober 2022: In Teheran nehmen Frauen ihre Kopftücher aus Protest gegen…
## Mayar: „Die Wut kann ich nirgendwo loswerden“
In den letzten ein, zwei Monaten habe ich am Tag 17 bis 18 Stunden am Handy
verbracht. Geschlafen habe ich immer nur vier oder fünf Stunden. Wenn ich
nicht schlafe, sitze ich am Handy oder Laptop, verfolge die Nachrichten und
versuche, sie zu teilen. Auf der Arbeit denke ich ständig an den Iran. Ich
bin überhaupt nicht produktiv. Wie sollte es anders sein, wenn deine engen
Freunde in Haft sitzen oder auf der Straße ihr Leben riskieren? Wenn du
nicht weißt, ob sie abends wieder nach Hause kommen. Wie sollst du dich da
auf Arbeit oder Studium konzentrieren? Ich hätte mir gewünscht, dass meine
Universität, mein Arbeitgeber die Lage besser verstünden. Ich merke, dass
ich in den letzten Wochen immer wütender geworden bin. Vor allem von der
Haltung der deutschen Universitäten bin ich enttäuscht. Zu selten beziehen
sie Stellung. Das muss sich ändern.
Dieser Aufstand braucht internationale Solidarität. Als Iraner in
Deutschland bin ich viertausend Kilometer von den Geschehnissen vor Ort
entfernt und kann wenig Einfluss auf ihren Lauf nehmen. Die Wut auf das
Unterdrückungssystem in meiner Heimat kann ich nirgendwo loswerden. Das ist
frustrierend. Ich kann diese Wut nicht auf die Straße bringen und in einen
wirksamen Protest gegen das Regime umwandeln. So geht es vielen, die die
Lage aus der Ferne verfolgen. Gleichzeitig bin ich beeindruckt, wie mutig
sich die jetzige Generation im Iran gegen das Regime stellt. Das gibt
allen, die wie ich in einer freien Welt leben, eine Verantwortung: Wir
müssen die Stimme der Protestierenden weitergeben.
Mahyar Mohammadi, 20 Jahre alt, studiert Jura an der Universität Bonn
## Shiba: „Nachrichten vom Missbrauch politischer Gefangener sind mein
Alltag geworden“
Ich bin stolz auf die iranischen Frauen, auf ihren Mut. Sie sind bereit,
für die Freiheit den höchsten Preis zu bezahlen: ihr Leben. Als junge
Iranerin im Ausland, die mit ein bisschen Abstand auf ihr Land schaut, sehe
ich eine Gesellschaft, die sich nach Freiheit sehnt. In unserer Region, im
Nahen Osten, wo die Frauenrechte historisch unterdrückt werden, rufen
Leute: „Frau – Leben – Freiheit“. Die Iraner*innen wollen ein Land, in
dem Frauen und Männer gleichberechtigt sind, in dem auch Minderheitenrechte
gesichert sind und in dem niemand wegen seiner Kleidung ermordet wird. Die
neue Generation will ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen. Als eine, die
in einem freien Land gelebt hat, in Deutschland, weiß ich diese Sehnsucht
zu schätzen.
Diesmal ist es anders als in der Vergangenheit: Die Proteste sind sehr
breit und haben das ganze Regime ins Visier genommen – daher nenne ich sie
eine Revolution. Der Auslöser ist nicht der Tod einer Frau, sondern die
systematische Diskriminierung. Es ist klar, dass die Lösung nur der Sturz
des Regimes sein kann.
Mir fällt es schwer, Menschen, die ihr ganzes Leben in Demokratie gelebt
haben, zu erzählen, wie es mir derzeit geht. Wie mein Alltag aussieht. Seit
Wochen ist das Erste, was ich nach dem Aufwachen mache, Nachrichten zu
checken. Wenn ich überhaupt schlafe. Viele Nächte sind von krassen
Nachrichten geprägt, sodass ich gar nicht einschlafen kann. Ständig
bekommen wir Nachrichten von Ermordungen, schauen wir uns schmerzhafte
Videos von unschuldigen Menschen an, die ermordet oder verletzt werden.
Nachrichten von sexuellem und körperlichem Missbrauch politischer
Gefangener sind mein Alltag geworden. Gleichzeitig versuche ich, mich zu
engagieren, auf Demos zu gehen und einen Beitrag zu leisten, damit die Welt
mitbekommt, was im Iran geschieht.
Menschen stehen mit leeren Händen bewaffneten Sicherheitskräften gegenüber.
Trotzdem habe ich große Hoffnung. Der zivile Ungehorsam ist sehr effektiv
und die Menschen glauben, dass sie die Diktatur stürzen können.
Was mich enttäuscht, ist, wie die iranische Revolution in Deutschland
wahrgenommen wird. Durch die Propaganda der Islamischen Republik hat man im
Westen zum Teil geglaubt, dass der Zwangs-Hidschab Teil unserer Kultur sei.
Mich stört, dass die Solidarität der Universitäten und Studierenden mit den
ukrainischen Bürger*innen sehr viel stärker ist als mit den
Iraner*innen.
Shiba Zare, 24 Jahre alt, studiert Chemie in Bremen
## Paria: „Ich bin einerseits froh, andererseits tut es so unfassbar weh“
Die Entwicklungen im Iran muss man als eine Revolution anerkennen, es geht
um mehr als einen Protest. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass
demonstrierende Frauen im Iran auf offener Straße ihre Kopftücher ablegen
und sie in der Luft schwenken. Es hat sich etwas ganz grundsätzlich
geändert und es gibt kein Zurück.
Ich habe immer noch gemischte Gefühle. Einerseits denke ich, dass ich hier
im Ausland effektiver für die Revolution sein kann als vor Ort.
Gleichzeitig gibt es einen Teil von mir, der gerne im Iran wäre. Insgesamt
fühle ich mich durch die Ereignisse der vergangenen Wochen noch verbundener
mit meiner Heimat.
Wegen der Mullahs habe ich in Deutschland bisher immer eine Art Scham
empfunden: Wenn mich jemand fragte, wo ich herkomme, versuchte ich, der
Frage auszuweichen. Ich wollte nicht mit Mullahs, mit dem, was das Regime
angestellt hat, assoziiert werden. Jetzt sieht die Welt den Mut iranischer
Frauen und kapiert endlich, dass man die iranische Bevölkerung vom
iranischen Staat trennen muss.
24 Jahre lang gab es vergebliche Versuche, das Regime zu reformieren. Jetzt
ist endlich die Zeit gekommen; endlich steht eine grundlegende Veränderung
bevor: der Sturz der Mullahs. Ich bin einerseits froh, dass diese
Revolution weitergeht, andererseits tut es so unfassbar weh, dass so viele
Menschen sterben. Ich wünschte so sehr, dass am Tag der Freiheit diese
Toten wieder zum Leben erweckt werden könnten.
In Deutschland fürchten einige, dass eine Revolution im Iran zu einer
weiteren „Flüchtlingswelle“ führen würde. Die deutsche Gesellschaft spri…
den Iraner*innen und anderen Menschen aus dem Nahen Osten die Fähigkeit
ab, demokratische politische Änderungen vorantreiben zu können, und
versteht alle Entwicklungen in Bezug auf sich selbst. Es ist für mich eine
Art Rassismus.
Zwar hat sich einiges geändert im Laufe der letzten Wochen. Die Diversität
der iranischen Gesellschaft wird in Deutschland allmählich anerkannt. Uns
wird langsam der Raum gewährt, über das Problem des politischen Islams zu
sprechen. Dennoch traut uns die Mehrheitsgesellschaft in Deutschland immer
noch nicht zu, dass wir unser Schicksal selbst bestimmen können. An den
Universitäten wird das Thema weiterhin nicht ernsthaft thematisiert. Das
liegt auch daran, dass man die Studierenden of Color grundsätzlich nicht
ernst nimmt, wenn es um Politik geht. Studierenden of Color wird in der
Regel kein Raum gegeben, sich zu äußern. Die deutschen Unis sind zwar
divers, voller ausländischer Studierenden, doch sie sind unsichtbar.
Auch auf persönlicher Ebene hätte ich mehr von meinen deutschen
Freund*innen und Bekannten erwartet. Sie begreifen unseren Schmerz
anscheinend nicht, sonst hätte ich mehr Nachrichten und Anrufe bekommen,
mehr Trostbotschaften.
Paria Pajouhi, 28 Jahre alt, studiert Nanotechnologie an der Universität
Hannover
## Farshid: „Diese Revolution hat mein Leben auf allen Ebenen beeinflusst“
Die Islamische Republik basiert auf Diskriminierung gegen alle
Minderheiten. Ethnisch, religiös, aber vor allem gegen die größte
Minderheit des Landes, die eigentlich die Hälfte der Bevölkerung ausmacht:
Frauen. Ich bin stolz, dass sich die Iraner*innen bei diesen Protesten
einen Ruf für den Kampf um Frauenrechte erworben haben.
Diese Proteste, oder meiner Meinung nach: diese Revolution hat mein Leben
auf allen Ebenen beeinflusst: Wegen der Stimmung, wegen
Konzentrationsschwäche, musste ich zwei Prüfungen in der letzten
Septemberwoche verschieben. Auch beruflich kann ich meine Arbeitszeiten
nicht erfüllen. Ich bekomme von der Universität professionelle Hilfe, um
meine psychische Drucksituation unter Kontrolle zu bekommen.
Ich setze viel Hoffnung auf die Revolution, aus mehreren Gründen: Der
Auslöser der Revolution war die Unterdrückung der Frauen, das ist anders
als zum Beispiel bei Protesten gegen hohe Inflationsraten. Die Proteste
dauern schon jetzt länger als je zuvor, sie nehmen sogar zu, und das der
staatlichen Gewalt zum Trotz.
Auch die internationale Solidarität ist einzigartig. Ich finde, die
deutschen Universitäten haben ihre Solidarität gezeigt, durch ihre
Instagram-Seiten zum Beispiel. Die Universitäten sind sehr international.
Und so macht diese Solidarität wiederum diejenigen aufmerksam, die bisher
nicht viel über die Lage im Iran gehört hatten.
Farshid (anonym), 26 Jahre alt, Masterstudent in Magdeburg
9 Nov 2022
## AUTOREN
Omid Rezaee
## TAGS
Proteste in Iran
Studium
Bildung
Revolution
Proteste in Iran
Proteste in Iran
Proteste in Iran
Protest
Proteste in Iran
Ausstellung
Wochenkommentar
Proteste in Iran
Interview
## ARTIKEL ZUM THEMA
Anthropologin über Feminismus in Iran: „Sie politisieren unseren Lippenstift…
Viele Iranerinnen unterstützten 1979 die Revolution, heute unterdrückt sie
das Regime. Mode war und ist Teil des Widerstands, sagt die Anthropologin
Homa Hoodfar.
Journalismus in Iran: Frauen an vorderster Front
Zwei iranischen Journalistinnen droht die Todesstrafe. 15 von 34 derzeit
inhaftierten Medienschaffenden sind weiblich – so viele wie noch nie.
Protokoll einer Gefangenen in Iran: „Die Agenten verbanden mir die Augen“
In Iran geht das Regime weiter gewaltsam gegen jeglichen Protest vor. Eine
Iranerin schildert, wie sie tagelang verhört wurde – ein Protokoll.
Solidarität mit Protestierenden in Iran: Da muss mehr gehen
Ja, im Oktober waren beeindruckende 80.000 Menschen in Berlin auf der
Straße. Doch es braucht noch mehr Solidarität.
Reaktion auf Gewalt gegen Protestierende: Weiter Streit um Iran-Politik
Die Bundesregierung drängt auf neue Sanktionen gegen den Iran. Opposition
und Abgeordnete der Ampelparteien kritisieren das als zu zögerlich.
Ausstellung von Farkondeh Shahroudi: An Grenzen kratzen
Schrift, Zeichnung und Skulptur verbinden sich bei der Berliner Künstlerin
Farkondeh Shahroudi. Im Kupferstichkabinett wird sie vorgestellt.
Angriff auf Mahnwache vor Iran-Botschaft: Fatales Signal
Während des Angriffs will die Berliner Polizei alles richtig gemacht haben.
Doch die Attacke zeigt: Nicht mal im Ausland sind Exiliraner sicher.
Journalist über Medien in Iran: „Besorgniserregende Berichte“
Journalist*innen in Iran werden zensiert, verhaftet, gefoltert. Sherif
Mansour von der Presserechts-NGO CPJ fordert internationale Untersuchungen.
Autorin über Befreiungskampf von Frauen: „Ich nehme eine Veränderung wahr�…
Najat El Hachmi stammt aus einer marokkanischen Familie in Spanien. Die
Autorin über den Befreiungskampf junger Frauen und Leben zwischen den
Welten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.