# taz.de -- Journalist über Medien in Iran: „Besorgniserregende Berichte“ | |
> Journalist*innen in Iran werden zensiert, verhaftet, gefoltert. | |
> Sherif Mansour von der Presserechts-NGO CPJ fordert internationale | |
> Untersuchungen. | |
Bild: Ein Leser der Zeitung Hammihan in Teheran am 30. Oktober 2022 | |
taz: Herr Mansour, CPJ veröffentlichte Ende September einen Bericht, dass | |
28 Journalisten in Iran verhaftet worden seien. Wie hat sich diese Zahl | |
seitdem verändert? | |
Sherif Mansour: Die Zahl derer, die verhaftet wurden, ist [1][mittlerweile | |
auf 46 gestiegen]. Darunter ist auch [2][Niloofar Hamedi], die für das | |
Medium Sharq, das der politischen Fraktion der Reformer nahesteht, | |
arbeitete. Sie war diejenige, die den Fall Mahsa „Jina“ Aminis öffentlich | |
machte, als sie ein Bild teilte, das Aminis Eltern weinend vor dem | |
Krankenhaus in Teheran zeigte, in dem ihre Tochter im Koma lag. Mindestens | |
neun Personen wurden zwischenzeitlich wieder freigelassen. Die aktuelle | |
Zahl der in Haft Sitzenden liegt unseren Informationen nach bei 35. Die | |
meisten wurden nicht bei Protesten verhaftet, sondern in ihren Wohnungen. | |
[3][Niloofar Hamedi und einer weiteren Journalistin wird nun vorgeworfen], | |
sie seien ausländische Agenten, ihnen könnte die Todesstrafe drohen. Ist | |
das eine typische Methode des Regimes? | |
Die iranische Regierung hat seit 2009, als die „Grüne Revolution“ | |
stattfand, verschiedene Verschwörungstheorien – etwa, dass der Westen Iran | |
spalten wolle – bemüht, um Anti-Regierungs-Proteste zu begründen. Der | |
nächste Schritt sind dann erzwungene Geständnisse: Journalisten werden | |
gefoltert und bedroht, bis sie vor einer Kamera erscheinen, wo sie | |
angebliche Verbrechen gestehen. So ging das Regime etwa gegen [4][Ruhollah | |
Zam] vor. Er wurde 2019 aus dem Irak entführt, der Zusammenarbeit mit | |
westlichen Geheimdiensten bezichtigt, „gestand“ diese schließlich und wurde | |
hingerichtet. | |
Welchen weiteren Gefahren sind die Festgenommenen ausgesetzt? | |
Einige der Journalisten wurden unter Anwendung von Gewalt festgenommen und | |
sitzen in für Missbrauch bekannten Gefängnissen ein. Wir wissen, dass | |
zumindest einige von ihnen in Einzelhaft im berüchtigten Evin-Gefängnis | |
festgehalten werden. Dort sind in der Vergangenheit auch Journalisten | |
gestorben: Etwa die [5][kanadisch-iranische Fotojournalisti]n Zarah Kazemi | |
im Jahr 2003. Sie wurde festgenommen, nachdem sie Bilder von Familien | |
aufgenommen hatte, die vor dem Evin-Gefängnis gegen die Haft ihrer dort | |
einsitzenden Verwandten protestierten. Wahrscheinlich wurde sie dort | |
gefoltert und vergewaltigt. Im Jahr 2012 starb dort [6][Sattar Beheshti], | |
ein Blogger, der auf Facebook die Islamische Republik kritisiert hatte. Wir | |
hoffen, dass es diesmal nicht so weit kommen wird, aber uns erreichen | |
besorgniserregende Berichte: Über Journalist:innen, auf die während der | |
[7][jüngsten Gefängnisunruhen] geschossen wurde, und über einige, die | |
geschlagen oder in Einzelhaft gesteckt wurden. | |
Welche weiteren Maßnahmen ergreift das Regime? | |
Einige Journalisten wurden bei den jüngsten Vorfällen verletzt, unter | |
anderem durch Schüsse der Regimekräfte. Die Regierung versucht so, die | |
Berichterstattung über die Proteste zu zensieren. Sie versucht außerdem, | |
mit einer landesweiten Unterbrechung des Internets durchzusetzen, dass | |
Informationen aus Iran nicht nach außen dringen können. Iran ist eines der | |
am stärksten zensierenden Länder der Welt, und das schon seit 2009, als die | |
„Grüne Revolution“ ausbrach. Es wird kontrolliert, wer in das Land einreist | |
und wer es verlässt. Unter iranischen Journalist:innen haben diese | |
Maßnahmen bereits dazu geführt, dass sie das Land verlassen, um | |
Verhaftungen oder Repressalien zu umgehen. Alleine während und in den | |
beiden Jahren nach der „Grünen Revolution“ haben wir [8][mehr als 100 | |
Journalisten geholfen], ins Exil zu fliehen. | |
Wie schaffen es Journalist:innen in Iran, überhaupt noch zu berichten? | |
Die Maßnahmen der Regierung sind nicht neu, auch 2009 ging sie ähnlich vor. | |
Viele haben daher gelernt, die Zensur zu umgehen. Ein Beispiel: | |
[9][Mohammad Mosaed], dem 2020 der Internationale Preis für Pressefreiheit | |
von CPJ verliehen wurde. Er hat es geschafft, über die Covidpandemie in | |
Iran zu berichten, obwohl die Regierung versucht hatte, das mit einer | |
Unterbrechung des Internets zu unterbinden. Auf Twitter berichtete er, dass | |
er dafür [10][über 40 verschiedene Umgehungstools] habe nutzen müssen. Auch | |
jetzt versucht das Regime, oppositionelle Medien einzuschränken und zu | |
verfolgen. Es wurden zum Beispiel [11][Sanktionen gegen BBC Persia] und den | |
TV-Sender Iran International, der in Großbritannien sitzt, verhängt – so | |
soll die Zusammenarbeit lokaler Journalisten mit diesen Sendern | |
kriminalisiert werden. Die unabhängige Medienszene in Iran ist im | |
Allgemeinen sehr begrenzt, die meisten Menschen verlassen sich auf soziale | |
Medien, um kritische Informationen zu erhalten. | |
Wie berichtet das iranische staatliche Fernsehen über die Proteste? | |
[12][Sie schieben die Schuld] für die Proteste auf externe Akteure, etwa | |
die USA, ohne über die Gründe zu berichten, warum diese Proteste seit | |
September täglich stattfinden und bis zum heutigen Tag andauern. Das Regime | |
hat nicht verstanden, dass die Unterdrückung von Dissens nur zu mehr | |
Dissens im Allgemeinen führen kann. | |
Was könnten die westlichen Staaten tun, um iranische Journalist:innen | |
zu unterstützen? | |
Das Wichtigste ist, dass Möglichkeiten geschaffen werden, mit denen | |
Iraner:innen die Unterbrechung des Internets umgehen können, etwa indem | |
sie sich über Satellit mit dem Netz verbinden, zum Beispiel [13][über | |
Technologie des US-Unternehmens Starlink]. Es muss zudem Möglichkeiten für | |
Journalist:innen geben, zu fliehen oder ins Exil zu gehen, wir müssen | |
Iraner:innen einen sicheren Hafen gewähren. Außerdem fordern wir, dass | |
die Regierung des Iran die festgenommenen Journalist:innen freilässt | |
und während der Haft würdig behandelt. Und wir fordern weiterhin | |
Menschenrechtsgremien wie den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen auf, | |
Untersuchungen durchzuführen und die Verantwortlichen für | |
Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen. | |
2 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://cpj.org/2022/09/names-of-journalists-arrested-in-irans-anti-state-p… | |
[2] https://www.reuters.com/article/iran-femmes-hamedi-idFRKBN2R70BJ | |
[3] https://www.iranintl.com/en/202210281987 | |
[4] https://cpj.org/data/people/roohollah-zam/ | |
[5] https://english.alarabiya.net/features/2020/07/11/How-Iranian-Canadian-phot… | |
[6] https://www.theguardian.com/world/2012/nov/08/iran-accused-torturing-blogge… | |
[7] https://www.derstandard.de/story/2000140012313/brand-in-teherans-beruechtig… | |
[8] https://cpj.org/reports/2011/06/journalists-in-exile-2011-iran-cuba-drive-o… | |
[9] https://cpj.org/2020/02/iranian-authorities-detain-journalist-mohammad-mos/ | |
[10] https://cpj.org/2019/11/iranian-authorities-arrest-journalist-mohammad-mos/ | |
[11] https://www.al-monitor.com/originals/2022/10/iran-sanctions-bbc-persian | |
[12] https://www.bbc.com/news/av/world-middle-east-63258084 | |
[13] https://www.derstandard.de/story/2000140215860/starlink-installation-im-ir… | |
## AUTOREN | |
Lisa Schneider | |
## TAGS | |
Proteste in Iran | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Schwerpunkt Iran | |
Folter | |
Zensur | |
GNS | |
Proteste in Iran | |
Frauenrechte | |
Wochenkommentar | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Proteste in Iran | |
Proteste in Iran | |
Internet | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Iranische Studierende in Deutschland: „Wie soll ich mich konzentrieren?“ | |
Die Proteste in ihrer Heimat nehmen iranische Studierende auch in | |
Deutschland mit. Vier von ihnen berichten, wie sie mit der Situation | |
umgehen. | |
Petition der Woche: „Olaf, das können wir besser!“ | |
Das Regime in Teheran ermordet und unterdrückt weiterhin Frauen. Eine | |
Petition fordert deshalb eine Kehrtwende in der deutschen Iran-Politik. | |
Angriff auf Mahnwache vor Iran-Botschaft: Fatales Signal | |
Während des Angriffs will die Berliner Polizei alles richtig gemacht haben. | |
Doch die Attacke zeigt: Nicht mal im Ausland sind Exiliraner sicher. | |
Journalist Pablo González: In polnischer Isolationshaft | |
Dem spanisch-russischen Journalisten Pablo González wird seit Ende Februar | |
Spionage im Dienste Russlands vorgeworfen. Beweise gibt es keine. | |
Iran sanktioniert europäische Medien: Teheraner Drohgebärde | |
Iran setzt europäische Journalist*innen auf eine Sanktionsliste – auch | |
die Farsi-Redaktion der Deutschen Welle. Doch die gibt sich unbeeindruckt. | |
Iranische Tarnfirmen in Deutschland: Die Iran-Connection von Meerbusch | |
Eine iranische IT-Firma hilft in Iran bei der Internet-Abschottung. Ihr | |
Ableger in Deutschland hilft, die US-Sanktionen zu vermeiden. | |
NetBlocks-Gründer über Internet im Iran: „Es kommt zum Informationsvakuum“ | |
In Iran hat das Regime den Zugang zum Internet eingeschränkt. Alp Toker | |
erklärt, wie das funktioniert und welche Alternativen die Menschen haben. |