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# taz.de -- Journalist Pablo González: In polnischer Isolationshaft
> Dem spanisch-russischen Journalisten Pablo González wird seit Ende
> Februar Spionage im Dienste Russlands vorgeworfen. Beweise gibt es keine.
Bild: Oihana Goiriena, die Frau von Pablo González, zeigt ein Foto von ihm auf…
Es ist ein Albtraum. Ohiana Goiriena liest aus den Briefen ihres Mannes in
einer Videokonferenz mit der taz vor: „Ich kann die Zelle nur zum Hofgang,
fürs Fitnessstudio oder zu r täglichen Durchsuchung verlassen. Ich bin im
Durchschnitt etwa 23 Stunden pro Tag eingesperrt“. So beschreibt Pablo
González seiner Frau den Alltag in der Haftanstalt Radom in Polen –
eineinhalb Autostunden südlich der Hauptstadt Warschau. „Jedes Mal, wenn
ich raus gehe, bin ich mit Handschellen gefesselt. Das Fenster lässt sich
nicht öffnen, es ist durchscheinend, nicht durchsichtig. Alles ist voller
Kameras“, schreibt der 40-Jährige in einem der sechs Briefe an seine
Ehefrau Ohiana, die die Gefängnisverwaltung bisher durchließ. „Mehr Details
will ich nicht erzählen. Belassen wir es dabei, wegen der Kinder“, fügt er
hinzu.
Auch wenn die Haftbedingungen danach aussehen, González wird weder des
Terrorismus verdächtigt noch des organisierten Verbrechens. Der Mann aus
dem Baskenland ist selbstständiger Journalist. Er arbeitete neben dem
spanischen TV-Sender La Sexta, der Online-Zeitung Público und dem
baskischen Blatt Gara auch für [1][die Deutsche Welle] und
lateinamerikanische Medien. Er berichtete zuerst in der Ukraine und dann an
der Grenze zu Polen, als Ende Februar [2][nach dem russischen Angriff
Zehntausende von Flüchtlingen] ankamen.
González wurde zweimal verhaftet. Zuerst am 4. Februar dieses Jahres in der
Ukraine und dann am 28. Februar in Polen durch Agenten des polnischen
Inlandsgeheimdienstes ABW wegen „Aktionen gegen den polnischen Staat“.
Seither saß er zuerst in Rzeszów, und nun sitzt er ohne offizielle Anklage
in Radom ein. Zweimal wurde die U-Haft bisher verlängert, das letzte Mal im
August bis zum 25. November. González wird Spionage im Dienste Russlands
vorgeworfen. Beweise gibt es keine, und die Indizien sind mehr als
fragwürdig.
Eine mögliche Begründung für González’ Verhaftung: Bei seiner Verhaftung
hatte González – neben seinem spanischen Pass – russische Ausweispapiere
auf den Namen Pavel Rubtsov bei sich. Pablo González wurde 1982 in Moskau
geboren und verfügt über die doppelte Staatsangehörigkeit. Seine Mutter,
eine gebürtige González, ist die Tochter eines sogenannten „Kriegskindes“
aus Spanien. Diese Kinder wurden einst vor dem Franco-Putsch in die
Sowjetunion in Sicherheit gebracht. Als die Sowjetunion zusammenbrach,
kamen viele Kriegskinder und deren Nachfahren zurück nach Spanien, so auch
Frau González mit ihrem Sohn. Aus Pavel Rubtsov – mit dem Nachnamen des
Vaters – wurde auf dem spanischen Amt Pablo González – mit dem Mädchennam…
der Mutter.
## 350 Euro aus Russland
Ein anderes Indiz, das aus Sicht der polnischen Behörden den Journalisten
der Spionage verdächtig machen soll: González erhielt eine monatliche
Überweisung von 350 Euro aus Russland. „Sein Vater hat in Moskau eine
Wohnung vermietet und unterstützt uns mit einem Teil der Einnahmen. Deshalb
hat er auch zwei russische Kreditkarten“, erklärt Ehefrau Goiriena der taz.
Seit acht Monaten versucht sie ihren drei Kindern zu erklären, warum all
das mit ihrem Vater geschieht.
Seit [3][der Besetzung der Krim durch Russland] war für González der
Ukraine-Konflikt sein Thema. Er hat in Spanien Slawistik und Journalismus
studiert und reiste immer wieder in den Donbas, den Russland inzwischen
auch annektiert hat. „Er arbeitete auf beiden Seiten des Konflikts und
setzte sich dabei zwischen alle Stühle“, weiß Goiriena. Bei den
pro-russischen Milizen galt González als zu westlich, den Ukrainern als
Freund Putins. Am 4. Februar wurde er von der ukrainischen Polizei
festgenommen und verhört. Erstmals stand der Verdacht der Spionage für
Russland im Raum. Dann kam er frei. Tage später fuhr er an die östliche
polnische Grenze, bis er wenige Tage nach dem [4][Einmarsch der russischen
Truppen in die Ukraine] am 28. Februar inhaftiert wurde.
## „Schon länger überwacht“
Nur vier Tage nach dem Verhör von González in der Ukraine besuchten acht
Männer des spanischen Geheimdiensts CNI das 250-Einwohner-Dorf Nabarniz in
den baskischen Bergen. Es liegt zwischen Bilbao und San Sebastian. Dort
leben Goiriena und González. „Sie befragten mich eine Stunde lang und
ließen keinen Zweifel daran, dass wir schon länger überwacht werden“, sagt
Goiriena. Auch bei der Mutter von González in Barcelona tauchten die
Geheimdienstmänner auf. Die spanische Verteidigungsministerin Margarita
Robles bestätigte „die Besuche“ des CNI gegenüber der Presse, wollte aber
keine weiteren Einzelheiten preisgeben.
Goiriena macht sich Sorgen: In den letzten beiden Briefen wirke ihr Mann
weniger kämpferisch, deprimierter, sagt sie. Er habe 20 Kilo abgenommen.
„Hier in Spanien werden selbst Gefangene aus der Separatistenorganisation
ETA besser behandelt als Pablo in Polen“, sagt Goiriena. González ist
weitgehend isoliert. Sie selbst durfte ihren Mann bisher nicht besuchen und
der spanische Konsul wurde nur viermal in acht Monaten durchgelassen. Der
polnische Pflichtverteidiger antwortet auf die Fragen von Goiriena nur
wortkarg und spät. Mit der Presse spricht er überhaupt nicht. Auf mehrere
Telefon- und Telegram-Anfragen der taz reagierte González' polnischer
Verteidiger auch nicht.
## Gebunden an Argumentation
Mit einem Video auf Twitter hat Goiriena im Juli den spanischen
Ministerpräsidenten Pedro Sánchez gebeten, beim polnischen Präsidenten für
ihren Mann zu intervenieren. Wenige Stunden später wird Sánchez bei einer
gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem polnischen Amtskollegen in Warschau
von einer spanischen Journalistin darauf angesprochen. Er entgegnet: „Wir
respektieren die Rechtsstaatlichkeit und die polnische Justiz.“
Für Spaniens Haltung gibt es einen Grund: Madrid hat nach dem
Unabhängigkeitsreferendum 2017 immer wieder die Inhaftierung katalanischer
Politiker als „interne Angelegenheit“ bezeichnet, um eine internationale
Einmischung zu vermeiden. An diese Argumentation fühlt es sich nun offenbar
gebunden.
## „Schwerste Menschenrechtsverletzungen“
Der spanische Anwalt Gonzalo Boye, der von González ausgesucht wurde, wird
bis heute von Polen nicht als Verteidiger González' anerkannt. „Ich konnte
weder mit ihm noch mit der Staatsanwaltschaft oder dem Richter sprechen“,
beschwert sich der Verteidiger aus Madrid im Gespräch mit der taz. „Die
spanische Regierung unternimmt nur das Allernötigste“, bemängelt Boye.
Trotz „schwerster Menschenrechtsverletzungen an González“ gab es weder aus
Madrid noch von Seiten der EU Initiativen, um Druck gegen Warschau
aufzubauen. „Aus Sicht des EU-Rechts ist das eine völlig unverständliche
Situation. Polen respektiert die Charta der Menschenrechte nicht“, fügt er
hinzu.
Auf Anfrage der taz äußerte sich die Bundesgeschäftsführerin der Deutschen
Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di, Monique Hofmann,
zum Fall González. Diesen vergleicht sie mit den Spionagevorwürfen gegen
[5][Julian Assange]: „Wir werden uns an allen Aktionen und Aktivitäten im
Rahmen unserer Dachorganisationen EFJ und IFJ und unserer spanischen
Schwestergewerkschaften FAPE, FeSP, FSC-CC.OO und UGT beteiligen, um die
schnellstmögliche Freilassung zu erreichen“.
## Opfer geopolitischer Gemengelage
Journalisten grundlos ins Gefängnis zu stecken und ohne die Erhebung
einer Anklage unter widrigen Bedingungen monatelang in Untersuchungshaft zu
halten, „ist ein Kennzeichen autoritär regierter Staaten“, so Hofmann.
Allerdings ist der Fall González noch anders gelagert als der Fall Assange.
Denn González ist eher ein Opfer der geopolitischen Gemengelage und des
Krieges der Narrative. Er war im falschen Moment am falschen Ort – mit
einer Kamera im Grenzgebiet.
Der Generalsekretär der Internationalen Journalisten-Föderation (IFJ),
Anthony Bellanger, fordert im Gespräch mit der taz Aufklärung und die
Freilassung Pablo González'. „Wird ein Journalist verhaftet und angeklagt,
sollte er über die Anklage und die Beweise informiert werden, um die
Anschuldigungen anzufechten und sich zu verteidigen. Nichts davon ist in
diesem Fall geschehen.“ Bellanger betrachtet den Fall als „äußerst
besorgniserregend“ und fügt hinzu: „So [6][werden Journalisten
eingeschüchtert] und daran gehindert, die Wahrheit zu verbreiten. Diese
Praktiken verstoßen gegen die Menschenrechte und die Medienfreiheit, in
einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union.“
Pablo González und seine Frau Ohiana Goiriena hoffen nun, dass der Druck
der internationalen Zivilgesellschaft Wirkung zeigt. Für den Moment aber
bleibt González' Lage wohl unverändert.
4 Nov 2022
## LINKS
[1] /Deutsche-Welle/!t5019207
[2] /Gefluechtete-aus-der-Ukraine/!5859774
[3] /Die-Halbinsel-Krim-und-Russland/!5047347
[4] /Die-Ukraine-nach-Russlands-Einmarsch/!5836956
[5] /Julian-Assange/!t5008572
[6] /Druck-von-rechts-auf-Journalistinnen/!5642326
## AUTOREN
Reiner Wandler
Gemma Teres Arilla
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