| # taz.de -- Die Halbinsel Krim und Russland: „Von nun an für alle Zeiten“ | |
| > Russland interveniert auf der Krim – und will noch mehr. Welche Gründe | |
| > treiben Putin und die Generäle um? Historische, populistische und | |
| > kulturelle. | |
| Bild: Stets militäisch präsent: Die russische Schwarzmeerflotte auf der Krim. | |
| MOSKAU taz | Russlands staatliche Fernsehmoderatoren sind schon seit Wochen | |
| allabendlich im Einsatz an der Westfront. Sie haben den Zuschauer langsam, | |
| aber stetig mit dem Gedanken vertraut gemacht, dass die „Kleinrussen“ – d… | |
| Ukrainer – allmählich eine Lektion verdient hätten. | |
| Das Wort Krieg wird zwar vermieden. Dass es sich beim potenziellen | |
| Eingreifen jedoch um einen der unsanfteren Art handeln könnte, das spürt | |
| der Bürger intuitiv. Die Mehrheit der Russen würde Kremlchef Wladimir Putin | |
| auch nicht zürnen, wenn er kurz mal durchgreifen würde. | |
| Wie 2008 in Georgien, als Moskau mit einem Blitzkrieg dem Kaukasusstaat | |
| zwei separatistische Landesteile entriss und ihm sein Liebäugeln mit einem | |
| Nato-Beitritt vorübergehend austrieb. Nun droht schon wieder der Feind aus | |
| dem Westen, suggerieren Demagogen. | |
| Seine Fratze ist faschistisch, seine Vorhut westukrainisch. Sein wahres | |
| Gesicht jedoch europäisch-transatlantisch. Es sind nicht nur die weniger | |
| gebildeten Schichten, die verängstigt oder verärgert in die Ukraine | |
| schauen. Auch die russische Intelligenz begegnet dem Nachbarn mit | |
| wachsenden Vorbehalten, wie Soziologen des renommierten Moskauer | |
| Lewada-Zentrums für Meinungsforschung ermittelt haben. | |
| ## Zugang zum Süden und zum Mittelmeerraum | |
| Die liberaleren Kreise empfänden Neid gegenüber dem Mut und der | |
| Hartnäckigkeit der Demonstranten in Kiew. Das Blatt hat sich gewendet: | |
| Früher genoss auch die Moskauer Intelligenz eine gedankliche | |
| Vorreiterrolle. Jetzt führt der Weg von Kiew nach Europa nicht mehr | |
| automatisch über Moskau. Die Spannungen haben sich auf die Krim verlagert. | |
| Auch auf der Halbinsel im Schwarzen Meer schaut die russischsprachige | |
| Bevölkerung vornehmlich die staatlichen Moskauer Fernsehsender. In Russland | |
| und in der autonomen Republik der Krim dürfte daher die Mehrheit der Bürger | |
| die Stationierung russischer Truppen auf der Halbinsel für unumgänglich | |
| halten. | |
| Russland hat ein sehr enges Verhältnis zur Krim. Die Halbinsel ist ein mit | |
| Erinnerungen und nationalen Mythen aufgeladener Raum, seit Fürst Grigori | |
| Potemkin sie 1783 „von nun an für alle Zeiten“ in Besitz nahm. Es war im | |
| Auftrag seiner Geliebten, der Zarin Katharina II., die von ihren Untertanen | |
| daraufhin den Titel „die Große“ erhielt. Sie hatte damit dem Reich einen | |
| Zugang zum Süden und zum Mittelmeerraum erschlossen. | |
| Peter der Große war vorher im Süden nur bis zur tatarischen Festung Asow am | |
| gleichnamigen Meer gelangt. Vor der Eroberung durch die Krone herrschte auf | |
| der Halbinsel ein weitgehend unabhängiges Khanat der Krimtataren. Das | |
| turksprachige Volk unterhielt enge Kontakte zum Osmanischen Reich, das dem | |
| russischen Expansionsstreben damals noch im Wege stand. Stalin ließ die | |
| Nachfahren der Krimtataren 1944 nach Zentralasien deportieren und siedelte | |
| an ihrer Stelle Russen an. | |
| ## „Sozialistisches Freigehege“ | |
| Neben 58 Prozent Russen und 25 Prozent Ukrainer leben heute wieder | |
| mindestens 13 Prozent Krimtataren auf der Halbinsel, die politisch zu Kiew | |
| halten. Die Geschichtsträchtigkeit der Halbinsel reicht bis in die jüngste | |
| Vergangenheit. 1991 wurde der Generalsekretär der KPdSU, Michail | |
| Gorbatschew, von Putschisten in Foros festgesetzt, wo sich die Spitzen der | |
| sowjetischen Nomenklatura im Sommer erholten. | |
| Für den gewöhnlichen Russen ist die Insel mit den Erlebnissen in den | |
| Sommerferien verbunden. Generationen von Kindern verbrachten die | |
| Sommermonate in einem der Pionierlager. Die Erwachsenen stiegen später in | |
| kleinen Pensionen ohne jeglichen Komfort ab. Niemanden störte das, alle | |
| lebten so. | |
| Das Sowjetflair hat sich die Krim vielerorts erhalten. Daher bemerken | |
| russische Touristen gar nicht, dass sie sich im Ausland befinden, zumal sie | |
| ohne Visum einreisen können. Auch hat sich das Dienstpersonal die | |
| sprichwörtliche Pampigkeit bewahrt. Die Krim steht in dem Ruf, | |
| zivilisatorisch „sozialistisches Freigehege“ zu sein. In einer Umfrage zur | |
| kulturellen Identität gaben 2008 denn auch 15 Prozent noch an: | |
| „sowjetisch“. | |
| Das sowjetische Ambiente wird zudem durch ehemalige Militärs und | |
| Geheimdienstmitarbeiter verstärkt, die die Krim als Alterssitz erkoren. | |
| Dass sich die Halbinsel zum Sammelbecken von Sowjetnostalgikern | |
| entwickelte, könnte erklären, warum jetzt so viele paramilitärische | |
| Verbände als Akteure auftreten. Deren Vielzahl garantiere indes, dass sie | |
| untereinander in Konkurrenz stünden und nicht effektiv sein könnten, meinen | |
| Beobachter. | |
| Auch wenn sich im Alltag kaum etwas verändert hat, fällt es vielen in | |
| Russland nicht leicht, die Krim als Teil eines anderen Staates hinzunehmen. | |
| Noch immer wird Nikita Chruschtschow vorgeworfen, die Krim leichtfertig | |
| preisgegeben zu haben. 1954 übergab sie Stalins Nachfolger als | |
| nachträgliches Geschenk an die USSR, die Ukrainische Sozialistische | |
| Sowjetrepublik. Es jährte sich zum 300. Mal der Tag, an dem die Anführer | |
| der Kosaken dem Zaren einen Treueid schworen. | |
| ## „Heldenstadt“ im Kampf gegen die deutschen Besatzer | |
| Russland hielt diesen Schwur für einen Akt der Unterwerfung und das | |
| Ereignis für die endgültige Wiedervereinigung mit der Ukraine. Hingegen | |
| sollen die Kosaken nur von einem vorübergehenden Beistandspakt ausgegangen | |
| sein. Ein Missverständnis, wie es in der russischen Geschichte immer wieder | |
| vorkam. | |
| Wie schwer einem Patrioten ums Herz wird, wenn von der Krim die Rede ist, | |
| war lange Zeit dem Moskauer Ex-Stadtpräsidenten Juri Luschkow anzumerken. | |
| Er engagierte sich in Sewastopol, dem Stützpunkt der russischen | |
| Schwarzmeerflotte, den Moskau bis 2042 gepachtet hat. Die Stadt gehört | |
| nicht zur Republik Krim, sondern untersteht Kiew direkt. | |
| Sewastopol wurde als Vorzeigeobjekt russischer und sowjetischer Seemacht | |
| erbaut. Die Einwohner sind wie Juri Luschkow überzeugt, dass ihre Stadt ein | |
| ferner Teil der russischen Heimat ist. Der Bürgermeister investierte | |
| Millionen in die Stadt und in die Krim, um das Zugehörigkeitsgefühl zu | |
| Russland zu fördern. Schon damals konnten Einwohner russische Pässe | |
| erhalten. | |
| So wie in den abtrünnigen Regionen Georgiens, wo Moskau den angeworbenen | |
| russischen Staatsbürgern im August 2008 militärisch zur Hilfe eilte. In | |
| Sewastopol sind etwa 16.000 aktive russische Soldaten stationiert, und ein | |
| Vielfaches an Reservisten hat sich dort angesiedelt. Im Zweiten Weltkrieg | |
| errang Sewastopol den Titel einer „Heldenstadt“ im Kampf gegen die | |
| deutschen Besatzer. „Sewastopol ist Russlands Ruhm, Sewastopol ergibt sich | |
| nicht“, proklamierte der Schriftsteller Ilja Ehrenburg. Die Stadt fiel | |
| trotzdem. | |
| Dieser Heroismus trägt auch dazu bei, dass sich viele Sewastopoler heute | |
| noch mit einem Imperium identifizieren, das nicht mehr besteht. Sie seien | |
| weiterhin „loyale Diener dieses Reiches auf einem Territorium, das nun | |
| jemand anderem gehört“, schreibt der US-Politologe Charles King. | |
| 2 Mar 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus-Helge Donath | |
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