# taz.de -- Ausstellung von Farkondeh Shahroudi: An Grenzen kratzen | |
> Schrift, Zeichnung und Skulptur verbinden sich bei der Berliner | |
> Künstlerin Farkondeh Shahroudi. Im Kupferstichkabinett wird sie | |
> vorgestellt. | |
Bild: Farkondeh Shahroudi, aufgeschlagene Buchseite aus der Reihe „Glossolali… | |
Sind das fünf Finger? Ein Handschuh? Oder sind es nicht eher fünf eng | |
aneinandergeschmiegte Frauenköpfe, verhüllt unter Gewändern, die ihre | |
Konturen miteinander verschmelzen lassen? Das ist alles möglich in den nur | |
von einer dünnen Umrisslinie, gestickt in schwarzen Stoff, festgehaltenen | |
Figuren in Farkondeh Sharoudis Arbeit „The Book“, einem Buch aus bestickten | |
Stoffseiten. | |
Im Jahr 2013 hatte sie die Skulptur „Wuch“ geschaffen, aus vielen einzeln | |
genähten Fingern aus schwarzem Stoff, teils mit persischen Schriftzeichen | |
bestickt. Sie bildeten dicht an dicht ein rundes Feld, das auch an eine | |
Menschenmenge, in der jede und jeder in der Anonymität verschwindet, | |
erinnerte. Oder an eine schwarze Seeanemone, deren Tentakel gleich das | |
Wasser bewegen könnte. Die Figuren in ihren Büchern, die jetzt im | |
Kupferstichkabinett ausgestellt sind, erinnern daran. | |
Farkondeh Sharoudi, 1962 in Teheran geboren, verließ den Iran 1990 und | |
arbeitet in Berlin seit Langem als Künstlerin. Stoff und Schrift | |
(Lateinisch und Persisch), gezeichnete und skulpturale Linien gehen in | |
ihren Arbeiten enge Verbindungen ein. | |
Im Kupferstichkabinett lehnen ein genähtes „o“ und ein „h“ in einer Ec… | |
ein wenig müde, die in einer Ausstellung im Freien auch schon mal munterer | |
als staunender Ausruf „oh“ an Bäumen lehnten. Eine „Sprachkette“ häng… | |
der Decke, aus Fahrradschlauch genähte Haken und Bögen, ornamental | |
ineinander verkettet wie die Buchstaben einer Schrift. | |
## Störungen der Freiheit | |
Entschlüsseln kann man die zierliche Anordnung nicht. Dass diese Kette auch | |
eine Fessel sein könnte, taucht dieser Gedanke auf, weil die Künstlerin aus | |
dem Iran kommt? | |
Womöglich spielt das eine Rolle. Aber auch dort, wo Sharoudi die Zeichnung | |
eines Körpers, der halb Mensch, halb Baum ist – „Degrees of Freedom“, von | |
2020 –, deutsch beschriftet hat, erzeugt sie einen Kontext, der auf Angst | |
und Beschädigung hinweist: „Angststörung, Essstörung, Phobien, | |
Entzugssyndrome“ kann man zwischen Stamm und Ästen entziffern. | |
Die Ausstellung im Kupferstichkabinett ist Teil des | |
Hannah-Höch-Förderpreises, mit dem die iranische Künstlerin dieses Jahr vom | |
Land Berlin ausgezeichnet wurde. Den Hauptpreis erhielt [1][Ruth | |
Wolf-Rehfeldt], die in den 1960er Jahren mit Mail Art und Typoskripten auf | |
der Schreibmaschine begann, von der DDR aus ein Netz von internationalen | |
Kunstkontakten aufzubauen. Ihr gehört die größere Ausstellungsfläche im | |
Kupferstichkabinett, Farkondeh ein davon umschlossener Raum. | |
Beide Künstlerinnen verbindet, mit Schrift und Buchstaben an Grenzen zu | |
kratzen, territorialen Grenzen, Grenzen politischer Richtlinien, Grenzen | |
der den Frauen zugeschriebenen Rollen. | |
Farkondeh Shahroudi arbeitet auch mit dem Material persischer Teppiche, | |
deren Muster sich oft auf das Motiv des Gartens beziehen lassen. Bei einer | |
Ausstellung 2004 im Haus der Kulturen der Welt hatte sie die Säulen vor dem | |
Haus damit bezogen. Jetzt liegen sie zu Kugeln zusammengeknäult und dicht | |
verschnürt auf einem Balkon am Kulturforum. Und wieder findet man das Bild | |
einer Fessel darin, die das, was sich eigentlich weit und einladend | |
ausdehnen sollte, zu einer dichten und unbetretbaren Masse zusammenballt. | |
Zweifellos schleichen sich in diese Interpretationen der Arbeiten der | |
Künstlerin, die den Iran schon lange verlassen hat, die Schatten der | |
Proteste und des Verlangens nach Freiheit in der Gegenwart ein. Aber | |
Sharoudis Arbeiten lassen bei aller Poesie diese politische Aufladung eben | |
auch zu. | |
10 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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