| # taz.de -- 125 Jahre Bildgießerei Noack in Berlin: Von Bullen, Bären und Foh… | |
| > Die Geschichte der Skulptur ist eng mit der Bildgießerei Noack verbunden. | |
| > Seit 125 Jahren gießt das Unternehmen Kunst in Bronze in Berlin. | |
| Bild: Blick in die Jubiläumsschau: Vorne eine Skulptur von Anna Bogouchevskaia… | |
| Den Bronzeguss gibt es in Europa seit über viertausend Jahren. Ein ganzes | |
| Zeitalter wurde nach dem Material benannt, das seine Waffen und Werkzeuge, | |
| aber auch seine Kunst aus dieser Legierung aus Kupfer und Zinn herstellte. | |
| Und heute wird die Bronze noch immer benutzt. | |
| Dass die altehrwürdige Tradition des Bronzegusses nicht abreißt, dafür | |
| sorgen immer wieder neue Künstler, die sich in dem Material ausdrücken | |
| wollen. Doch alle diese Künstler wären wohl aufgeschmissen, gäbe es nicht | |
| Fachleute mit Wissen, Können und Einfühlungsvermögen, die plastische Ideen | |
| in ein handfestes Gebilde umsetzen könnten. | |
| In Berlin macht das nun seit 125 Jahren [1][die Bildgießerei Hermann Noack] | |
| mit großem Renommee. Noack zählt sich selbst zu den fünf führenden | |
| Betrieben auf der Welt. Mit einiger Berechtigung, wenn man weiß, welche | |
| Künstler hier haben gießen lassen und wer immer noch auf Noack vertraut: | |
| Von A wie Arp bis Z wie Zipp, von Traditionalisten wie Klimsch oder Kolbe | |
| über Abstrakte wie Mack oder Heiliger bis zu Avantgardisten wie Beuys oder | |
| den gegenwärtigen Größen wie Meese, Kwade, [2][Bonvicini], [3][Cragg] und | |
| vielen anderen. Man könnte auch fragen, wer von den wichtigen und großen | |
| Künstlern der letzten 125 Jahre nicht bei Noack war. | |
| Die Firma Noack hat seit ihrer Gründung 1897 in einem schlecht belüfteten | |
| Keller in Berlin-Wilmersdorf an der Kunstgeschichte mitgeschrieben. Das | |
| kann man jetzt in einer zum Jubiläum eingerichteten Retrospektive mit 50 | |
| Bronzewerken am jetzigen Firmensitz neben dem alten Kraftwerk | |
| Charlottenburg nachverfolgen. | |
| ## Vier Generationen | |
| Zur Eröffnung am 11. November waren 800 Gäste geladen, darunter viele | |
| Künstler sowie Freunde und Bewunderer. Man konnte an diesem Abend sehen, | |
| wie Noacks Metier und Renommee die unterschiedlichsten Generationen und | |
| wohl auch Weltanschauungen zusammenbringt. | |
| Genau das ist wohl auch Teil der von Christoph Stölzl, Laudator des Abends, | |
| beschriebenen „Noack-Formel“ für den andauernden Erfolg der Firma | |
| (Jahresumsatz 2021 3,2 Millionen Euro). Das eigentliche Erfolgsrezept: | |
| Freundschaften mit den Künstlern und ein „symbiotisches Zusammenwirken von | |
| handwerklicher Meisterschaft und künstlerischem Genie“, so Stölzl. | |
| Der derzeitige Chef des in vierter Generation unter gleichem Vornamen | |
| geleiteten Familienunternehmens, Hermann Noack IV., begründet den Erfolg | |
| prosaischer: „Wir können den Stücken Individualität und Persönlichkeit | |
| verleihen. Das ist unsere Handschrift. Daran scheitern die allermeisten.“ | |
| Das meint Noacks Spezialität, die Patinierung oder Veredelung der | |
| Oberflächen. Denn mit dem Gießen allein ist es nicht getan. Von der Idee | |
| zur fertigen Bronze braucht es fünf Schritte, die alle ihre Tücken haben, | |
| ob bei der Herstellung der Modelle und Gussformen, beim Guss selbst, bei | |
| der Montage und Ziselierung (womit etwa Nähte und Fehlstellen beseitigt | |
| werden) und schließlich der Patinierung. | |
| ## Wand der Muster und Materialproben | |
| An einer der Wände des 5.000 Quadratmeter großen Werkstadtkomplexes bei | |
| Noack hängen dazu rund hundert Materialproben, die zeigen, wie verschieden | |
| die Oberfläche der Bronze aussehen kann, wenn sie mit Säure und Hitze | |
| behandelt wird. Vom blitzenden Goldton bis Tiefschwarz reicht die Skala, | |
| aber auch Grün‑ und Rottöne sind möglich. | |
| In der Jubiläumsausstellung kann man die Wirkung der Patinierung anhand | |
| zweier kauernder Frauenfiguren in eher kleinem Format vergleichen. Die | |
| weiblichen Gestalten – von Georg Kolbe und Richard Scheibe – changieren von | |
| rotschimmernd bei Kolbe bis eher gelblich und im Ausdruck zurückhaltender | |
| bei Scheibe. | |
| Isabella Mannozzi, Kuratorin und Leiterin der Werkstattgalerie auf dem | |
| insgesamt 10.000 Quadratmeter großen Gelände der Firma, hat die | |
| Retrospektive zum Jubiläum eingerichtet. Die Möglichkeit zu solch | |
| großzügigen Kunstpräsentationen ergab sich erst durch den Umzug 2010 aus | |
| den beengten Räumlichkeiten in Friedenau nach Charlottenburg. | |
| Beim Abtransport der teils monumentalen Plastiken mussten in Friedenau noch | |
| ganze Straßenzüge abgesperrt werden. Ein Mammutauftrag, eine Herde von 14 | |
| bronzenen Bullen mit dem Gewicht von 80 Tonnen des heute 95-jährigen | |
| österreichischen Bildhauers Jos Pirkner, angefertigt in den Jahren 2009 bis | |
| 2014 für das Red-Bull-Headquarter in Fuschl am See (Österreich) erzwang | |
| gleichsam technisch, nach neuen räumlichen Möglichkeiten zu suchen. Und der | |
| Riesenauftrag ermöglichte erst finanziell das Wagnis eines Umzugs. | |
| Heute lautet das Konzept für den Standort Am Spreebord: Werkstatt, Galerie, | |
| Restaurant und Künstlerateliers unter einem Dach. Es geht nicht mehr allein | |
| um Produktion, sondern ebenso um Vermarktung, Kunstgenuss und | |
| Kundenbindung. Das Gießerhandwerk – sowohl Wachsausschmelzverfahren als | |
| auch Sandguss – ist heute nur Teil eines Ganzen. Dazu gehören inzwischen | |
| auch kostenlose Führungen durch die Werkstätten für Schulklassen und | |
| Studierende. Erst beim Blick in die Werkstatt wird wirklich klar, womit es | |
| die 40 Mitarbeiter hier zu tun haben. | |
| Neben der Produktion kommen als Geschäftsbereiche noch Beratung, | |
| Restaurierung und Skulpturenpflege hinzu. Im weitesten Sinne könnte man | |
| unter Letzterem auch den Ersatz von gestohlenen Plastiken zählen. Denn die | |
| Fälle, in denen bronzene Kunstwerke im öffentlichen Raum allein wegen ihres | |
| Materialwertes geklaut werden, häufen sich – auch in Berlin. Im letzten | |
| Jahr traf es ein „Fohlen“ von Renée Sintenis, das Wahrzeichen der | |
| Renée-Sintenis-Schule in Frohnau. | |
| Sintenis (1888–1965) war eine Stammkundin bei Noack und beschäftigt die | |
| Firma Noack immer noch. Nicht nur deshalb, weil das Bronze-Fohlen | |
| nachgegossen werden konnte. Denn Sintenis’ Berliner Bär, die Trophäe des | |
| Filmfestivals Berlinale, wird bei Noack gegossen. Der Materialwert der | |
| Plastik ist natürlich im Vergleich zum ideellen Wert oder den Preisen am | |
| Kunstmarkt verschwindend gering. Etwa 10 Euro kostet ein Kilo Bronze, das | |
| Doppelte muss man allein als Energiekosten für die Schmelze des Metalls und | |
| die Trocknung der Gussformen rechnen. Noack bemüht sich auch hier, mit der | |
| Zeit zu gehen. Bei den Gussöfen wurde bereits von Gas auf Elektrizität | |
| umgestellt. Die Bronze braucht immerhin etwa 1.200 Grad beim Guss. | |
| Von Renée Sintenis gibt es in der Jubiläumsschau übrigens nicht das Fohlen, | |
| wohl aber einen Esel zu sehen. Sintenis war als Frau lange Zeit eine | |
| absolute Ausnahme unter den Noack-Kunden. Inzwischen ist der Anteil von | |
| Künstlerinnen auf rund die Hälfte gewachsen. Und wie Isabella Mannozzi | |
| prophezeit: Die Zukunft bei Noack wird weiblich sein. Die fünfte | |
| Generation, die Ururenkel des Gründers, stehen schon bereit: zwei Mädchen. | |
| 17 Nov 2022 | |
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| Ronald Berg | |
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