# taz.de -- Neunschwänzige Jury ehrt Künstlerin: Die Vernichterin der Wände | |
> Zu Recht erhält Monica Bonvicini den Bremer Preis für Kunst im | |
> öffentlichen Raum – obwohl die Bildhauerin nur zwei Open-Air-Plastiken | |
> schuf. | |
Bild: Spektakulär: Die Skulptur "She Lies" von Monica Bonvicini, die im Osloer… | |
Zur Strafe dafür, dass sie der fabelhaften Künstlerin Monica Bonvicini am | |
Freitag den Roland-Preis überreicht, hat das – komplett männliche – | |
Preisgericht der Stiftung Bremer Bildhauerpreis ihrem Werk attestiert, dass | |
es „seine druckvoll inszenierte formale Präzision mit elementaren Fragen | |
der gesellschaftlichen Konflikt- und Reibungspotenziale im öffentlichen | |
Raum verkoppelt“. | |
Dieses packpapierne Geschwurbel hat Bonvicini nun wirklich nicht verdient, | |
das zwar sachlich richtig sein mag. Aber das doch den Eindruck weckt, als | |
ginge es bei ihr um Proseminarscheine. Dabei geht’s um Körper, um Macht, um | |
Sinn und Sex und Politik. | |
Die Preisvergabe ist eine sehr kluge Entscheidung, eine zum Bejubeln. Stolz | |
könnte die neunschwänzige Jury darauf sein. Und doch klingt die Begründung, | |
als wär’s ihr ein wenig peinlich gewesen, jene Frau zu ehren, die genau | |
sich an der Grenze zwischen privatem und öffentlichem Raum abarbeitet. Sie | |
angreift, jene männliche Setzung. Und zwar ganz direkt – indem sie, zum | |
Beispiel, die Wand fickt. | |
Nicht sie selbst, nicht wie bei der von ihr bewunderten Valie Export mit | |
dem eigenen Körper: Die 1965 in Venedig geborene Bildhauerin lässt das eine | |
Schauspielerin besorgen. Aber sonst ist das wörtlich gemeint, auch wenn es | |
jetzt schon wieder eine Ewigkeit her ist. | |
Mitte der 1990er war das, und das Video-Loop Wall Fuckin’ in einem dafür | |
mit Rigipswänden gebauten Extraraum des Kunstamts in Kreuzberg ist sicher | |
nicht das beste, aber das erste bewusst wahrgenommene Werk von Bonvicini. | |
Also das erste, das wieder vor Augen kommt, sobald der Name fällt. | |
Wohl einerseits, weil es schon damals als eine so schlaue, so elegante | |
Bezugnahme auf eine ganze Reihe von Künstler-Männern aufgefallen war, die | |
in den 1970ern ihre Schädel gegen Wände gerammt hatten, wie Ben Vautier in | |
Happenings, oder wenigstens dazu aufgerufen hatten, mit ihnen Druck auf sie | |
auszuüben wie Bruce Nauman mit dem Performance-Skript Body Pressure (1974). | |
Und weil das Motiv auch hier schon so selbstverständlich, so spielerisch | |
und lustig und lustvoll auftaucht: Das ist die Wand, die Mauer, und dass | |
sie im Normalfall bestimmt, ob ein Raum privat ist, oder öffentlich. | |
Bonvicini zerstört solche Wände, ohne sie kaputtzumachen. Sie lässt deren | |
Semantik einbrechen, wendet ihren Sinn ins Absurde: In einer Galerie | |
entfacht sie Orkanböen, die sie aber mit ausgeklügelter Technik zugleich | |
wieder einfängt, sodass niemand die Wucht des Sturms erfährt. | |
Vor die Basler Kunstmesse baut sie ein Toilettenhäuschen, dessen Wände aus | |
einseitig verspiegeltem Glas bestehen, sodass zwar nicht ins Innere | |
geblickt werden kann, wohl aber der Blick des Besuchers jede Intimität | |
vernichtet. Nur wie durch eine schwache Sonnenbrille gefiltert, ungebrochen | |
geht er ins Freie, begegnet dem Publikum: Die Gesellschaft liegt im Auge | |
des Betrachters. Das Klosett wird auf diese Weise zum öffentlichen Raum. | |
Deshalb passt der Preis so gut, der ja ein Preis für Kunst im öffentlichen | |
Raum ist – obwohl es von Bonvicini bis vor drei Jahren gar keine | |
Außenskulpturen gab: Die erste war „She Lies“, eine 2010 enthüllte | |
monumentale Stahl-und-Glas-Reprise von Caspar David Friedrichs | |
Eismeer-Gemälde im Fjord vor dem pompösen neuen Osloer Opernhaus, und sie | |
feiert laut Bonvicini zwei Jahre nach dessen Einweihung „die Schönheit des | |
Unfertigen als Zustand ewigen Wandels“. | |
Im vergangenen Sommer wurde dann ihr von den Auftraggebern etwas simpel als | |
sportliche Aufforderung gedeuteter Riesenschriftzug „RUN“ eingeweiht, im | |
Rahmenprogramm der olympischen Spiele von London. Für die Künstlerin war | |
die Teilnahme am Wettbewerb erst interessant, „nachdem klar war, dass“ – | |
Achtung Ironie – „die Skulptur dauerhaft an ihrem Platz bleibt“: In einem | |
entstehenden Neubauviertel. | |
Mindestens so sehr wie auf die Läuferwettkämpfe scheint das Werk, das im | |
Hellen spiegelt und im Dunkeln kunstvoll leuchtet, auf dessen potenzielle | |
Trostlosigkeit in weiser Voraussicht zu antworten. Als Aufforderung zur | |
Flucht. | |
2 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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