Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Feine Handarbeit ist wieder gefragt: Aus Samt und Seide
> Mieder, Schuhe oder Uhren, individuell hergestellt in aufwändigen
> Arbeitsschritten, sind wieder gefragt. Ein Rundgang, was Berlin so zu
> bieten hat.
Bild: Feine Sache, diese handgemachten Schmuckstücke.
Wer hinter die Milchglasscheiben von Britt Sobottas Miederwerkstatt im
Neuköllner Schillerkiez blickt, fühlt sich in die 1920er Jahre
zurückversetzt. Sobotta näht Mieder und Wäschestücke, schneidert Korsetts
und die passenden Nylonstrümpfe dazu. Schimmernder Samt, Seide, viel Spitze
– die Kleiderpuppen in dem kleinen Ladenlokal Sobottas scheinen wie aus der
Zeit gefallen.
„Als ich vor sechs Jahren aufgemacht habe, haben viele ungläubig gefragt:
Was willst du verkaufen?“, sagt Sobotta. So abwegig scheint die Idee mit
der historischen Wäsche dann allerdings doch nicht zu sein – denn das
Geschäft mit den handgenähten Figurformern läuft gut. Man bekomme heute
viel Vorgefertigtes präsentiert, sagt Sobotta. In der Miedermanufaktur
jedoch braucht es von der ersten Skizze bis zum fertigen Wäschestück seine
Zeit.
Erst gibt es ein Vorgespräch mit der Kundin, es folgen Vorschnitt und erste
Anprobe. Dann werden die Stützstäbe eingenäht – ein zweifach
ineinandergedrehter Stahldraht, der sich aber „ganz hervorragend“ mit der
Trägerin mitbewege, wie Sobotta versichert. Schließlich kommen noch die
zweite Anprobe und das Finish. „Das sind schon einige Tage, die ich an
einem Stück sitze“, sagt die gelernte Damenschneiderin. Den
Entstehungsprozess eines Produkts in dieser Form beobachten zu können und
am Ende mit einem Unikat am Leib den Laden zu verlassen, kommt bei Sobottas
Kundinnen an. „Den Blick auf das Detail zu richten ist für mich als
Handwerkerin eine Notwendigkeit, für meine Kundinnen aber eine bewusste
Entscheidung“, sagt Sobotta. „Handwerk bedeutet immer auch
Entschleunigung.“
## Schlüsselanhänger aus Filz
Eine gewisse Sehnsucht nach Entschleunigung treibt offenbar nicht nur
Kundinnen mit ausgefallenen Wäschewünschen, sondern insgesamt eine
wachsende Kundschaft um. 2010 gründeten sich mit dem Verein Deutsche
Manufakturen und der Initiative Deutsche Manufakturen gleich zwei
Interessenvereinigungen für das mittelständische Handwerk. Letztere lädt
heute zur ersten Fachtagung des Manufakturenhandwerks ins Auswärtige Amt
ein (siehe Kasten). Ebenfalls 2010 eröffnete in der Moabiter
Arminiusmarkthalle das Zunftwerk Manufakturenkaufhaus, das vor allem auch
Klein- und Kleinstunternehmen eine Verkaufsfläche für bedruckte
Babystrampler, Schlüsselanhänger aus Filz, Lampenschirme oder
handgefertigte Windlichter bietet. Gerade habe man die Öffnungszeiten der
Markthalle verlängert, sagt Marktleiter Yiannis Kaufmann: „Wir beobachten
ein gestiegenes Interesse an Qualität – und ein Bewusstsein für die
Wertigkeit von Dingen und für die Schönheit der Arbeit, die darin steckt.“
Die Schönheit von Handarbeit hat allerdings ihren Preis: Handgestrickte
Socken für zehn oder handgezogene Kerzen für fünf Euro kann sich nicht
jeder leisten. Die Entscheidung für Handarbeit, für kleine Stückzahlen und
Individualität als Gegenentwurf zu Massenproduktion und Wegwerfmentalität
ist auch ein wenig elitär – weil sie vor allem eine Geldfrage ist.
Nadine Klein ist Schuhmacherin, unter dem Label lieblingsschuh fertigt sie
Maßschuhe von Hand. Für sie ist alles Handgemachte „eine gewisse
Entscheidung zum Luxus, weil es eben teuer ist“. Den Hang zum Massenkonsum,
sagt die ausgebildete Orthopädieschuhtechnikerin, habe sie „noch nie
verstehen können“. In ihrer kleinen Werkstatt in Prenzlauer Berg, die
gleichzeitig Verkaufsraum ist, duftet es nach fein geöltem Leder. Leisten
aus Holz und Kork hängen an der Wand, im hinteren Teil des Ladens warten
Stapel von Lederhäuten auf ihre Weiterverarbeitung. Alle Schuhe sind von
Hand genäht, Innen- und Außensohle werden nicht, wie bei herkömmlichen
Schuhen, miteinander verklebt.
In einer Erstanfertigung stecken gut 50 Stunden Arbeitszeit – viel Aufwand,
„aber die Schuhe halten bei richtiger Pflege dafür mindestens zwanzig
Jahre“, sagt Klein. „Oder man vererbt sie weiter.“ Wenn man ihre Schuhe
dann irgendwann doch wegschmeiße, sollen sie keinen Sondermüll produzieren
wie die Industrieware, „bei denen Sohle und Kleber mitverbrannt werden
müssen“. Deshalb experimentiert Klein derzeit mit ungiftigem Naturkleber.
Die Lederhäute, die sie verwendet, sind meist pflanzlich gegerbt: „Unser
langfristiges Ziel ist ein Schuh, den man am Ende wie Kompost entsorgen
kann.“
Michael Schröder, Vorsitzender der Initiative Deutsche Manufakturen, würde
den Luxusgedanken hinter Handgefertigtem gern positiv besetzt sehen: „Worum
es jedenfalls nicht gehen sollte, ist, Handgefertigtes als Statussymbol
besitzen zu wollen – darum geht es auch den Manufakturen selbst nicht.“
Worum es jedoch gehe, sei eine andere Definition von Luxus, sagt Schröder:
„Man gönnt sich etwas Gutes.“ Im Vordergrund stehe ohnehin der
Qualitätsgedanke: „Der Preis eines handgefertigten Produkts erklärt sich
über den Arbeitsaufwand, der darin steckt“.
## Ein Kompass für den Kaiser
Das gilt auch für die Uhren von Askania. „Eine mechanische Uhr lebt, sie
fasziniert“, sagt Leonhard Müller, Vorsitzender des 1871 gegründeten
Berliner Traditionsunternehmens. Einst wurden in den Werkstätten in
Friedenau Chronografen und Kompassgeräte für die kaiserliche Marine
gefertigt. In den 1920er Jahren lieferte die Firma Filmproduktionsgeräte
für die Potsdamer Ufa-Studios. Seit einigen Jahren werden ein paar Meter
entfernt von den historischen Produktionsstätten wieder mechanische Uhren
in Handarbeit hergestellt. Die Produktion ist klein, nur drei
Uhrmachermeister arbeiten in der hellen Hinterhofwerkstatt. Die einzelnen
Komponenten wie Gehäuse, Zeiger, Zifferblätter und Uhrwerke werden von
Händlern aus Deutschland und der Schweiz eingekauft.
Damit alle Einzelteile irgendwann zusammen am Handgelenk ticken, sind viele
kleinteilige Arbeitsschritte nötig: Zwischen ein paar Stunden und zwei
vollen Arbeitstagen benötige er für ein Exemplar, sagt Uhrmachermeister
Lothar Welsch. Müllers Traum wäre es, irgendwann wieder ein eigenes
Askania-Uhrwerk produzieren zu können – „wenn irgendwann mal Kapital da
sein sollte“. Wenn der gelernte Kaufmann aus dem Schwarzwald von
mechanischen Uhren spricht, leuchten seine Augen: „Das ist vor allem
Liebhaberei“, sagt Müller, „für manche vielleicht auch eine Mischung aus
Angeberei und Liebhaberei.“ War das Handwerk früher die normale und mit der
Industrialisierung bald überholte Produktionsform, ist es heute das
Besondere – und begehrenswert für die, die es sich leisten können. Aber im
Prinzip, sagt Müller, solle man sich nur für eine mechanische Uhr
entscheiden, „wenn man auch das Handwerk schätzt und Freude an der Mechanik
hat“. Allen anderen empfiehlt er lieber eine Quarzuhr – „die ist billiger
und geht genauer“.
28 Feb 2012
## AUTOREN
Anna Klöpper
## TAGS
Handarbeit
## ARTIKEL ZUM THEMA
125 Jahre Bildgießerei Noack in Berlin: Von Bullen, Bären und Fohlen
Die Geschichte der Skulptur ist eng mit der Bildgießerei Noack verbunden.
Seit 125 Jahren gießt das Unternehmen Kunst in Bronze in Berlin.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.