# taz.de -- Biolandwirtschaft in Brandenburg: Woher Milch und Honig fließen | |
> Die Regionalwert AG unterstützt Bauern mit Zuschüssen. Viele Landwirte | |
> konnten dadurch ihre Höfe modernisieren und behalten. | |
Bild: Landwirt Johann Gerdes wurde von der Regionalwert AG bei der Übernahme s… | |
Der Raum ist frisch gekachelt, überall stehen hochglänzende Maschinen, | |
Gerätschaften und Fässer herum. Aus großen Bienenwachsblöcken entströmt ein | |
warmer Duft. Vor knapp einem Jahr hat der Imker Jasper Heilmann seinen | |
Demeter-Betrieb nach Eggersdorf im Süden von Müncheberg, das wiederum im | |
östlichen Brandenburg liegt, verlegt. | |
An dieser Stelle stand vorher ein Asbestflachbau, den die Hofgemeinschaft | |
Apfeltraum für ihre Mülltonnen nutzte. Jetzt beherbergt das | |
Backsteingebäude im Erdgeschoss zwei Betriebe, und obendrüber wohnt | |
Heilmanns vierköpfige Familie. Rund 450.000 Euro hat der Umbau gekostet – | |
bezahlt von der [1][Regionalwert AG Berlin-Brandenburg]. Das Unternehmen | |
sammelt Geld ein von Menschen, die die Agrar- und Ernährungswende | |
vorantreiben wollen. | |
Jasper Heilmann hat Ökolandbau in Eberswalde studiert, 2016 fing er mit dem | |
Imkern an. Seine Bienen produzieren neun verschiedene Honigsorten – von | |
Fenchel über Buchweizen bis Kornblume. „Die Völker gezielt abzustellen ist | |
mein Handwerk“, sagt der 34-Jährige. Im Sommer bedeutet das viel | |
Nachtarbeit: Erst wenn die Bienen wieder im Stock sind, kann Heilmann die | |
Kisten umsetzen. Akazien blühen nicht einmal zwei Wochen lang, die | |
Bienenstöcke müssen rechtzeitig vor Ort sein. | |
Die Tiere in die Bäume mit den duftenden Rispen zu lenken ist kein Problem: | |
Dieses Nektarangebot ist für sie unwiderstehlich. Schwieriger ist es bei | |
anderen Blüten, vor allem wenn im Umkreis von drei bis vier Kilometern ein | |
Rapsfeld liegt. Ist Heilmann unsicher, was seine Bienen eingesammelt haben, | |
lässt er den Honig untersuchen. 150 bis 200 Völker muss er zwischen April | |
und Oktober ständig im Blick haben. | |
Alle ein bis zwei Wochen erntet er die Waben, entfernt die Wachsdeckel und | |
schleudert den Honig heraus. Als Demeter-Imker darf er ihn später nicht | |
erhitzen, sondern muss ihn rasch in Gläser abfüllen. Die Sommermonate | |
bedeuten für den jungen Familienvater eine Sechstagewoche, oft ist nicht | |
einmal der Sonntag frei. | |
## Kredit wäre zu riskant | |
Im vergangenen Jahr haben die fleißigen Bienen und der fleißige Imker | |
zwischen fünf und sechs Tonnen Honig zusammengetragen. Heilmann liebt, was | |
er tut. Er ist froh, endlich einen professionell ausgestatteten Betrieb zu | |
haben und die Räume von der Regionalwert AG mieten zu können. Dafür einen | |
Kredit aufzunehmen, hätte er sich nicht getraut: „Die Imkerei ist zu | |
unsicher, um das individuell zu stemmen.“ | |
In Ostbrandenburg wird es außerdem immer trockener, die ganze Branche klagt | |
über Ertragsrückgänge. „Wenn die Pflanzen Stress haben, honigt es nicht | |
mehr“, erklärt Heilmann. Nun aber trägt er dazu bei, die | |
[2][Hofgemeinschaft Apfeltraum] voranzubringen – genau wie sein Nachbar | |
Florian Reverey. Der 40-Jährige hat früher als Wissenschaftler über die | |
Folgen der Erderhitzung für Flüsse und Seen geforscht, jetzt betreibt er in | |
der gemieteten Küche eine Nudelmanufaktur und stellt Raviolikreationen her. | |
„Ein kleiner Betrieb, der nicht wachsen muss und möglichst regionale und | |
saisonale Zutaten verwendet“, fasst er sein Credo zusammen. | |
Die Umsetzung ist jedoch gar nicht so einfach: Heute gibt es in ganz | |
Deutschland nur noch wenige Mühlen. Demnächst soll im Neubau bei Apfeltraum | |
auch noch ein Hofladen entstehen, wo es neben Honig und Gemüse auch | |
Fleisch, Brot und Milch von einem anderen Betrieb aus der Nähe zu kaufen | |
gibt. Übernehmen wird ihn Heilmanns Lebenspartnerin. Die Ursprungsidee, | |
hier eine Bäckerei einzurichten, hat sich zerschlagen: Trotz intensiver | |
Suche fand sich niemand, der sie betreiben wollte. | |
Vieles entwickelt sich bei der Regionalwert AG Berlin-Brandenburg | |
organisch. In intensiven Gesprächen erarbeiten die Beteiligten gemeinsam | |
gewünschte und tragfähige Konzepte. „Wir investieren nicht in Unternehmen, | |
sondern in Menschen“, sagt Jochen Fritz, einer der beiden Vorstände. | |
Ziel ist, ein wachsendes Netzwerk von produzierenden, verarbeitenden und | |
verkaufenden Lebensmittelbetrieben zu schaffen, in dem die Partner sich | |
gegenseitig beliefern und auch anderweitig unterstützen. Seit der Gründung | |
2018 haben schon 791 Menschen Aktien gezeichnet. Investiert wurde das Geld | |
in elf Unternehmen – zum Teil als Beteiligung, zum Teil in anderer Form. | |
Darüber hinaus haben sich drei Lizenzpartner angeschlossen. | |
Die AG ist so konstruiert, dass niemand dominant werden und die Ausrichtung | |
bestimmen kann. Die Rendite besteht vor allem in gesamtgesellschaftlichen | |
Gewinnen einer guten Landwirtschaft und Lebensmittelversorgung. Gegenwärtig | |
sammelt die Regionalwert AG Berlin-Brandenburg wieder Geld ein. Bis Mitte | |
Februar können Neulinge einsteigen: Ab 575 Euro sind sie dabei. | |
Wenige Kilometer südlich vom Apfeltraum ackert Bauer Johann Gerdes. Im | |
vorletzten Jahr hat er den Beerfelder Hof übernommen. Ein paar | |
zusammenbrechende Stallanlagen zeugen davon, dass hier zu DDR-Zeiten eine | |
LPG für Milchvieh stand. Doch seit mehr als zwei Jahrzehnten wird hier | |
schon biologisch gearbeitet. Das Gelände ist riesig: 100 Hektar Grünland | |
und fast 650 Hektar Ackerflächen bewirtschaften der 38-Jährige und seine | |
sechs Angestellten sowie einige Aushilfskräfte. Sie bauen fast zwei Dutzend | |
verschiedene Arten Getreide, Hülsenfrüchte, Ölsaaten und Kartoffeln an. | |
Auch eine Mutterkuhherde samt Nachwuchs gehört zum Hoforganismus. | |
## Die Zuschuss war bitter nötig | |
Ohne finanzielle Unterstützung hätte Gerdes hier nicht einsteigen können. | |
„Landwirtschaftliche Arbeitsplätze gehören ja zu den teuersten überhaupt�… | |
benennt er ein zentrales Problem seiner Branche. Bei der Übernahme hat sich | |
die Regionalwert AG mit 100.000 Euro beteiligt und außerdem ein Darlehen | |
gegeben, damit Gerdes eine Lagerhalle für seine Kartoffeln bauen konnte. | |
Die wurden früher per Lkw nach Sachsen-Anhalt geschafft – um dann ein paar | |
Monate später wieder zurück nach Berlin zu reisen. „Nicht sehr ökologisch�… | |
kommentiert er trocken. | |
Jetzt gibt es eine renovierte Halle mit mehreren Räumen, in denen ein | |
Computer Temperatur und Luftzirkulation regelt. Die Ernte lagert in | |
gestapelten Holzkisten bei vier Grad, einmal täglich muss hier Sauerstoff | |
rein. Nebenan werden die Knollen etwas angewärmt, damit ihre Schalen fürs | |
Verpacken nicht spröde sind und nicht so leicht aufplatzen. | |
Ein knallgrüner Scheinwerfer erhellt den Raum und verhindert zugleich, dass | |
die Kartoffeln grüne Stellen bekommen. In der Haupthalle sortieren zwei | |
Männer auf einem Podest mit Fließband schlechte und zu kleine Kartoffeln | |
aus, ein dritter steht am Trichter und verpackt die guten Belinda-, Linda- | |
und Talent-Knollen in handliche Säcke. Den Ausschuss bekommen später die | |
Kühe. | |
Ortswechsel: Ein paar Kilometer Luftlinie entfernt riecht es intensiv nach | |
Ingwer und Kreuzkümmel: In der Küche des verganen Biosuppenherstellers | |
Wünsch Dir Mahl (WDM) füllen Mitarbeiterinnen Süßkartoffeleintopf ab. Die | |
Metalldeckel scheppern in der Maschine, es ist laut, warm und eng. Doch | |
seit sich die Regionalwert AG mit 170.000 Euro am Unternehmen beteiligt | |
hat, verfügt WDM über moderne Technik. „Wir haben jetzt praktisch keinen | |
Ausschuss mehr“, sagt Betriebsleiter Jan Heinemann. | |
In zwei Schichten werden hier jeden Tag sechs verschiedene Rezepte gekocht, | |
mehr als 8.000 Portionen. 15 Menschen arbeiten bei WDM – nicht wenig für | |
einen Ort wie Müncheberg. Vor allem Demeter-Tiefkühlware kommt in die | |
großen Suppenwannen, für die Verarbeitung von frischen Produkten reicht der | |
Platz nicht. Probeweise wurden aber auch schon Möhren und Kartoffeln vom | |
Beerfelder Hof verarbeitet. | |
Mit dem ebenfalls zum Regionalwert-Kosmos zählenden Hafermilchhersteller | |
Havelmi war WDM ebenfalls mal im Gespräch. Nicht unwahrscheinlich, dass der | |
Suppenhersteller weiterwächst und bald neue Räume braucht – und damit | |
könnten sich auch neue Kooperationsmöglichkeiten ergeben. | |
Noch weiter hinten in der Lieferkette hat Jakob Noack sein Business. Er | |
betreibt zwei Regionalläden nördlich von Müncheberg. Das Gemüse bezieht er | |
überwiegend von Bauern aus der Umgebung, ein Großteil der Eier stammt von | |
seinen eigenen Hühnern. Auch die Ravioli aus Eggersdorf und die Suppen aus | |
Müncheberg sind in Waldsieversdorf im Angebot, ebenso wie Barnimer Bier, | |
Eberswalder Konserven und in Görlsdorf gerösteter Kaffee. | |
Als Verkaufsraum für sein zweites Geschäft nutzt er ein Klassenzimmer der | |
ehemaligen Schule Reichenberg, die das DRK zum Lebenszentrum mit Kita, | |
Arztpraxen und einer Alterstagespflege umgebaut hat. „Die Leute dort haben | |
sich sehr einen Dorfladen gewünscht“, berichtet Noack. Mit 25.000 Euro | |
beteiligte sich die Regionalwert AG am Kauf von Kühlschränken, Regalen und | |
der übrigen Einrichtung. Inzwischen hat sich der Laden zum Treffpunkt und | |
Herz des kleinen Ortes entwickelt, denn auch ein Kaffeeausschank und eine | |
Terrasse gehören zum Konzept. Am Ladeneingang hängt ein Schild der | |
Regionalwert AG. „Manche Leute fragen, was das ist“, so Noack. Das Netzwerk | |
wächst langsam – aber stetig. | |
29 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.regionalwert-berlin.de/aktien/aktionaerin-werden | |
[2] https://www.abokiste-apfeltraum.de/ | |
## AUTOREN | |
Annette Jensen | |
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