| # taz.de -- Staatssekretärin über Stadt-Land-Politik: „Das System ist ein a… | |
| > Die Grüne Manuela Rottmann kommt aus der Rhön und macht Bundespolitik. | |
| > Viele ihrer Kolleg*innen erforschten ländliche Gegenden „wie fremde | |
| > Galaxien“, sagt sie. | |
| Bild: Die Grüne Manuela Rottmann, Staatssekretärin im Bundesministerium für … | |
| taz: Frau Rottmann, Sie gehören zu einer urban-kosmopolitisch-akademischen | |
| Mittelschichtspartei. Aber auf Ihrer Website sitzen Sie allein in | |
| Wanderkleidung in einer menschenleeren Wald-und-Wiesen-Landschaft und haben | |
| einen sehr rustikalen Blick. Was wollen Sie damit sagen? | |
| Manuela Rottmann: Oh Gott! | |
| Bitte. | |
| Ich komme aus der bayerischen Rhön, und wir gehen in der Freizeit | |
| tatsächlich viel wandern. Wir haben recht wenig Touristen, deshalb sind wir | |
| halt unsere eigenen Touristen. Aber warum ich gucke, wie ich gucke? | |
| Wahrscheinlich frage ich mich, wann wir endlich mit dem Fotografieren | |
| fertig sind. | |
| Vielleicht ist das Foto ein Signal an Ihre Leute im ländlichen Wahlkreis: | |
| Ich bin eine von euch? | |
| Ich bin eine dieser ersten Studierenden in einer Familie. Meine Eltern sind | |
| noch in die Volksschule gegangen mit Kindern aller Jahrgänge in einer | |
| Klasse. Mein Vater war Polizist, meine Mutter Bedienung. Ich bin meinen | |
| Wurzeln immer noch sehr verbunden. Vielleicht kann ich sogar sagen, dass | |
| ich in mehreren Welten lebe. | |
| Andere Grüne halten Hühner und Schweine oder Kühemelken offenbar für etwas | |
| Minderwertiges. Sie nennen sich in Ihrer Twitterbio selbst „Freilandei“. | |
| Warum? | |
| Zunächst mal gibt es heute unterschiedliche ländliche Räume, es gibt | |
| verlassene Gegenden, es gibt Hightech-Land mit hoch qualifizierten Leuten | |
| und erheblichem Wohlstand, es gibt industrielle Landwirtschaft. Aber | |
| biografisch war mein Leben auf dem Land noch mit der kleinbäuerlichen | |
| Landwirtschaft und mit viel Freiheit verbunden. Meine Großeltern hatten | |
| Bauernhöfe, meine Tante einen Hof mit Kühen und Schweinen. Für mich war das | |
| Leben dort deswegen Freiheit, weil man da relativ schnell erwachsen war. | |
| Man durfte Bulldog fahren und im Sommer so lange aufbleiben, bis der letzte | |
| Mähdrescher fertig und das Stroh drinnen war. | |
| Wie romantisch! | |
| Ich will meine Landjugend gar nicht idealisieren. Als Teenager bin ich in | |
| eine Gegend gezogen, in der es damals keine Zugverbindung in die Großstadt | |
| gab. Es gab auch noch kein Internet, und ich habe gedacht: Um Gottes | |
| willen, jetzt ist dein Leben vorbei. | |
| Sie reden von Hammelburg im unterfränkischen Landkreis Bad Kissingen. | |
| Genau, mit heute knapp elftausend Einwohnern. Tatsächlich war es aber auch | |
| eine ziemlich freie Zeit. Wir durften als Jugendliche sehr viel, und keiner | |
| hat gefragt, wo wir sind. | |
| Unfassbar für heutige Kontrolletti-Eltern, dass diese Landeltern sich null | |
| gesorgt haben, solange man um 19 Uhr zum Abendbrot erschien. | |
| Ja, wir waren deutlich länger weg als 19 Uhr. Das war total egal. | |
| Wir sind vom Land geflohen, weil uns das alles so schlimm schien und | |
| teilweise auch war. Bei Ihnen nicht? | |
| Ich wollte mit 19 unbedingt weg, aber nicht nach München. Ich wollte in | |
| eine richtige Großstadt, die auch etwas wild und gefährlich ist. Deshalb | |
| bin ich nach Frankfurt. | |
| Und wurden später grüne Umwelt-Dezernentin der Stadt. | |
| Ich habe dort oft über die Rückkehr aufs Land nachgedacht. Ein guter Freund | |
| von mir war Planungs- und Baudezernent, und wir gerieten beide mitten in | |
| diese Welle der Mega-Urbanisierung. Jedes Jahr sind Tausende zugezogen, der | |
| Druck auf Städte und Ballungsräume wurde immer größer. Die Frage, welche | |
| Grünfläche ich noch retten kann, schien immer unlösbarer, weil wir ja auch | |
| Schulen, Kitas und Wohnungen brauchten. Aber Frankfurt ist nicht so weit | |
| von dort, wo ich herkomme. Deswegen war ich immer viel zu Hause. | |
| Frankfurt war nicht „zu Hause“? | |
| Ich bin in Frankfurt schon heimisch geworden, aber irgendwann hatte ich die | |
| Stadt satt. Auf dem Land ist man doch mehr eine dreidimensionale Person. | |
| Das bedeutet? | |
| Die menschlichen Beziehungen sind intensiver. Man weiß, wer mit wem | |
| verwandt ist, wer wohin gehört, wie die Mutter gestorben ist. Klar, das | |
| kann auch ein Nachteil sein. Aber in der Stadt fand ich die Beziehungen | |
| irgendwann oberflächlicher. | |
| Nach fünf politikfreien Jahren als Juristin für die Bahn wurden Sie 2017 | |
| Bundestagsabgeordnete. Seither sagen Sie in jeder Rede: Die | |
| sozialökologische Lösung kommt vom Land. Aber die Bundestagsfraktion der | |
| Grünen ist doch kulturell und auch politisch anders fokussiert? | |
| Es gibt einen stadtzentrierten Blick, das stimmt. Der ländliche Raum war in | |
| der Grünen-Fraktion in der Vergangenheit nicht sehr stark repräsentiert. | |
| Und in den letzten vier Jahren war die ganze Bundespolitik in meiner | |
| Wahrnehmung sehr ballungsraum-zentriert. Das wird dadurch verstärkt, dass | |
| die meisten, die über Bundespolitik schreiben, auch in der Stadt leben. Die | |
| städtischen Probleme prägen ihren Alltag: Wohnungssuche, volle S-Bahnen, | |
| fehlende Kitaplätze. Der ländliche Raum kam zuletzt hauptsächlich im | |
| Zusammenhang mit der AfD und Ostdeutschland vor. | |
| Die Medien sind schuld, oder worauf wollen Sie hinaus? | |
| Nein, es geht darum: Finde ich eine eigene Sprache, um aus meiner eigenen | |
| Perspektive auch in Berlin über meine eigene Heimat zu reden? Oder | |
| übernehme ich den Sound, den mir andere vorsprechen? Das Schlimmste ist, | |
| wenn Großstädter denken, sie hätten den ländlichen Raum verstanden, und | |
| dann darüber schreiben. | |
| Warum? | |
| Sie meinen es gut. Aber man merkt den Texten an, dass sie mit einem urbanen | |
| Blick geschrieben wurden. | |
| Haben Sie ein Beispiel? | |
| Über Bayern hieß es mal in einem Papier: lebendige Städte, attraktives | |
| Land. | |
| Was ist daran schlimm? | |
| Da wird ein Gegensatz aufgemacht, der so nicht stimmt. Zugespitzt heißt das | |
| doch: Bei mir in der Stadt ist es lebendig – und wenn ich es schön haben | |
| will, fahre ich am Wochenende raus zur attraktiven Leiche. Totale | |
| Stadtperspektive. Genauso die Formulierung: Das Land muss gut erreichbar | |
| sein. Warum? Damit der Städter gut rausfahren kann? Auch der | |
| Grünen-Bundestagskampagne hat man die Stadtperspektive angemerkt. | |
| Sie meinen den Wahlslogan: Bereit, weil ihr es seid? | |
| Ich hatte meine Zweifel, ob der überall funktioniert. | |
| Das Problem war über die Ansprache hinaus meines Erachtens, dass die Leute | |
| eben nicht bereit waren, wegen Pandemiestress selbst die nicht, die es | |
| sonst gewesen wären. | |
| Die Grünen hatten bei der Wahl die größte Spannbreite: Spitzenergebnisse in | |
| Ballungsräumen und nicht so tolle Ergebnisse auf dem Land. Danach hatte der | |
| ländliche Raum plötzlich Konjunktur und bekam eine eigene Arbeitsgruppe | |
| „Stadt und Land“ in den Koalitionsverhandlungen. | |
| Die Sie für die Grünen geleitet haben. Wie lief es da? | |
| Die Energiewende war ein großes Thema. Von Berlin aus ist die Perspektive: | |
| Wir müssen ausbauen, ausbauen, ausbauen, zwei Prozent der Landesfläche so | |
| schnell wie möglich für Windräder nutzen. Ja, das müssen wir. Ich weiß | |
| aber, dass es momentan bei den Freiflächen-Photovoltaik-Anlagen genauso | |
| rappelt wie zuvor bei der Windenergie, als wir von einer bürgerbetriebenen | |
| zu einer investorengetriebenen Planung wechselten. Die Folge war, dass die | |
| Leute sich nicht mehr mit der Energiewende identifizieren konnten. | |
| In Juli Zehs Roman „Unterleuten“ gibt es den Grünen-Gründer, der aufs Land | |
| zieht und plötzlich gegen Windenergie kämpft, weil die Mühlen in Sichtweite | |
| seines Hauses stehen sollen. | |
| Das hat mit legitimen Interessenkonflikten vor Ort wenig zu tun. Schwierig | |
| wird es, wenn sie projiziert werden auf einen Konflikt „Stadt gegen Land“. | |
| Den Stadt-Land-Konflikt gibt es nicht? | |
| Doch, aber es gibt auch unterschiedliche Sphären auf dem Land, die so wenig | |
| miteinander zu tun haben, dass sie kaum gemeinsame Lebenserfahrung teilen. | |
| Und es gibt Leute dort, die den Eindruck haben, ihre Probleme werden nicht | |
| gesehen. Ich glaube, es fehlt an Übersetzern zwischen diesen Welten. | |
| Sie sind eine Übersetzerin? | |
| Ich begreife es als Glücksfall, dass ich in beiden Welten zu Hause bin. Bei | |
| den Koalitionsverhandlungen habe ich auch immer Runden mit | |
| Kommunalpolitikern gedreht, um deren Sicht und Probleme zu integrieren. | |
| Aber auch in der Koalitionsarbeitsgruppe habe ich gemerkt, dass es immer | |
| schwierig wird, wenn Parteifunktionäre mit Stadtblick sagen: Ich überlege | |
| mir da mal was für den ländlichen Raum. | |
| Wie moderieren Sie das ab? | |
| Ich sage: Nein, du kannst dir dafür gar nichts überlegen, weil du es nicht | |
| verstehst, weil du es nicht siehst oder weil du nicht das Gefühl dafür | |
| hast. Der Grundgedanke von Winfried Kretschmanns Politik des | |
| Gehörtwerdens, die ich sehr teile, ist ja der emanzipative Ansatz: Du bist | |
| Teil des Dialogs, ich höre dir zu, du bist Akteur. Aber statt mit den | |
| Leuten zu reden, erforschen viele den ländlichen Raum wie fremde Galaxien | |
| und denken sich dann etwas dafür aus. | |
| Gendern Sie eigentlich im Wahlkreis? | |
| Ich mache nicht dieses Pausen-Gendern, aber ich spreche bewusst Frauen an. | |
| Ich habe nur männliche Landräte und nur zwei Bürgermeisterinnen, die | |
| spreche ich extra an, denn das Problem ist, dass es so wenige gibt. | |
| Entscheidend ist für mich nicht, ob die Leute gendern, sondern dass wir | |
| mehr Frauen in die Parlamente kriegen. Das ist auch so eine | |
| Stadtperspektive, zu unterstellen, das Gendern komme auf dem Land sicher | |
| gar nicht gut an. Die Debatte darüber kommt auf dem Land überhaupt nicht | |
| an. Es ist den Leuten egal, und so ist es mit vielen Themen aus der | |
| Stadtperspektive. | |
| Sind Sie die Dorftante der Grünen? | |
| Sagen wir es so: Ich kämpfe immer noch darum, dass diese andere Perspektive | |
| stattfindet. Ob ich die Dorftante bin, weiß ich nicht. Ich war lange die | |
| CSU-Erklärerin. | |
| Die CSU musste man den Grünen auch erklären? | |
| Na ja, wenn ein Grüner in Frankfurt Politik macht, hat er meist niemanden | |
| im Bekanntenkreis, der irgendeine Berührung mit CDU-Wählern hat. Das ist | |
| auf dem Land völlig anders. Ich komme aus einer CSU-Familie. Ich bin zu den | |
| Grünen gegangen aus tiefstem inneren Protest gegen die CSU. Und auf der | |
| anderen Seite steht die CSU natürlich auch für das Biotop, in dem ich groß | |
| geworden bin. Mein Opa war stolz, als er nach München eingeladen wurde, um | |
| für seine langjährige CSU-Mitgliedschaft geehrt zu werden. Die Erklärerin, | |
| das war meine Rolle, in beide Richtungen. | |
| Was ich nicht verstehe: Obwohl Sie habituell und perspektivisch nah bei den | |
| Leuten zu sein scheinen, haben Sie nur 9,5 Prozent Erststimmen geholt. Das | |
| ist weniger als Ihre künftige Vorsitzende Ricarda Lang. | |
| Ich war am Wahlabend schon ein bisschen deprimiert, zumal ich 2019 bei der | |
| Landratswahl 24 Prozent geholt hatte. Aber der Wahlkreis ist dünn besiedelt | |
| und hat viele ältere Wähler. Bevor Leute, die jahrzehntelang CSU gewählt | |
| haben, bei einer Bundestagswahl grün wählen, gehen sie zu den Freien | |
| Wählern. Was wir in den letzten vier Jahre geschafft haben, ist, dass die | |
| Leute sagen: Die Grünen sind nicht alle irre. | |
| Sie haben im Wahlkampf als ein Mobilitätsziel genannt, dass Familien auf | |
| dem Land ohne das dritte oder vierte Auto auskommen. Da sträuben sich dem | |
| normalen Grünen die Haare. | |
| Weil der normale Grüne nicht unbedingt weiß, dass auf dem Land der Vater | |
| mit dem Auto zur Arbeit fahren muss, die Mutter auch eins braucht, und dann | |
| muss Junior mit dem Auto zum Ausbildungsplatz – und irgendwann braucht die | |
| Tochter auch noch eins. Das Problem ist: Oft geht es nicht anders. | |
| Weil kein Zug hält und kein Bus fährt? | |
| Genau. Die CSU hat diesen Auto-zentrierten Lebensstil immer weiter | |
| fortgeschrieben mit riesigen Supermärkten am Ortsrand, noch einer | |
| Umgehungsstraße, noch einem Kreisel und so weiter. Diese politische Planung | |
| fördert einen Lebensstil, bei dem nichts überlebt, was nicht einen riesigen | |
| Parkplatz hat. Und wenn ich eh Auto fahren muss, kann ich auch noch weiter | |
| raus ins Neubaugebiet ziehen. Und gleichzeitig verödet der Ortskern. | |
| Es fährt wirklich gar kein Bus? | |
| Doch, aber bis man rausgefunden hat, wann der nächste Bus fährt, hat man | |
| schon seinen Führerschein gemacht. | |
| Das ist sehr süffig gesagt, aber wo ist die Perspektive? | |
| Meine Rolle als Grüne auf dem Land ist es, den Leuten nicht nach dem Mund | |
| zu babbeln. Dafür haben sie ja schon die CSU. Ich möchte, dass sie sich ihr | |
| Leben anders vorstellen können, Optionen haben. Nur: Je länger das | |
| momentane System gefüttert wird, desto schwerer wird es, den Hebel | |
| umzulegen. | |
| Als Staatssekretärin im Landwirtschaftsministerium: Wie macht man heute | |
| Landwirtschaftspolitik? | |
| Indem man Gesellschaftspolitik macht. Es ist eine fundamentale Entscheidung | |
| für uns alle, ob wir es künftig schaffen, uns zu ernähren, ohne die Grenzen | |
| des Systems so zu überschreiten, wie wir das im Moment alle tun. Der Ausweg | |
| ist nicht die Nische, also der eine schöne Dorfladen, wo dann der eine | |
| Nebenerwerbsimker seinen Honig verkauft, während wir nebenan ein Baugebiet | |
| oder einen Supermarkt nach dem anderen hinstellen, egal, ob die | |
| Bevölkerungszahl stagniert oder gar sinkt. | |
| Die Lebensmittel werden auf dem Land produziert, aber die Leute müssen zum | |
| Einkaufen in die Stadt. | |
| Es ist auf dem Land verrückterweise sehr schwer, sich regional zu | |
| versorgen, obwohl die landwirtschaftliche Produktion vor Ort ist. Viele | |
| sind entfremdet von diesem System, Konsumenten wie Produzenten. Die | |
| landwirtschaftliche Produktion geht heute nicht vom Feld in die Region, das | |
| geht alles weit weg. Und damit die Wertschöpfung. Das wieder unter einen | |
| Hut zu bringen ist die Aufgabe. | |
| Manche Dorfbürgermeister sind froh, wenn sie wenigstens einen Discounter an | |
| den Ortsrand kriegen. | |
| Ich finde es schon absurd, bei gleichbleibender Verbraucherzahl immer | |
| größere Märkte neu auf die grüne Wiese zu bauen, weil man damit immer noch | |
| Geld verdienen kann. Wenn die Wiese billiger ist als eine Bestandsnutzung, | |
| das gilt für Wohnen und Gewerbe, werden wir diese Entwicklung nicht | |
| stoppen. Diese Flächenverschwendung bedeutet übrigens auch, dass es keinen | |
| vernünftigen Nahverkehr geben kann. Wenn sich eine Ortschaft immer mehr in | |
| die Breite frisst, wird der Weg zur Bushaltestelle immer weiter. | |
| Sie sind im Bundes- und im Kreistag: Was ist der wichtigste Unterschied? | |
| Das System auf dem Land ist ein anderes als in der Stadt. Das reicht von | |
| der Presse bis zur politischen Kultur. So ruppig, wie ich in Berlin | |
| manchmal bin, kann ich im Kreistag nie sein. | |
| Warum nicht? | |
| Ich merke, dass mich die Rollenerwartungen beeinflussen, etwa dass Frauen | |
| sich eher zurückhalten sollen. Und ich merke an den Reaktionen, wie krass | |
| die Provokation ist, wenn ich es mal nicht tue. Es geht immer auch um | |
| Status und Gesichtswahrung. Ich bin viel länger in der Politik als die | |
| meisten und könnte sie argumentativ übertrumpfen. Aber inhaltlicher Streit | |
| wird manchmal auch als Respektlosigkeit wahrgenommen. Dann heißt es sofort: | |
| Ich lasse mir doch von Ihnen den Landkreis nicht schlechtreden. | |
| Was antworten Sie? | |
| Ich rede den Landkreis nicht schlecht, Herr Landrat, der Landkreis ist | |
| wunderbar. Aber beim Nahverkehr ist objektiv viel Luft nach oben. Andere | |
| Meinungen zu vertreten kostet auf dem Land viel Kraft. Das ist alles andere | |
| als ein herrschaftsfreier Diskurs. Und dann ist da noch eine fundamentale | |
| Sache. Egal, ob du immer geblieben oder zurückgekommen bist: Auf dem Land | |
| musst du dich entscheiden, ob du dich anpasst oder nicht. Wenn du dich | |
| nicht anpasst, gehörst du schnell nicht dazu. | |
| Wie ist das denn bei Ihnen, sind Sie nun Stadttante oder Dorftante, draußen | |
| oder drinnen? | |
| Manchmal frage ich mich das auch: Bin ich da eigentlich der Freak oder | |
| gehöre ich dazu – oder wechselt das? Es gibt ländliche Milieus, die total | |
| liberal sind. Dazu gehöre ich auf jeden Fall. Aber wenn ich nach der | |
| Maibaumaufstellung mit den Leuten ein Bier oder einen Schoppen trinke, dann | |
| gehöre ich auch dazu. | |
| 12 Feb 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Unfried | |
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