Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Berliner Verkehrspolitik: Friedrichstraße frei für Autos
> Das Verwaltungsgericht erklärt die Sperrung der Friedrichstraße für
> ungültig. Die freie Fahrt für Autos könnte aber begrenzt sein.
Bild: Nach einem Gerichtsurteil sollen Autos wieder durch die Friedrichstraße …
Berlin taz | Schluss mit Flanieren oder Radfahren, ungestört vom
motorisierten Verkehr: Binnen 14 Tagen sollen wieder Autos durch den seit
August 2020 für Kraftfahrzeuge gesperrten Abschnitt der Friedrichstraße
fahren. Radstreifen, rund 20 Sitzgelegenheiten und etwa 24 gläserne
Schaukästen sollen bis dahin verschwunden sein. Das hat das
Verwaltungsgericht am Dienstag verkündet.
Die Richter gaben damit der Klage einer Geschäftsinhaberin an der
Friedrichstraße im Eilverfahren recht. Die Voraussetzungen für eine
Straßensperrung lägen nicht vor, urteilten die Richter. Denn eine
Straßennutzung könne nur dann eingeschränkt werden, wenn es eine „konkrete
Gefahr für die Sicherheit“ gebe. Die Senatsverwaltung für Verkehr habe die
Sperrung für Autos aber nur mit mehr „Aufenthaltsqualität in der
Friedrichstraße“ begründet. Das reiche nicht aus.
Eine spätere, langfristige Umgestaltung zur Fußgängerzone betrifft der
Eilentscheid aus Sicht von Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) nicht.
„Das Verfahren zur endgültigen Umwandlung und die Einrichtung der
Fahrradstraße in der Charlottenstraße laufen unabhängig von der heutigen
Gerichtsentscheidung weiter“, hieß es von der Grünen-Politikerin. Ob es
außerdem zu einem Berufungsverfahren am Oberverwaltungsgericht gegen den
Eilentscheid kommt, ließ die Jarasch-Verwaltung am Dienstag offen.
Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) gab indes am Dienstag
nach der Senatssitzung zu verstehen, dass sie eine schnelle Umsetzung der
Gerichtsentscheidung erwarte: „Es ist ein Urteil gefallen, und das muss
auch zügig umgesetzt werden“, sagte Giffey.
Die Sperrung der Straße hatte im Spätsommer 2020 nach viel Vorlauf als
sogenannter Verkehrsversuch begonnen. Die Entscheidung, den knapp einen
halben Kilometer langen Abschnitt zwischen Leipziger Straße und
Französischer Straße Fußgängern und Radfahrern vorzubehalten, sollte die
Straße beleben – Händler zeigten sich aber schon damals skeptisch, sie
befürchteten Umsatzeinbußen und weniger Publikumsverkehr.
Die im Dezember 2021 ins Amt gekommene neue grüne Verkehrssenatorin
[1][Bettina Jarasch stoppte im Frühjahr] das Projekt ihrer Vorgängerin
Regine Günther. Zu groß war die Rückmeldung, dass der Radverkehr auf zwei
Spuren in der Mitte der Straße einer echten „Flaniermeile“ im Weg steht.
Dort ist das Tempo zwar auf 20 km/h beschränkt – viele Radler sind aber
schneller unterwegs.
Jaraschs neuer Ansatz: Die Sperrung beibehalten, aber [2][den
Fahrradstreifen in der Mitte beenden und Radler] durch benachbarte Straßen
führen. Für dieses Ziel „Fußgängerzone“ läuft ein Antrag der
Jarasch-Verwaltung beim Bezirksamt Mitte, der die Einstufung der
Friedrichstraße als öffentliche Autostraße beenden soll.
Kommt der durch, wäre die Rechtsgrundlage eine andere. Die Verkehrsbehörde
müsste sich nach einer solchen offiziellen Umwidmung nicht mehr auf den
Gefahren-Paragrafen berufen. Laut einer Sprecherin von Jarasch soll dieser
„verwaltungsrechtliche Prozess“ im Frühjahr 2023 abgeschlossen sein.
Beschleunigen könne man das Verfahren nicht, „weil Fristen eingehalten
werden müssen“, hieß es. Ein weiterer Senatsbeschluss für eine autofreie
Friedrichstraße sei dann aber nicht erforderlich.
## Steilvorlage für Opposition
Die Opposition nahm das Urteil am Dienstag als Steilvorlage: „Diese
Klatsche für den rot-grün-roten Senat war absehbar“, war von CDU-Partei-
und Fraktionschef Kai Wegner zu hören. Die Geschäftsleute in der
Friedrichstraße und den Nebenstraßen hätten deutliche Einbußen hinnehmen
müssen – „die Straße verkam zur Rennstrecke für Fahrradfahrer“.
Grundsätzlich wurde FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja: „Auf einen Senat,
der immer und immer wieder wissentlich Recht bricht, kann man sich nicht
verlassen.“ In der rot-grün-roten Koalition habe Ideologie dazu geführt,
„dass einem offensichtliche Rechtsvorschriften und die Anliegen der
Menschen egal sind“.
Die Interessenvertretung Mitte e. V., in der vor allem Gewerbetreibende
organisiert sind, forderte indes „eine internationale Ausschreibung für die
Historische Mitte unter verkehrspolitischen sowie städtebaulichen Aspekten
und keine provinzielle Planung um einen gescheiterten Verkehrsversuch von
ein paar Hundert Metern herum“.
Auch bei den Verkehrswende-Lobbyisten von Changing Cities war die erste
Reaktion am Dienstag eine entsetzte, aber aus anderem Grund: „Es ist
furchtbar, dass immer erst Menschen zu Schaden kommen müssen, bevor eine
verkehrliche Umgestaltung von Straßen möglich ist“, sagte Sprecherin
Ragnhild Sørensen der taz.
Sørensen spielte damit auf die strikte Auslegung des Gefahren-Paragrafen 45
in der Straßenverkehrsordnung an. Der hatte auch schon beinahe die
Pop-up-Radwege gekippt, die während der Pandemie entstanden – bevor die
Verkehrsverwaltung argumentativ nachbesserte. Nun müsse man bei der
Friedrichstraße aber in die Zukunft schauen, betonte Sørensen: „Bisher war
das Prinzip des Shared space in der Friedrichstraße nicht gut kommuniziert.
Das kann sich jetzt mit einem neuen Fußgängerkonzept ändern.“ Klar sei:
„Die Lösung kann ja nicht sein, einfach die Autos wieder zurückzuholen.“
Franziska Giffey machte indes klar, dass selbst eine Umwidmung zur
Fußgänger- und Radfahrerzone für sie nicht die Lösung sei: „Einfach
entwidmen und dann gucken, was wird“ sei nicht der richtige Weg. Es brauche
ein breit angelegtes Konzeptverfahren für den ganzen Bereich rund um die
Friedrichstraße, der auch die Charlottenstraße mit einbeziehe. Wann sich da
etwas bewegt, ist aber derzeit noch nicht absehbar. Die Verkehrsverwaltung
will dazu auch die Zivilgesellschaft beteiligen.
## Eine zweite Chance
Der Sprecher des Fußgänger-Lobby-Verbands Fuß e. V., Roland Stimpel,
betonte gegenüber der taz: „Das ist jetzt eine zweite Chance für die
Friedrichstraße.“ Statt schnurgerader, breiter „Radschnellwege“ müsse d…
Radverkehr „so geführt werden, dass auch Fußgänger tatsächlich flanieren
können“. Und an die Adresse des Einzelhandels in der Friedrichstraße: „Ich
hoffe, sie überlegen sich ihrerseits, wie sie Kunden zurückgewinnen wollen,
die sie jetzt durch die Autos und die schlechtere Luftqualität vor ihren
Geschäften vergraulen werden.“
25 Oct 2022
## LINKS
[1] /Aus-fuer-Fahrradspur-auf-Friedrichstrasse/!5847367
[2] /Flaniermeile-Friedrichstrasse/!5851884
## AUTOREN
Stefan Alberti
Anna Klöpper
## TAGS
Bettina Jarasch
Friedrichstraße
Kai Wegner
Bettina Jarasch
Wahlkampf
Wochenkommentar
Schwerpunkt Radfahren in Berlin
Berlin
Luft
Berlin
Paris
Bettina Jarasch
Friedrichstraße
## ARTIKEL ZUM THEMA
Fußgängerzone Friedrichstraße in Berlin: Angriff auf die Autofreiheit
Die GegnerInnen der autofreien Friedrichstraße blasen zum Widerstand per
Widerspruch. Auch vor das Verwaltungsgericht wollen sie wieder ziehen.
Wahlkampf in Berlin: Wegner fährt schon mal den Wagen vor
Die CDU hat Chancen, bei der Wahlwiederholung stärkste Partei zu werden.
Ihr noch recht unbekannter Spitzenkandidat wirbt um Stimmen bei
Autofahrern.
Urteil gegen autofreie Friedrichstraße: So oder so kommt die Fußgängerzone
Am Dienstag entscheidet sich, ob der Berliner Senat in Berufung geht. Schon
diese Woche hat Mitte den ersten Schritt zur Fußgängerzone eingeleitet.
Gekippte Teilsperrung der Friedrichstraße: Autos immer noch King
Das Berliner Verwaltungsgericht hat die Teilsperrung der Friedrichstraße
für Autos aufgehoben. Die Rechtslage ist pro Pkw und muss geändert werden.
Nach dem Urteil zur Friedrichstraße: Fairness gerät unter die Fahrräder
Regierungschefin Giffey (SPD) und ihre Vize Jarasch (Grüne) beharken sich
über die Zukunft der autofreien Friedrichstraße. Das erinnert an Wahlkampf.
Luftreinhaltung in der EU: Kommission fegt endlich Feinstaub
Brüssel schlägt neue Grenzwerte für Stickstoff und Feinstaub vor. Kritiker
fürchten Fahrverbote, anderen reichen die Werte nicht.
Koalitionsstreit um die Friedrichstraße: Gezerre um ein paar Monate
Die Regierende Giffey (SPD) will schnell wieder Autos auf der
Friedrichstraße sehen. Jetzt kommt es auf die grüne Verkehrssenatorin an.
Franziska Giffey und der Großstadtverkehr: Was Berlin von Paris lernen kann..
… bleibt auch nach dem Besuch von Berlins Regierender Bürgermeisterin
Franziska Giffey dort offen. Thema ist statt dessen ein Beinahe-Unfall.
„Flaniermeile“ Friedrichstraße: Parkplätze gibt`s jedenfalls genug
Die Auswertung des Verkehrsversuchs zur „Flaniermeile Friedrichstraße“
liegt vor. Vor allem bei den Gewerbetreibenden fand der Versuch wenig
Anklang.
Autofreie Friedrichstraße: Senator teilt Anrainer-Kritik
Stephan Schwarz fordert, auch wirtschaftliche Auswirkungen zu
berücksichtigen. Der Abschlussbericht zum Projekt „Flaniermeile“ soll
Montag vorliegen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.