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# taz.de -- Gekippte Teilsperrung der Friedrichstraße: Autos immer noch King
> Das Berliner Verwaltungsgericht hat die Teilsperrung der Friedrichstraße
> für Autos aufgehoben. Die Rechtslage ist pro Pkw und muss geändert
> werden.
Bild: Womöglich bald nicht mehr autofrei: ein Teil der Friedrichstraße
Das Signal ist fatal, denn es ist die Absage an die [1][Verkehrswende] im
Hier und Jetzt: Das Berliner Verwaltungsgericht hat einen [2][autofreien
Straßenabschnitt] in der Mitte der Hauptstadt kassiert. „Vorerst freie
Fahrt in der Friedrichstraße“, überschrieb die Pressestelle die
entsprechende Mitteilung.
So einfach ist es zum Glück nicht. Die Berliner Verkehrsverwaltung prüft
eine Beschwerde gegen den Beschluss beim Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg, und die hätte aufschiebende Wirkung. Doch egal, wie es
ausgeht, die Botschaft der Berliner Verwaltungsrichter:innen ist für
die gesamte Republik sehr unschön. Sie lautet: Seid vorsichtig, ihr
autoskeptischen Verkehrsplaner:innen in den Kommunen, dem Auto gebührt
weiterhin der Vorrang.
Der Hintergrund: Ein Teil der Friedrichstraße in Berlin-Mitte ist seit
August 2020 für den Autoverkehr gesperrt. Ursprünglich begründete der
Berliner Senat das mit einem Verkehrsversuch, der bis Oktober 2021 lief.
Anhängig ist ein Verfahren zur Umwandlung des Abschnitts in eine
Fußgängerzone, das Verfahren läuft noch. Noch immer ist der
Straßenabschnitt zwischen der Französischen Straße und der Leipziger Straße
für Autos gesperrt. Dort sind etliche Sitzgelegenheiten entstanden, die zum
Verweilen einladen.
Trotz aufgestellter Pflanzenkübel ist es zumindest tagsüber nicht sehr
idyllisch. Radfahrer:innen dürfen dort fahren, allerdings höchstens mit
20 Stundenkilometern – was von der Polizei durchaus kontrolliert wird. Es
hat sich gezeigt, dass die Koexistenz von Radler:innen und
Fußgänger:innen nicht unkompliziert ist. Fußgänger:innen empfinden
die durch den Straßenabschnitt mitunter rasenden Radler:innen mit Recht
[3][als Bedrohung] – deswegen sollen die Fahrräder auf eine Nebenstraße
geleitet und der Bereich zur reinen Fußgängerzone werden.
## Die Sache mit der „Gefahr“
Die Richter:innen gaben mit ihrer Entscheidung gegen die anhaltende
Sperrung der Inhaberin eines Weingeschäfts recht, die einen Eilantrag
gestellt hatte. Das Gericht argumentiert mit der Gesetzeslage: Jeder
Eingriff, der den fließenden Autoverkehr hemmt, muss ausführlich begründet
werden. Nur wenn Sicherheit und Ordnung gefährdet seien, sei eine Sperrung
rechtmäßig, sagen die Richter:innen. Es müsse „eine konkrete Gefahr
aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse“ bestehen. Der Senat habe
aber eine angenehmere Aufenthaltsqualität als Grund für die Sperrung
angeführt – und das rechtfertige die Sperrung nicht.
Das zeigt: Die Autofixierung des 20. Jahrhunderts findet weiterhin ihren
Niederschlag im Straßengesetz und in der Straßenverkehrsordnung. „Man kann
es kaum glauben, aber selbst im Jahr 2022 dürfen Behörden den öffentlichen
Raum erst dann den Menschen ohne Benutzung von Autos zur Verfügung stellen,
wenn zuvor jemand verletzt oder gar getötet wurde“, sagt Inge Lechner von
Changing Cities.
Weil das so ist, ändert sich im deutschen Straßenverkehr so wenig – obwohl
es eine große Bereitschaft in vielen Kommunen gibt, den Autoverkehr
zurückzudrängen. Aber Entscheider:innen haben Angst, dass ihnen ihre
Pläne zugunsten von Fußgänger:innen und Radfahrer:innen vor Gericht
um die Ohren fliegen, wenn jemand dagegen klagt. Das Urteil des Berliner
Verwaltungsgerichts wird landauf, landab Zögerer und Zauderer bestärken und
diejenigen bremsen, die für schnelle Veränderungen sind.
## Macht mal Druck
Organisationen wie der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club oder die
Verkehrsaktivist:innen von Changing Cities fordern vom Bund seit
Langem eine entsprechende Änderung der Rechtslage. SPD, Grüne und FDP haben
sich das auch vorgenommen, allerdings recht vage. „Wir werden
Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrsordnung so anpassen, dass neben
der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs die Ziele des Klima- und
Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung
berücksichtigt werden, um Ländern und Kommunen Entscheidungsspielräume zu
eröffnen“, heißt es im Koalitionsvertrag der Ampel.
Prioritär ist das für Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) aber offenbar
nicht. Die Grünen, die sich die Verkehrswende immerhin auf die Fahnen
schreiben, sollten das nicht einfach hinnehmen, sondern viel mehr Druck
machen.
Die in der Coronakrise besonders in Berlin entstandenen vielen
Pop-up-Radwege haben gezeigt, dass es auch ohne Änderung des
Straßenverkehrsgesetzes und der Straßenverkehrsordnung möglich ist, schnell
verkehrspolitisch etwas zu bewegen. Aber das ist schwer und erfordert Mut.
Gegen die Berliner Pop-up-Radwege gab es ebenfalls Klagen, aber die konnte
der Senat zum Glück parieren – auch wenn es zwischenzeitlich anders schien.
Die Rechtsunsicherheit dürfte einige Pop-up-Radweg-Projekte in der Republik
gestoppt haben. Das ist sehr schade, denn dass die Radinfrastruktur massiv
und schnell ausgebaut werden muss – auch um die Klimaziele im Verkehr zu
erreichen –, stellt niemand infrage.
Das Berliner Verwaltungsgericht hat eine Möglichkeit aufgezeigt, wie der
autofreie Abschnitt in der Friedrichstraße rechtssicher möglich gewesen
wäre, nämlich wenn der Senat ein umfangreiches Verkehrskonzept vorgelegt
hätte. Geschadet hätte das sicher nicht.
Doch eines ist klar: Das hätte gedauert. Der Senat wollte aber schnell
handeln, und das war richtig. Denn wer die Verkehrswende schnell will, muss
mitunter riskieren, dass Gerichte Projekte stoppen. So kann wenigstens
genug öffentlicher Druck entstehen, damit die antiquierten Verkehrsgesetze
endlich geändert werden.
26 Oct 2022
## LINKS
[1] /Verkehrswende-in-Oesterreich/!5874564
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[3] /Motorisierte-Gewalt-im-Strassenverkehr/!5875274
## AUTOREN
Anja Krüger
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