# taz.de -- Verkehrswende in Berlin: Ein Stoppschild für die Autonation | |
> In Berlin wird die Friedrichstraße zur Fußgängerzone mit Radweg. Ein | |
> Modellversuch auf 500 Metern, aber mit Bedeutung weit über die Stadt | |
> hinaus. | |
Bild: Im Oktober 2019 wurde die autofreie Straße schon einmal ausprobiert | |
Es ist nichts weniger als eine Revolution, die in Berlin am Samstag | |
offiziell gefeiert wird. Zugegeben, eine kleine nur, aber eben doch ein | |
Umsturz dessen Wert gar nicht hoch genug gehängt werden kann. Denn er hat | |
Bedeutung weit über die Haupstadt hinaus. | |
Worum es geht? Um knapp 500 Meter der Friedrichstraße in Berlin-Mitte, in | |
der auch das taz-Gebäude steht. [1][Mit wenigen Handgriffen wurde sie in | |
den vergangenen Tagen in eine verkehrsberuhigte Zone verwandelt] - für | |
einen Modellversuch bis Jahresende. Eine vier Meter breite Radspur in der | |
Mitte, dazu Bäume in schnell gezimmerten Trögen und Bänke für wandermüde | |
Flaneure. | |
Alles [2][was ansonsten in den letzten Monaten hier und da an Radwegen | |
aufpoppte], ist dagegen nur pillepalle. Hier wird nicht neben dem | |
Autoverkehr mehr oder weniger großzügig Platz geschaffen für | |
Radfahrer:innen. Hier werden Autos komplett ausgesperrt. Und das auf einer | |
der bekanntesten Straßen der Stadt. Die Friedrichstaße wird somit zur | |
ersten Fahrradstraße der Haupstadt, die diesen Namen auch verdient. | |
Dabei führt dieses Label in die Irre. Denn für die [3][Fahrradfahrer dieser | |
Stadt] haben die paar hundert Meter keine praktische Relevanz. Da die | |
restlichen zweieinhalb Kilometer der Magistrale autodominiertes Unding | |
bleiben, werden sie die Friedrichstraße weiterhin meiden. | |
## Zeigen, dass es geht | |
Also nichts als Symbolpolitik? Ja, genau! Diese Umwandlung ist ein | |
hochsymbolischer Akt. Sie zeigt, dass es geht. Wer hier langschlendert, | |
steht plötzlich mitten im verkehrspolitischen Utopia, das man bisher nur | |
von Reisen nach Amsterdam oder Kopenhagen kannte. | |
Die Unterbrechung der fast drei Kilometer langen Nord-Süd-Verbindung, die | |
sich schnurgerade durch Berlins Mitte zieht, wirkt wie ein unübersehbares | |
Stopp-Schild für die Autogesellschaft. Autos müssen draußen bleiben. Umwege | |
fahren. Oder besser noch: gar nicht fahren. | |
Die jetzt viel diskutierten Radler:innen sind auch nur Beiwerk. | |
Hauptprofiteure sind die Fußgänger:innen, denen nun bis zu 80 Prozent des | |
Straßenlandes gehören. | |
Ganz nebenbei könnte das auch noch die Friedrichstraße retten. Denn die | |
Einkaufsmeile, die nach der Wende von Investoren gern zum Ku'damm des | |
Ostens hochgejazzt worden wäre, lebt – wenn überhaupt – nur noch von ihrem | |
Image aus den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Trotz einiger | |
hochpreisiger Nobelschuppen am Rande hat sie kaum mehr Charme als eine | |
Fußgängerzone in Recklinghausen. Nur mit dem Nachteil, dass hier bisher | |
auch noch Autos durchbrausten. | |
Die trotz Corona wieder mehr werdenden Touristen, die sich dank ihrer | |
Reiseführer wieder dorthin verirren, werden ab sofort tatsächlich etwas zu | |
sehen bekommen. Ein Straße, die faktisch eine Fußgängerzone ist. Die, | |
gerade weil sie nur ein Provisorium ist, ihren Charakter als vom Auto | |
befreite Straße nicht verliert. Die sich – ob das nun stimmt oder nicht – | |
einreiht in die gern gepflegten Erzählungen vom rebellischen Berlin. Und | |
die genau deshalb dieses Bild in die Welt trägt: Die Postkartenidylle einer | |
Stadt, die eine Autokorrektur schafft. Und wenn auch nur auf 500 Metern. | |
28 Aug 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Friedrichstrasse-wird-Flaniermeile/!5707642 | |
[2] /Fahrrad-Boom-in-Corona-Pandemie/!5694408 | |
[3] https://youtu.be/AMOvQ-UrrxA | |
## AUTOREN | |
Gereon Asmuth | |
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