Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die BBC wird 100: Mutter aller Öffentlich-Rechtlichen
> Die Geschichte der BBC ist voller Brüche. Morgen feiert der
> öffentlich-rechtliche Rundfunk aus Großbritannien seinen 100. Geburtstag.
Bild: BBC-Mitarbeiter*innen bei der Arbeit in den 1940ern
Die BBC feiert morgen ihren hundertsten Geburtstag als Mutter aller
öffentlich-rechtlichen Medien. Das ist allerdings Quatsch, denn zum
wirklich dem öffentlichen Wohl, dem Public Service dienenden
Gesamtkunstwerk wurde die BBC erst am 1. Januar 1927. Da nämlich entstand
die BBC als gebührenfinanzierte Anstalt öffentlichen Rechts. Vorher war sie
schlicht ein kommerzielles Unternehmen, das US-amerikanische und britische
Radio-Gerätehersteller gegründet hatten, um ihre damals sehr teuren
Empfangsgeräte abzusetzen.
Die Geschichte der BBC ist voll von solchen Brüchen, und der beste
öffentlich-rechtliche Rundfunk der Welt lügt sich durchaus auch mal selbst
was in die Tasche. Zum Public Service Broadcaster wurde die BBC nämlich
schlicht deshalb, weil der kommerzielle Erfolg der British Broadcasting
Company – so der Name bis 1927 – ausblieb. Die britische Regierung hatte
aber Gefallen an einem nationalen Medium gefunden, das anders als die
Zeitungen berechenbar und beherrschbar blieb.
Ihren Ruf als unparteiische Stimme verdankt die BBC der Berichterstattung
über den Generalstreik 1926, der ganz Großbritannien lahmlegte. Die
Zeitungen waren klar positioniert und ließen die Argumente der jeweilige
Gegenseite schlicht weg. Auf dem Höhepunkt Anfang Mai 1927 erschienen sie
zudem gar nicht – es wurde ja gestreikt. Die BBC hatte also plötzlich das
totale Nachrichtenmonopol und ließ in ihrer Berichterstattung beide Seiten,
die Regierung und den Gewerkschaftsdachverband TUC, zu Wort kommen.
Allerdings, und damit folgt schon der nächste Mythos, dominierte in ihrer
Berichterstattung klar die Sicht der Regierung. Die oppositionelle Labour
Party durfte kaum vorkommen. Auch ein Friedensappell des Erzbischofs von
Canterbury, der der Regierung zu diesem Zeitpunkt nicht in den Kram passte,
wurde erst mit Verspätung ausgestrahlt.
## Mythos der „Impartiality“
Aber der Mythos der „Impartiality“ war geboren und BBC-Chef John Reith
verstand es, ihn einzusetzen. Was sich bis heute rächt. Denn der
schottische Calvinist Reith verordnete der BBC zwar ihren bis heute
gültigen Auftrag, „to inform, educate and entertain“, aber schuf auch ein
Dilemma. Wie „Information, Bildung und Unterhaltung“ durch die BBC
geleistet werden, entscheidet bis heute die Politik. Sie hat einen deutlich
größeren Einfluss auf die BBC als jedwede deutsche Politik auf ARD, ZDF &
Co.
Grundlage der BBC ist eine vom Parlament beschlossene „Royal Charta“, die
jeweils zehn Jahre gilt. Im Umkehrschluss heißt das, dass sich die BBC so
aber auch alle zehn Jahre abschaffen lässt, indem ganz einfach die Charta
nicht verlängert wird. Zudem entscheidet das Parlament über die Höhe der
Rundfunkgebühr und wer als Director General den Laden führt. Über
Jahrzehnte ging das gut. Und dass sich im vom Mehrheitswahlrecht geprägte
Britannien sowohl die Konservativen als auch die Labour Party von der BBC
unfair behandelt fühlten, war der beste Beweis, dass die BBC tatsächlich
weitestgehend alles richtig machte.
In Zeiten extremer werdender politischer Positionen bricht sich hier jetzt
aber eine Schwäche dieser staatsnahen Konstruktionen Bahn. Die letzten
konservativen Regierungen haben permanent ihren Einfluss genutzt, um die
[1][BBC in die vermeintlichen Schranken zu weisen]. Mit Tim Davie steht
aktuell ein ehemaliger konservativer Lokalpolitiker als [2][Director
General an ihrer Spitze], der sich sehr bemüht, es den Konservativen recht
zu machen. Doch die danken es ihm wenig.
Noch [3][unter Boris Johnson] wurde der sonst mit Inflationsausgleich
steigende BBC-Etat bis 2024 eingefroren. De facto kommt das einer Kürzung
um einen dreistelligen Millionenbetrag gleich. Johnson verbot seinen
Minister*innen sogar zeitweilig, bei BBC Radio 4 aufzutreten. Zum
Vergleich: Das wäre, als boykottierte die Bundesregierung den
Deutschlandfunk.
2027 steht nun die nächste Verlängerung der Royal Charter an. Die
Komplettabschaffung der BBC haben die Konservativen bislang zwar nicht im
Programm. Dafür ist aber schon beschlossene Sache, dass mit der
Rundfunkgebühr Schluss ist. Bleiben die Konservativen so lange am Ball,
steht zu befürchten, dass es mit weiteren runden BBC-Geburtstagen schwer
werden könnte.
Vielleicht hat deshalb die Schauspielerin Miriam Margolyes am Samstag in
ebenjenem Radio 4 mal wieder die Hörer*innen schockiert und die
Konservativen auf Zinne gebracht. Zu ihrer Meinung zum neuen
Finanzminister, Schatzkanzler Jeremy Hunt, gefragt, meinte sie jedenfalls
live und völlig ungerührt: „Fuck you, bastard.“
18 Oct 2022
## LINKS
[1] /Zukunft-der-BBC/!5826338
[2] /Umbruch-in-Grossbritannien/!5713104
[3] /BBC-unter-Druck/!5861357
## AUTOREN
Steffen Grimberg
## TAGS
BBC
öffentlich-rechtliches Fernsehen
Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk
Öffentlich-Rechtliche
England
Hessischer Rundfunk
Antisemitismus
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Kolumne Flimmern und Rauschen
Großbritannien
Fußball
BBC
Kolumne Flimmern und Rauschen
öffentlich-rechtliches Fernsehen
Schwerpunkt Rassismus
Kolumne Flimmern und Rauschen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Weniger Radio beim Hessischen Rundfunk: Große Unsicherheit beim HR
Der Hessische Rundfunk kündigt massive Sparmaßnahmen an. Viele
Mitarbeitende, vor allem freie, fürchten um ihre Arbeitsplätze.
Antisemitismus-Fälle bei der BBC: Angestellte nach Hetze entlassen
Die BBC hat nach antisemitischen Posts eine Angestellte entlassen.
Britische Medien berichten von weiteren Fällen bei der Rundfunkanstalt.
BBC und Nahost-Konflikt: Wer auf die Straße darf
BBC-Mitarbeiter:innen sollen von einer Demo gegen Antisemitismus
fernbleiben. Das zeigt, wie absurd die Idee vom neutralen Journalismus ist.
ARD reduziert Angebote: Gesundheitsmagazine in Behandlung
Die regionalen Gesundheitsmagazine der Dritten unterscheiden sich noch kaum
voneinander. Aber MDR hat nun sein Format „Hauptsache Gesund“ eingestellt.
Soziologe über britische Medienanstalt: „Unabhängigkeit der BBC ist Mythos�…
Die BBC gilt als Ikone der unparteiischen Berichterstattung. Doch der
Soziologe Tom Mills sieht sie eng mit dem britischen Establishment
verbunden.
Krise der BBC: Rot für Twittern
Ex-Fußballer Gary Lineker wird nach einer Regierungskritik als Moderator
suspendiert. Ist die BBC neutral?
BBC-Dokumentation: Solides Katastrophen-Einmaleins
Eine neue BBC-Doku-Reihe erklärt „Katastrophen, die Geschichte schrieben“
in 10 großen Fehlern. Das funktioniert gut, wirkt aber gekünstelt.
Rückzug von der Ifa: Adieu, ihr Alten
Die ARD zieht sich von der IFA zurück und will dafür ihre Präsenz auf der
re:publica stärken. Das Ziel: sich mit jungem Publikum austauschen.
Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Ein Fall für radikale Reformen
Die Öffentlich-Rechtlichen erstarren in absurden Strukturen. Nur: Statt
über Reformen wird hauptsächlich über Skandale diskutiert.
BBC in Kritik wegen Rassismus: Koloniale Sprachgewalten
Eine BBC-Journalistin zitiert in einem Beitrag das „N“-Wort. Der Sender
reagiert darauf verhalten und verärgert damit sein Publikum.
Zeitungen in Australien eingestellt: Rupert Murdoch schafft Fakten
Was treibt eigentlich Murdoch? Aktuell erscheinen mehr als hundert seiner
regionalen und lokalen Zeitungstitel zum letzten Mal in gedruckter Form.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.