# taz.de -- taz-Serie Nah am Wasser: Zu wenig im Fluss | |
> Die Panke, Berlins viertgrößter Fluss, könnte viel für den Klima- und | |
> Artenschutz tun. Doch die längst beschlossene Renaturierung kommt nur zäh | |
> voran. | |
Bild: Wo ist das Wasser hin? Ein Kind steht im ausgetrockneten Flussbett der Pa… | |
BERLIN taz | An der Luisen-Bibliothek im Wedding hat sie das meiste bereits | |
hinter sich: Nur noch wenige Kilometer trennen die Panke von ihrem Ziel, | |
dem Nordhafen-Vorbecken [1][gegenüber der Europacity]. 29 Kilometer ist das | |
Flüsschen lang, es entspringt im Barnim bei Bernau, knapp 18 Kilometer | |
verlaufen auf Berliner Stadtgebiet. Es ist kein leichter Weg: Eingezwängt | |
in Beton und Spundwände, begradigt und mit Wehren gespickt, ist die Panke | |
„stark durch den Menschen umgestaltet“, wie die Senatsumweltverwaltung | |
formuliert. Das „ökologische Potenzial“ werde leider nicht ausgeschöpft. | |
Man könnte sagen: ein Problemfluss. | |
Auch wenn die Panke klein ist, viel kleiner als die Spree: Egal ist das | |
nicht. Für die Biodiversität in der Stadt hat sie eine Bedeutung, die | |
[2][in Zeiten von Dürresommern] sogar zunimmt. „Die Stadt vertrocknet“, | |
sagt Tobias Krüger, Hydrologe an der Humboldt-Universität – und Gewässer | |
wie die Panke könnten helfen, das zu verhindern. Dazu müssten allerdings | |
Renaturierungspläne, die vor mehr als 10 Jahren angestoßen wurden, endlich | |
umgesetzt werden. | |
Krüger steht auf dem Fußgängerbrückchen, das neben der Bibliothek die etwa | |
drei Meter Wasser überspannt. Am Ufer gegenüber steht eines der alten | |
Mühlengebäude, die im 19. Jahrhundert die Panke säumten. Heute beherbergt | |
das unscheinbaren Gebäude Büros. Eine Böschung gibt es nicht: Die gemauerte | |
Kanalwand geht direkt in die Hauswand über. | |
Krüger, der auch [3][Flussspaziergänge an Panke und Spree] leitet, deutet | |
auf das Stein gewordene Ufer: „Man hat hier glatte Wände, ein | |
gleichförmiges Flussbett ohne Kiesel, es gibt wenig Schatten.“ Für die | |
Artenvielfalt, für die wenigen Fischarten, die es hier noch gibt, sei das | |
schlecht. Tatsächlich sieht man, wenn man ins sacht strudelnde Wasser | |
blickt: nackten Grund, ein paar grobe Steine, Müll. | |
Die Pläne, das zu ändern, datieren im Wesentlichen von 2010. Ein Jahrzehnt | |
zuvor, im Dezember 2000, war die Europäische Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) | |
in Kraft getreten. Sie soll die Wasserpolitik der EU vereinheitlichen. Die | |
Mitgliedstaaten verpflichten sich unter anderem, bis spätestens 2027 alle | |
Gewässer in einen „guten ökologischen und guten chemischen Zustand“ zu | |
bringen. | |
Davon ist die Panke weit entfernt, sagt Reinhard Hinkelmann von der TU | |
Berlin, der die Renaturierungspläne ab 2010 mitkonzipiert hat. Der Experte | |
für Wasserwirtschaft erklärt, der Fluss werde als „erheblich veränderter | |
Wasserkörper“ eingestuft – dabei gehe es nicht mehr um einen „guten | |
ökologischen Zustand“, sondern nur um „ein gutes ökologisches Potenzial�… | |
Mit anderen Worten: Man versucht zu retten, was zu retten ist. | |
Das Planwerk unter dem Motto „Die Panke 2015 – ein Bach wird naturnah“ | |
unterteilte den Fluss in 16 Planungsabschnitte. Sie legten dar, wie sich | |
die Panke durch den Schlosspark Niederschönhausen mäandern könnte, stellten | |
die Wiederansiedlung von Teichmuscheln und Wasserschwertlilien in Aussicht. | |
Für den Abschnitt an der Luisen-Bibliothek sahen sie eine | |
„Mindesthabitatausstattung“ vor: Sandbänke, kleine Inseln aus Steinen und | |
Totholz. 2015 verschwanden die Pläne jedoch weitestgehend in der Schublade. | |
„Damals wurden im Wasserwerk Tegel Rückstände des Arzneimittels Gabapentin | |
gefunden“, berichtet Reinhard Hinkelmann. Man stellte fest, dass sie aus | |
der Kläranlage Schönerlinde kamen, deren gereinigtes Abwasser über den | |
Blankenfelder und den Nordgraben in den Tegeler See geleitet wird. „Eine | |
Entfernung solcher Rückstände war in Kläranlagen nicht möglich.“ Um die | |
Wasserversorgung nicht zu gefährden, wurden die Schönerlinder Abwässer | |
fortan in die Panke geleitet. Das aber führte zu einer erheblichen Erhöhung | |
der Wasserstände. „Dafür waren die Renaturierungsmaßnahmen nicht | |
ausgelegt“, sagt Hinkelmann, „man hätte sie neu berechnen müssen.“ | |
Lediglich zwei Fischaufstiegshilfen wurden realisiert, in den Schlossparks | |
Buch und Niederschönhausen. Seit letztem Herbst wird zudem das | |
Nordhafen-Vorbecken entschlammt und eine Wanderhilfe eingebaut, mit der | |
Fische die gut 2,50 Höhenmeter Unterschied zum | |
Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanal passieren können. „Aktuell bewegt sich | |
die Maßnahme im geplanten Zeit- und Kostenrahmen“, heißt es aus der | |
Senatsverwaltung. Die Fertigstellung sei bis Mitte 2023 vorgesehen. | |
Auch in den Pölnitzwiesen tut sich etwas: Auf einem 3,5 Kilometer langen | |
Abschnitt nördlich der A10 bei Karow bis an die Landesgrenze soll die Panke | |
„naturnah“ werden – durch Verlegung und Verbreiterung des Flussbetts. Der | |
Start der Baumaßnahmen ist für „spätestens Anfang 2023“ anvisiert. Die | |
Renaturierungspläne seien übrigens keineswegs vergessen, so ein Sprecher | |
der Umweltverwaltung, vielmehr habe man sie „in weiteren Planungsschritten | |
konkretisiert“. Tatsächlich gibt es seit September 2019 einen | |
„Planfeststellungsbeschluss Ausbau der Panke Phase II“. | |
Verena Fehlenberg stellt das nicht zufrieden. Sie koordiniert die Berliner | |
Wassernetz-Initiative von Umweltverbänden wie BUND und Nabu. „Gerade im | |
Oberlauf der Panke, der nicht vom Schönerlinde-Problem betroffen ist, | |
könnte man schon viel weiter sein“, sagt sie. | |
Inzwischen hat sich die Wasserqualität im Unterlauf, also in den Bezirken | |
Pankow und Mitte, sogar noch verschlechtert: Ein Wasserzustandsbericht der | |
Umweltverwaltung vom Dezember 2021 stuft die Panke in die zweitschlechteste | |
Kategorie – „unbefriedigend“ – ein. Ein Hauptgrund: die steigende | |
Nährstoffbelastung, die auch durch Starkregenereignisse verursacht wird. | |
„Hier spiegeln sich die erheblichen Strukturdefizite durch Begradigung, | |
Abflusssteuerung und urbane Nutzung wider“, heißt es im Bericht. | |
„Wir müssen konsequenter [4][Flächen entsiegeln]“, sagt Verena Fehlenberg. | |
„Wenn Regen fällt, nutzen wir dieses Wasser zum einen noch nicht genug, zum | |
anderen fließt es teils ungereinigt über die Kanalisation in den Fluss.“ | |
Darin enthaltene Nährstoffe wie Phosphor sorgten für ein „Düngephänomen�… | |
das Algen wachsen lässt und Fischen sowie Kleinstlebewesen den Sauerstoff | |
nimmt. Eine „Netto-Null-Versiegelung“ – sprich: genauso viel Stadtfläche | |
wird entsiegelt wie zubetoniert – sieht der rot-grün-rote Koalitionsvertrag | |
erst für 2030 vor. | |
„Man hat in der Stadt vergleichsweise wenig Möglichkeiten, einen Fluss zu | |
renaturieren“, sagt HU-Wasserexperte Krüger. Die, die man habe, müsse man | |
aber viel besser nutzen. Er zeigt auf das Gebüsch am Uferweg zwischen | |
Osloer und Badstraße: „Hier könnte man beispielsweise die Struktur | |
zugunsten einer sanft ansteigenden Böschung verändern“, erläutert er. „D… | |
Fluss könnte sich ausbreiten und Mäander bilden.“ Das dauere nur wenige | |
Jahre. | |
Mäander sind gut, um das wertvolle Regenwasser im Boden zu halten, wie auch | |
Verena Fehlenberg fordert – das vielzitierte [5][Prinzip „Schwammstadt“]. | |
„Würde der Fluss langsamer fließen, hätte das Wasser mehr Zeit, im Boden zu | |
versickern“, erklärt Krüger. „Den Bäumen und Pflanzen würde das extrem | |
helfen.“ Und auch die Bildung von Grundwasser würde es positiv | |
beeinflussen. Das ist in Berlin zwar noch immer reichlich vorhanden, denn | |
Spree und Havel tragen über ihr Uferfiltrat zu einem halbwegs stabilen | |
Spiegel bei. Aber auch die Panke ist mit dem oberen Grundwasserleiter | |
verbunden. | |
„Früher wollte man das Wasser schnell aus der Stadt heraus haben“, erklärt | |
Krüger. „Nicht so sehr wegen Hochwassergefahr, sondern weil es so | |
verschmutzt war.“ Zahlreiche Mühlen und Gerbereien säumten im 19. | |
Jahrhundert die Ufer. Der Fluss war quasi ein Abwasserkanal, sagt Krüger. | |
Also begradigte man ihn, denn die Brühe sollte möglichst schnell raus aus | |
der Stadt. Das wiederum ermöglichte eine dichtere Uferbebauung, die nun die | |
Renaturierung erschwert. Denn natürlich braucht ein mäandrierender Fluss | |
Platz. | |
Planer Hinkelmann sagt, man müsse eben pragmatisch sehen, was umsetzbar | |
ist: Sandbänke oder Inseln aus Totholz seien relativ schnell umsetzbar, | |
ohne Flächenkonflikte zu provozieren. Und 2027 soll das Klärwerk | |
Schönerlinde in der Lage sein, auch Arzneimittelrückstände aus dem Wasser | |
zu filtern. Dann gibt es wieder etwas Hoffnung, dass bei der Panke etwas in | |
Fluss kommt. | |
Exkursion Am Sonntag, 11. 9., veranstaltet das Berliner Aktionsnetzwerk | |
Kleingewässer von 11 Uhr bis 13 Uhr einen [6][Panke-Spaziergang]. Auch eine | |
„biologische Gewässergütebestimmung“ wird durchgeführt. Treffpunkt: An d… | |
Pankgrafenbrücke in Karow. | |
9 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Berliner-Stadtplanung/!5564021 | |
[2] /Reaktionen-auf-Duerresommer-in-Klimakrise/!5878678 | |
[3] https://www.anthroposcenes.de/event-details/river-stories-a-walkshop-along-… | |
[4] /Klima-und-Stadtplanung-der-Zukunft/!5801115 | |
[5] /Neuer-Mischwasser-Speicher-in-Mitte/!5873291 | |
[6] https://bln-berlin.de/aktionsnetz-kleingewaesser/ | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
## TAGS | |
Renaturierung | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
taz-Serie Wasser | |
Spree | |
Wochenkommentar | |
Flüsse | |
Flüsse | |
Stadtland | |
Kolumne Poetical Correctness | |
Wochenkommentar | |
Benedikt Lux | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Umstrittene Bilanz beim Gewässerschutz: Zu wenig Geld fürs Wasser | |
Beim Gewässerschutz liegt vieles im Argen, sagen UmweltschützerInnen. Wir | |
tun schon ganz viel, sagt die grüne Senatsverwaltung. Recht haben beide. | |
Notstand der Flüsse: Transformation am Ufer | |
Eine Klimakrisen-Wirtschaft kann nur mit den Gesetzen der Flüsse | |
funktionieren. Die angebliche Versöhnung von Ökologie und Ökonomie ist | |
keine Option. | |
Gewässer und Klimawandel: Freies Fluten für die Havel | |
Um sie als Wasserstraße zu nutzen, zwängte schon das Kaiserreich die Havel | |
in ein zu enges Bett. Für viel Geld wird der Fluss jetzt renaturiert. | |
Vollautomatische Vogelbeobachtung: Den Piepmatz im Visier | |
Voller Technik schippert der ehemalige Schlepper „Zoë X“ durch den | |
Hamburger Hafen. Seine Mission: Vögel beobachten und ihr Verhalten zu | |
übermitteln. | |
Mitgefühl in der Klimakrise: Ich werde zum See und kippe um | |
Mitgefühl mit Menschen und Tieren ist einfach – doch mit Gewässern? | |
Vielleicht hilft es, sich zu erinnern, dass Menschen vorwiegend aus Wasser | |
sind. | |
Wasserpolitik in Berlin: Nichts Genaues weiß man nicht | |
Droht der Hauptstadtregion bald der Wassermangel? Die Ängste sind groß, | |
aber das konkrete Wissen überschaubar. Was bedeutet das für die Politik? | |
Grüner Umweltexperte über Wassernot: „Wasser ist noch wichtiger als Gas“ | |
Es könnte eng werden mit der Berliner Wasserversorgung, sagt Benedikt Lux | |
(Grüne). Das Land brauche deswegen die Möglichkeit, Wasser zu rationieren. |