# taz.de -- Klima und Stadtplanung der Zukunft: Die versiegelte Gesellschaft | |
> Schaffen wir die Trendwende und lernen, mit dem Wasser zu leben? Nach der | |
> Flutkatastrophe eine Bestandsaufnahme von der Ahr und dem Rest der Welt. | |
Bild: Aufnahme vom 18.7.2021, von der Flut zerstörte Brücke über die Ahr in … | |
Wie so oft sind es selbst erfahrene Bilder, die sich am stärksten von | |
Katastrophen einprägen. Als ich am Ende sintflutartigen Starkregens den | |
stark betroffenen Kreis Mettmann verließ, um mich in der Vulkaneifel zu | |
entspannen, machte ich mich unwillkürlich zu einer Odyssee auf, die mir die | |
wohlbekannten Landschaften als fremd und bedrohlich zurückspiegelte. | |
Kurz vor Neuwied weitete sich der Rhein auf die doppelte Breite und reichte | |
plötzlich bis zu den Bahngleisen. Wer unbedingt wollte, konnte sich | |
todesmutig durch das offene Zugfenster in die braunen Fluten stürzen. So | |
hatte man sich die beliebte „Waterstad“ nicht vorgestellt. | |
Maria Laach, Ziel meiner achtstündigen Irrfahrt entlang des Rheins im ÖPNV, | |
stellte sich gerade darauf ein, Flutopfer aus den benachbarten Ortschaften | |
aufzunehmen, aus Bad Münstereifel, Nettersheim und dem benachbarten | |
Ahrweiler. Die Benediktiner der Abtei Maria Laach beherbergten eine | |
Rollstuhlfahrerin, die vom Dach ihres Hauses durch einen Helikopter | |
gerettet wurde, und eine alte Frau mit Behinderung, die in den Fluten ihr | |
Hab und Gut verlor. Den Benediktinern lag es fern, das an die große Glocke | |
ihrer Abteikirche zu hängen, sie dachten nur an gelebte Gastfreundschaft. | |
Außerhalb von Ahr und Erft, außerhalb von Bächen wie der Düssel oder der | |
Rurtalsperre waren die Auswirkungen noch erträglich. Dennoch gaben Experten | |
wie der Biologe Wolfgang Büchs von der Uni Hildesheim zu bedenken, die | |
Ahrtal-Fluten seien höher als jemals zuvor gemessene Werte gewesen. | |
## Nürburgring statt Klimaschutz | |
Büchs benannte klar die Mängel: Besiedlung, Versieglung, Flurbereinigung | |
und Flussbegradigungen haben die extremen Folgen des Starkregens | |
begünstigt. Die politischen Fehlentscheidungen, die in der Region die | |
Katastrophe nährten, sind bekannt: Der Nürburgring wurde unweit der Ahr zur | |
„modernsten und sichersten Grand-Prix-Strecke der Welt“ ausgebaut. | |
Bis heute sind die Leute stolz auf das Prestigeprojekt in der Provinz. Bei | |
so viel Begeisterung für den Motorsport überrascht es nicht, dass man rund | |
um Ahrweiler und den Nürburgring auf öde Straßendörfer wie Mendig mit ihren | |
typischen Flächenversiegelungen trifft, die für den Eifeler zum Naturgesetz | |
wurden. Es scheint, über klimaresiliente Präventionsmaßnahmen hat hier noch | |
niemand ernsthaft nachgedacht. | |
Doch das Problem ist keineswegs eifeltypisch, sondern globaler Art. Die | |
Regionen, in denen die Zahl der von Hochwasser betroffenen Menschen in den | |
nächsten 15 Jahren drastisch steigen wird, befinden sich weniger in den | |
sogenannten unterentwickelten, sondern in den hochentwickelten Ländern mit | |
guter Infrastruktur. Man denke nur an die erst kürzlich von Starkregen | |
und Sturmfluten verwüsteten amerikanischen Ostküstenmetropolen New York und | |
New Orleans. Auch der kürzlich vom Hurrikan „Ida“ hervorgerufene | |
Starkregen war stärker als jemals zuvor. | |
Die größten Flutkatastrophen an der Ostküste waren alle in den letzten | |
Jahren: 2012 der Hurrikan „Sandy“ in New York mit 285 Toten und 2005 | |
„Katrina“ in New Orleans mit 1.836 Toten. Wenig ernüchternd sind die | |
Extrapolationen, die Klimaforscher vor einiger Zeit in Science | |
veröffentlichten: In den nächsten 15 Jahren rechnen sie für Deutschland mit | |
710.000 Flutopfern. Damit würde sich die Zahl der vom Hochwasser | |
Betroffenen versiebenfachen. | |
## Dämme alleine helfen wenig | |
Unmittelbar nach „Katrina“ war die Zeit noch nicht reif, die richtigen | |
Lehren aus der Katastrophe zu ziehen. Man setzte weiter auf die alten | |
Denkblockaden: Die US-Regierung steckte Milliarden Dollar in ein neues | |
Deichprojekt für New Orleans. Das führte lediglich dazu, das | |
Mississippidelta in ein Korsett endloser Dämme zu zwängen und New Orleans | |
vom Meer abzuschotten. Wirksame Präventionsmaßnahmen waren das nicht. | |
Erst nach „Sandy“ stellte sich allmählich die klimapolitische Wende ein. | |
Die Regierung verkündete das Wiederaufbauprogramm „Hurricane Sandy | |
Rebuilding Strategy – Stronger Communities, a Resilient Region“. Die | |
Amerikaner ließen sich dabei von holländischen Wasserexperten das | |
niederländische „Room for the River“ erläutern. Das beinhaltet | |
Flutungsräume an den Meeres- und Flussufern, ebenso riesige innerstädtische | |
Becken, die unter normalen Bedingungen von Skatern genutzt werden können. | |
Die Amerikaner staunten damals über die „Rotterdam Waterstad 2035“, die | |
Kanäle durch das Rotterdam südlich der Maas vorsieht. Zum ersten Mal hörten | |
sie, es käme weniger darauf an, sich durch riesige Deiche zu schützen, als | |
mit dem Wasser zu leben lernen. Das ist bekanntlich die probate | |
niederländische Überlebensmaxime. Tatsächlich waren es Rotterdamer, die in | |
New Jersey eine parkähnliche Überflutungszone mit weitläufigen Promenaden | |
und Freizeitangeboten errichteten. Und es waren Dänen, die für Manhattan | |
ein Zurückweichen der Stadt verordneten, um mehr Platz für Flutungszonen zu | |
schaffen. | |
## Wasser als Hauptgefahr | |
Trotz der zunehmenden Brandkatastrophen gilt weiterhin – wie die | |
Science-Autoren und der Rotterdamer Wasserexperte Henk Ovink betonen –, | |
dass nahezu 90 Prozent aller Umweltkatastrophen vom Wasser herrühren. Das | |
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung warnt deswegen: „Nichtstun | |
wäre gefährlich.“ Um die Sicherheit der Menschen weltweit zu gewährleisten, | |
müssten so schnell wie möglich wirksame Anpassungen vor Ort gegen mehr | |
Regen, Hochwasser und Fluten unternommen und der Ausstieg aus der Nutzung | |
von Kohle, Öl und Gas forciert werden. | |
Immerhin, das NRW-Umweltministerium legte bereits im Oktober 2020 das | |
Sofortprogramm „Klimaresilienz in Kommunen“ auf. Zahlreiche Kommunen waren | |
offenbar nicht sonderlich an dem Programm interessiert. Womöglich haben | |
sich einige, nach dem erneuten Förderangebot zur Klimawandelvorsorge von | |
Ende August 2021, eines Besseren besonnen. | |
Dennoch stellt sich die Frage: Mit welchen Präventionsmaßnahmen wird man | |
sich vor künftigen Hochwasserkatastrophen wappnen? Der erste Schritt war, | |
nach der Sintflut im Ahrtal die Betroffenen durch eine Wiederaufbauhilfe | |
von insgesamt 30 Milliarden Euro zu entschädigen. Es bleibt aber | |
zweifelhaft, ob die erforderlichen Präventionsmaßnahmen in den | |
Eifeldörfern, in denen der Autolobby quasi ein Naturrecht zukommt, zu | |
vermitteln sind. Und trotzdem darf keine Zeit verloren werden, da uns die | |
Katastrophen in immer kürzeren Abständen heimsuchen. | |
Für Nordrhein-Westfalen, wo der Anteil stark versiegelter Flächen in den | |
letzten 30 Jahren um rund ein Drittel gestiegen ist, hat das klare | |
Konsequenzen: Öffentliche Parkplätze und wenig befahrene Straßen müssten | |
größtenteils entsiegelt werden, ebenso zahlreiche private Flächen, damit | |
der Regen ins Grundwasser abfließen kann. Je mehr, desto besser. | |
## Kommunen in der Pflicht | |
Da viele Schottergärten, Stellflächen, Garagen, asphaltierte Wege und | |
wasserundurchlässige Terrassen in privater Hand sind, käme es darauf an, | |
auch die Hauseigentümer im Rahmen des Sofortprogramms „Klimaresilienz“ | |
finanziell einzubinden. Dabei geht es um flächendeckende Vorsorge, die von | |
den Kommunen zu steuern wäre. | |
Wie das möglich ist, zeigt sich in Bochum, wo SPD und Grüne ein | |
Förderprogramm zur Flächenentsieglung, Dach- und Fassadenbegrünung | |
aufgelegt haben. Das ist der richtige Weg, denn zur Klimaresilienz gehört | |
untrennbar die heute oft diskutierte Gebäuderesilienz. Was bedeutet, | |
[1][Gebäude ohne großen Aufwand an veränderte Umweltbedingungen | |
anzupassen]. Begrünte Dächer und Fassaden – wie es aktuell der | |
[2][Düsseldorfer Kö-Bogen II als Paradebeispiel für die Green City] | |
demonstriert – wirken wie ein Schwamm und vermögen 50 bis 80 Prozent der | |
Niederschläge zu speichern. Das ist der große Vorteil gegenüber Asphalt und | |
Beton, die lediglich die Hitze aufnehmen. | |
Bei allem sollte das stärkste Argument nicht vergessen werden: Entsiegelung | |
wäre endlich ein wichtiger Schritt hin zur lebenswerten Stadt. | |
26 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Klaus Englert | |
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