# taz.de -- Untersuchungen nach der Flut im Ahrtal: Wer verantwortet 130 Mensch… | |
> In Rheinland-Pfalz startet ein Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe | |
> im Ahrtal. Im Fokus steht das Handeln der Landesregierung in Mainz. | |
Bild: Ein Haus am Ufer der Ahr, völlig zerstört | |
Im Mainzer Landtag nimmt in dieser Woche ein parlamentarischer | |
Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Flutkatastrophe vom 14. Juli 2021 | |
seine Arbeit auf. Allein [1][im Ahrtal im Norden von Rheinland-Pfalz] | |
hatten in dieser Nacht mehr als 130 Menschen ihr Leben verloren, bei den | |
übrigen Schäden geht es um Milliardensummen. | |
Der von der CDU initiierte Untersuchungsausschuss will nun klären: Hätten | |
Menschenleben gerettet werden können? Haben Fehler und Versäumnisse der | |
Verantwortlichen die katastrophale Lage verschärft? Mit der Einsetzung | |
des Ausschusses zielt die Opposition auch auf Mitglieder der | |
Landesregierung aus SPD, Grünen und FDP. | |
Die erste Plenarsitzung nach sechs Jahren Bauzeit [2][im neuen, | |
grundsanierten Mainzer Landtagsgebäude] hatte sich Hausherr Hendrik Hering | |
(SPD) sicher anders – eher feierlich – vorgestellt. Doch nicht nur die | |
Flutkatastrophe auch ein zweites tragisches Ereignis im Land bestimmte am | |
Mittwoch die Tagesordnung: Der Mord an einem 20-jährigen | |
Tankstellenmitarbeiter, der kaltblütig erschossen wurde, offenbar weil er | |
lediglich auf die Maskenpflicht hingewiesen hatte. | |
[3][Die Mordtat in Idar-Oberstein] wertete Landtagspräsident Hering als | |
Zeichen dafür, „dass die Gefahr durch gewaltbereite Verschwörungsideologen, | |
Corona-Leugner und ‚Querdenker‘ unterschätzt wurde“. Hering betonte auch, | |
ohne die AfD direkt anzusprechen: „Auch die, die Beifall klatschen, diese | |
Taten bejubeln und rechtfertigen, müssen mit der vollen Härte des | |
Rechtsstaates zur Rechenschaft gezogen werden.“ | |
## Untersuchungsausschuss zur Flut | |
Dann widmete sich der Landtag der Flutkatastrophe. Mit den Stimmen der drei | |
Oppositionsparteien CDU, AfD und Freie Wähler – bei Enthaltung der | |
Regierungsfraktionen – setzte das Parlament den ersten | |
Untersuchungsausschuss dieser Legislaturperiode ein. Er soll aufklären, wie | |
es zu den verheerenden Überschwemmungen in Ahrtal kommen konnte. | |
„Zeigt sich in den Geschehnissen möglicherweise ein grundsätzliches | |
Systemversagen?“, fragte der Trierer CDU-Abgeordnete Gordon Schnieder. Auch | |
im Trierer Ortsteil Ehrang und in der Eifel hatte die Flut gewütet. | |
Schnieder sprach die persönliche Verantwortung Einzelner an und fragte: | |
„Hatten die Einsatzkräfte vor Ort, die Krisenstäbe und technischen | |
Einsatzleitungen ein echtes Lagebild oder sind sie möglicherweise blind | |
durch die Lage gestolpert?“ | |
Die CDU zielt damit indirekt auf Innenminister Roger Lewentz (SPD) und | |
Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne). Beide Mitglieder der Landesregierung | |
hätten die Alarmzeichen der drohenden Flut früher in ihrer Tragweite | |
erkennen und die Verantwortung an sich ziehen müssen, so die Unterstellung | |
der Landtagsopposition. | |
## Schwerer Fehler wird eingeräumt | |
Die CDU nimmt dabei in Kauf, dass damit auch die katastrophalen Fehler | |
eines Parteifreunds Gegenstand der parlamentarischen Untersuchung werden. | |
Das von Jürgen Pföhler geführte Landratsamt Ahrweiler hatte – trotz vieler | |
Warnungen – erst spät in der Nacht Katastrophenalarm ausgelöst. Der Landrat | |
selbst hatte die Verantwortung an seinen ehrenamtlichen | |
Feuerwehrkommandanten abgetreten – ein schwerer Fehler, wie längst auch | |
Parteifreunde wie die örtliche CDU-Bundestagsabgeordnete Mechthild Heil | |
einräumen. Gegen den Landrat und seinen Einsatzleiter ermittelt die | |
Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung durch | |
Unterlassen. | |
Die Regierungsparteien sicherten ihre konstruktive Mitarbeit bei der | |
Aufklärung im Ausschuss zu. Der Einsetzungsantrag der CDU sei jedoch | |
„unpräzise und ausufernd“, begründeten SPD, Grüne und FDP ihre | |
Stimmenthaltung. SPD-Fraktionschefin Sabine Bätzing-Lichtenthäler versprach | |
aber: „Wir werden Tempo machen. Die Menschen verdienen rasche und | |
fokussierte Ergebnisse.“ | |
Für die Freien Wähler stellte Stephan Wefelscheid die entscheidenden | |
Fragen: „Wurde den Menschen am Abend der Flutnacht wirklich geraten in den | |
Häusern zu bleiben? Warum wurde erst um 23.09 Uhr Katastrophenalarm | |
ausgerufen, wenn doch zu diesem Zeitpunkt schon fast seit drei Stunden die | |
Häuser unter Wasser standen und schon um 16.20 Uhr die Bürgermeisterin der | |
Verbandsgemeinde Altenahr angesichts der prognostizierten Pegelstände darum | |
gebeten hatte?“ | |
## 14. Juli, 17.17 Uhr: Warnstufe ‚lila‘ ausgerufen | |
Auch an die Adresse der Landesregierung richtete Wefelscheid, der für die | |
Freien Wähler als Obmann im Ausschuss sitzen wird, Fragen: „Wieso schlug | |
Umweltministerin Spiegel nicht Alarm, wenn doch das ihr unterstellte | |
Landesamt für Umwelt am 14. Juli ab 17.17 Uhr mit ‚lila‘ die höchste | |
Warnstufe ausgerufen hatte?“ Und Innenminister Lewentz müsse erklären, | |
warum er in der Nacht nicht den Krisenstab des Landes aktiviert habe. Vor | |
allem stelle sich die Frage, ob nicht wenigstens die BewohnerInnen von | |
Sinzig an der unteren Ahr rechtzeitig gewarnt und damit gerettet hätten | |
werden können, argumentierte Wefelscheid, der seine langjährigen | |
Erfahrungen als Rechtsanwalt in den Ausschuss einzubringen versprach. | |
Tatsächlich erreichte die Flutwelle die Stadt Sinzig im Mündungsgebiet der | |
Ahr in den Rhein erst nach Mitternacht. Eine plausible Erklärung dafür | |
könnte sein, dass die massive Straßenbrücke über die Ahr zwischen Ahrweiler | |
und Sinzig die tonnenschwere Masse von entwurzelten Bäumen, im Wasser | |
treibenden Autos und Teilen eingestürzter und mitgerissener Häuser für | |
Stunden aufgehalten hat. Die aus dem Oberlauf der Ahr nachfließenden | |
Wassermassen hatten dadurch einen gewaltigen Stausee gebildet. | |
Für diese These spricht auch, dass flussaufwärts in Ahrweiler auch | |
Ortsteile überschwemmt wurden, die mehr als 500 Meter vom Fluss entfernt | |
liegen und niemals zuvor von einer Flutwelle erfasst worden waren. Das von | |
der oberen Ahr nachfließende Wasser konnte einfach nicht abfließen. Brücke | |
und Geröll hatten sich demnach zu einer gigantischen Staumauer aufgetürmt. | |
Gegen Mitternacht, als das massive Brückenbauwerk dem Druck wohl nicht mehr | |
Stand halten konnte, ist dann die Brücke geborsten und in die Luft | |
geflogen. | |
## Richtung Rhein ein Knall | |
Ohrenzeugen berichten von einem ohrenbetäubenden Knall gegen Mitternacht. | |
Wie nach dem Brechen einer Staumauer eines künstlichen Stausees muss die | |
tödliche Flutwelle anschließend zu Tal geschossen sein, Richtung | |
Rheinmündung. Allein in Sinzig sind in dieser Nacht mehr als 30 Menschen zu | |
Tode gekommen. Viele von ihnen lebten in einer Wohneinrichtung der | |
Lebenshilfe für Menschen mit Behinderung. Wäre der örtliche | |
Katastrophenschutz früher und präziser informiert worden, wäre viele | |
Stunden Zeit gewesen, die Menschen aus dem überschwemmungsgefährdeten | |
Gebiet an der Ahr zu evakuieren. | |
Nicht zuletzt deshalb ermittelt die Staatsanwaltschaft Koblenz wegen des | |
Verdachts der fahrlässigen Tötung. Nach Auskunft von Landesjustizminister | |
Herbert Mertin (FDP) sind mit den strafrechtlichen Ermittlungen 70 bis 90 | |
LKA-Beamte und drei Staatsanwälte befasst. | |
Der Untersuchungsausschuss wird auf deren Arbeit Rücksicht nehmen müssen. | |
Ob das Gremium trotzdem schon bald präzise und klare Antworten auf die | |
bohrenden Fragen der Betroffenen geben kann, bleibt abzuwarten. Die erste | |
Sitzung soll jedenfalls nach taz-Informationen noch in dieser Woche und | |
damit vor den Herbstferien stattfinden. | |
29 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Flutkatastrophe-in-Rheinland-Pfalz/!5792000 | |
[2] /Nach-der-Flutkatastrophe-in-Deutschland/!5798090 | |
[3] /Toedlicher-Angriff-in-Idar-Oberstein/!5803339 | |
## AUTOREN | |
Christoph Schmidt-Lunau | |
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