# taz.de -- Weinanbau nach der Flutkatastrophe: „Vergesst uns nicht“ | |
> Die Winzer:innen im Ahrtal haben teils nur noch ihre Rebstöcke in | |
> höheren Lagen, doch damit gleichzeitig ihr größtes Kapital. | |
Bild: Was die Flut nicht zerstörte, ist voller Schlamm | |
Langsam färbte sich das Wasser rot und ein markanter Geruch breitete sich | |
im vollgelaufenen Keller aus: eine Wein-Note der tragischen Art. Umtost vom | |
Hochwasser konnten die Verschlüsse der großen hölzernen Fässer den | |
sorgfältig eingelagerten Rotwein nicht mehr aufhalten. | |
In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli brachte Starkregen die Ahr zum | |
Überlaufen. Der Pegel des Rhein-Nebenflusses stieg unaufhörlich, das Wasser | |
drang in Häuser ein, riss Brücken weg. Das Ausmaß der Flut war völlig | |
unerwartet, [1][auch für die über 60 Winzer:innen] im Tal. Innerhalb | |
einer Nacht verloren viele ihre Fässer, Maschinen, Lagerräume und | |
Probierstuben. | |
Sechs Wochen später lässt sich der Schaden langsam überblicken, Wochen | |
voller Arbeit liegen hinter den Betrieben. Doch bisher sei nur ein Sprint | |
überstanden, sagt Winzer Peter Kriechel. Der Vorsitzende des | |
Ahrwein-Vereins weiß: Was noch folgt, ist ein Marathon. | |
Und der beginnt mit dem, was eben ansteht im September im Ahrtal: die | |
Herbstlese. 10 bis 15 Prozent der Weinreben sind zerstört, aber die | |
Premiumlagen hoch über der Ahr an den Steilhängen haben die Katastrophe | |
unbeschadet überlebt. [2][Sie sind das einzige Kapital, das den meisten der | |
familiengeführten Betriebe noch bleibt.] | |
Direkt nach der Flut hatte keiner geglaubt, dass die Ernte in dem 563 | |
Hektar großen Weinbaugebiet in diesem Jahr überhaupt stattfinden kann. Nun | |
geht es nächste Woche in den ersten Betrieben los, die aktuell noch auf | |
Leihmaschinen warten und damit beschäftigt sind, die Wasser- und | |
Stromversorgung zu stabilisieren. Es sei der „wichtigste Jahrgang, | |
vielleicht jemals“ für den Ahrwein, sagt Peter Kriechel. Und für diesen | |
gibt es Hoffnung, auch wenn die Produktion kleiner ausfallen wird als | |
gewohnt. | |
Dass nun die ersten Trauben für den neuen Jahrgang gesammelt und auch vor | |
Ort gelagert und verarbeitet werden können, liegt auch an den vielen | |
Händen, die nach der Flut mit angepackt haben. Allein auf dem Hof von Peter | |
Kriechel halfen zeitweise bis zu 90 Menschen aus ganz Deutschland, die | |
Schäden der Flut zu beseitigen. Sie schippten Schlamm aus den Räumen, | |
legten Keller trocken, schlugen den Putz von den Wänden. | |
Kriechel verbreitet vorsichtigem Optimismus: „Wir werden es schaffen, dass | |
jede Traube der Ahr auch an der Ahr verarbeitet werden kann.“ Mehrere | |
Dutzend Winzer:innen arbeiten im Haupterwerb im Ahrtal, rund 1.000 | |
weitere liefern ihre Traubenernte an die drei großen Genossenschaften. | |
Jeder Betrieb wird überleben können, lautet Kriechels Einschätzung. | |
„Aufgeben ist keine Option“, sagt er. Schließlich sei man „seit | |
Jahrhunderten mit der Weinbautradition verbunden“. Sein Betrieb wurde 1555 | |
gegründet. | |
Auch das etwas kleinere Unternehmen von Tanja Lingen blickt auf eine lange | |
Geschichte zurück. Mit ihrem Mann führt sie es nun in zehnter Generation, | |
seit hundert Jahren sind sie auf dem aktuellen Hof. „Es hat noch nie ein | |
Hochwasser gegeben, weder auf dem Hof noch im Keller“, erzählt Lingen. Die | |
einzige Warnung, die sie in der Nacht zum 15. Juli erreichte, richtete sich | |
an die Menschen, die 50 Meter von der Ahr entfernt wohnen. | |
Von ihrem Betrieb sind es 250 Meter, doch das Wasser stieg selbst im | |
Erdgeschoss auf 2,5 Meter Höhe. Den Weinkeller pumpte die Feuerwehr fünf | |
Tage lang leer. Viele Helfer:innen „kamen als Wildfremde, aber ganz | |
viele sind als Freunde gegangen“, sagt Lingen. | |
Die Qualität des neuen Jahrgangs soll gut werden, schließlich habe man auch | |
einen Ruf zu verlieren, erklärt Lingen. Nur das Wetter muss jetzt noch | |
mitspielen. Die Traube sei schließlich ein „Sonnenkind“, sonst fault der | |
Stock weg. „Jetzt langsam hätte ich nichts gegen sechs Wochen | |
Sonnenschein“, sagt auch Peter Kriechel. Der Ahrwein war schon immer etwas | |
für Kenner, vor allem regional distribuiert. Guten Wein gibt es auch | |
anderswo, aber der von der Ahr hat nun eine besondere Geschichte, die | |
durchaus zum Verkauf beitragen soll. | |
Einen Anfang machten die Ahrwinzer:innen mit dem Spendenprojekt | |
[3][„Flutwein“]. Die Flut hinterließ auf den Flaschen, die nicht zu Bruch | |
gingen, eine Patina aus Schlamm und Dreck, über die Crowdfunding-Plattform | |
Startnext konnte der Wein in genau diesem Zustand zu Soli-Preisen erworben | |
werden. Mehr als 4,4 Millionen Euro sind zusammengekommen. Doch selbst die | |
decken nur ein Prozent der erwarteten Gesamtschäden durch die Flut, die | |
sich laut Kriechel zwischen 400 und 500 Millionen Euro einpendeln werden. | |
Die Maschinen kann man ersetzen, die Häuser wieder herrichten – aber der | |
Weinkeller, wo Kriechel mit Familie und Freunden so viele Feste gefeiert | |
hat, der existiert einfach nicht mehr. „Es sind viele Erinnerungen weg“, | |
erzählt auch Tanja Lingen. Ihr Schwiegervater ließ sich vor seiner Zeit als | |
Weinbauer zum Schreiner ausbilden. Sein Gesellenstück, ein großer Schrank – | |
nur mehr Sperrmüll. | |
Neben dem materiellen Schaden sind zudem Verkaufswege weggebrochen, es | |
steht kein Hotel und kein Restaurant mehr im Ahrtal. Der Wein kann derzeit | |
nur verschickt oder am Hof verkauft werden – die Nachfrage ist aktuell | |
ungebrochen. Doch mit der Zeit wird es ohne Tourist:innen schwer werden, | |
die gleichen Mengen wie sonst abzusetzen. Aufgrund der Pandemie haben viele | |
Weinbauer:innen ihren Online-Verkauf bereits ausgebaut. Jetzt brauchen | |
sie ihn umso mehr. | |
Und doch ist nicht alles verloren. Als das Wasser schon knietief stand, | |
hätten die „Männer“ von Tanja Lingen, ihr Mann und ihre Söhne, einige | |
Fässer fest mit Pfropfen zugeschlagen und die Kreidebeschriftungen gefilmt, | |
bevor das Wasser sie unleserlich machen konnte. Der Inhalt dieser Fässer | |
könne vielleicht noch gerettet werden. | |
Lingen hat bereits verkostet, der Geschmack sei einwandfrei. Jetzt müssen | |
Tests zeigen, ob der Wein verunreinigt ist. Bei Peter Kriechel seien | |
ungefähr die Hälfte seiner Fässer „ausgelaufen, zerstört, zerborsten“. | |
Gerade bei den Spitzenproduktionen könne er jeden Stoff mit Namen benennen. | |
„Das ist Herzblut“, erklärt er. | |
„Vergesst uns bitte nicht!“, appelliert Kriechel. Es ist viel geplant an | |
der Ahr, den Kopf in den Sand stecken möchte niemand. Der verschlammte | |
Flutwein soll als Gedenkobjekt in einer Wanderausstellung um die Welt | |
gehen, den Aufbau der zerstörten Rebflächen sollen Pat:innen finanziell | |
unterstützen, ein Wein-Reiseführer soll entstehen. Im aktuellen Jahrgang | |
wird es einen Gemeinschaftswein geben. | |
„Wir brauchen noch etwas Zeit“, sagt Kriechel. „Aber es wird hier | |
weitergehen.“ Im Tal sei man gern Gastgeber. Und gesellig, betont auch | |
Lingen. Sie sieht die Flut als Chance, jetzt kann modernisiert werden. Ihr | |
Wunsch: in ein paar Jahren ein funktionierendes Weingut an ihre Söhne zu | |
übergeben. An die elfte Generation. | |
5 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Biowinzer-ueber-die-Flut-an-der-Ahr/!5785154 | |
[2] /Versicherer-ziehen-vorlaeufige-Flutbilanz/!5791491 | |
[3] https://www.flutwein.de/ | |
## AUTOREN | |
Julia Weinzierler | |
## TAGS | |
Wein | |
Flutkatastrophe in Deutschland | |
Hochwasser | |
Franken | |
Wein | |
[tazze]IG | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
klimataz | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kult um fränkische Weinmarke: Club der kahlen Winzer | |
In Neuses am Berg vermarktet ein Glatzenverein den Wein der Region. Über | |
zwei Männer, die eine Tradition am Leben halten, die es ohne sie wohl nicht | |
gäbe. | |
Weinanbau und Klimawandel: Die sieben Plagen der Ökowinzer | |
Biowinzer Christoph Bäcker kämpft im Ahrtal um seine Existenz. Doch nicht | |
nur die Flut hat verheerende Folgen – die Natur lehrt Winzer das Fürchten. | |
Hotel als Notunterkunft für Flutopfer: Leben im Dazwischen | |
Heimerzheim wurde schwer von der Flut getroffen. Im Hotel Weidenbrück | |
fanden jene Zuflucht, deren Häuser bis heute unbewohnbar sind. Ein Besuch. | |
Untersuchungen nach der Flut im Ahrtal: Wer verantwortet 130 Menschenleben? | |
In Rheinland-Pfalz startet ein Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe | |
im Ahrtal. Im Fokus steht das Handeln der Landesregierung in Mainz. | |
SPD und Grüne in NRW fordern Aufklärung: U-Ausschuss zur Flut kommt | |
Reagierten Landesregierung und Behörden NRWs angemessen auf das Hochwasser? | |
SPD und Grüne wollen das in einem Untersuchungsausschuss klären. | |
Nach der Flut im Westen Deutschlands: Die ungewisse Zukunft | |
Eimerweise schaufeln die Menschen den Schlamm im Eifelstädtchen Gemünd | |
beiseite, es wird repariert und neu angeschafft. Bis zur nächsten | |
Katastrophe? | |
Klimawandel und Weinanbau: Erntebeginn zwei Wochen früher | |
In den letzten 30 Jahren ist der Beginn der burgundischen Weinernte um fast | |
zwei Wochen vorgerückt. Auch Frostschäden werden wahrscheinlicher. | |
Folgen der Überschwemmungen: Trinkwasser hat Priorität | |
Die Fluten haben auch Schadstoffe wie Öl und Benzin in die Gewässer | |
gespült. Langfristige Umweltschäden sind aber noch nicht absehbar. |