# taz.de -- Weinanbau und Klimawandel: Die sieben Plagen der Ökowinzer | |
> Biowinzer Christoph Bäcker kämpft im Ahrtal um seine Existenz. Doch nicht | |
> nur die Flut hat verheerende Folgen – die Natur lehrt Winzer das | |
> Fürchten. | |
Bild: „Flutwein“ kann die Verluste der Ahr-Winzer nicht kompensieren | |
BERLIN/AHRWEILER taz | Der Weinjahrgang 2021 wird als doppelte Katastrophe | |
in Erinnerung bleiben. Bei der Jahrhundertflut an der Ahr sind mehr als 40 | |
Weingüter von Schlamm und Wassermassen verwüstet und große Flächen der | |
Weinberge weggerissen worden. Gleichzeitig bewirkte die Pilzkrankheit | |
Falscher Mehltau, wissenschaftlich [1][Peronospora] genannt, in allen 13 | |
deutschen Anbaugebieten teilweise verheerende Verluste. | |
Vor allem Biowinzer büßten in vielen Regionen fast die Hälfte ihres | |
üblichen Ertrags ein. Manche ernteten gar nichts. Zudem sorgten in manchen | |
Regionen Spätfröste im Mai und Hagel im Spätsommer für empfindliche | |
Ausfälle. Vereinzelt kam noch Insektenfraß dazu. Wer sich jetzt an die | |
sieben biblischen Plagen erinnert, liegt nicht ganz daneben. | |
Doch Mehltau, Hagel und Forst sind Peanuts im Vergleich zur Katastrophe an | |
der Ahr, wo viele Winzer mit ihren Familien um die Existenz bangen müssen. | |
Zu den schwer Getroffenen zählt der [2][Biowinzer Christoph Bäcker] in | |
Ahrweiler. Nach der Flut, die sein Weingut fast vollständig zerstörte, | |
hatten wir ihn interviewt. Sein Kernsatz [3][„Ich kann der Natur doch nicht | |
böse sein“] wurde seitdem vielfach zitiert. Vor allem aber löste das | |
taz-Interview die größte Bestell-Lawine aus, die sein Weingut jemals | |
erlebte, dazu kamen viele Spenden und Helfer. | |
Mitte Oktober hat Bäcker die schnellste Lese seit Bestehen des Weinguts | |
abgeschlossen. Auch das Ergebnis ist historisch: „so schlecht wie noch | |
nie“. Die Qualität sei halbwegs in Ordnung – „die Weine werden schmecken… | |
–, aber die Menge reiche nicht zum Überleben, sagt Bäcker. Das ohnehin | |
kleine Bioweingut hat fast ein Drittel seiner Fläche an das reißende | |
Hochwasser verloren, dazu kommen herbe Verluste durch Pilzkrankheiten im | |
feuchten Ahrtal. Um überleben zu können, muss Bäcker neue Rebflächen | |
finden. Aber viele seiner Ahr-Kollegen suchen ebenfalls. | |
30 Hektar sind im Anbaugebiet weggespült worden, eine Fläche von etwa 40 | |
Fußballplätzen. Vielleicht lassen sich die Hänge am Fluss wenigstens zum | |
Teil wieder aufbauen und neu bepflanzen. Aber noch ist unklar, ob in den | |
flussnahen Gebieten überhaupt wieder Rebstöcke stehen dürfen. Und neue | |
Reben bringen bekanntlich drei Jahre keinen Ertrag. | |
## „Ich weiß nicht, ob das Weingut überleben wird“ | |
Das Haus der Bäckers ist noch immer unbewohnbar. Aus den verschiedenen | |
Förder- und Katastrophentöpfen ist bei ihm noch kein Euro angekommen. | |
Immerhin: Die Familie und viele Helfer haben das Weingut wieder | |
funktionsfähig gemacht, neue Fässer und Behälter wurden gekauft, die Presse | |
bekam einen neuen Motor, Schutt und Schlamm sind weggeräumt. Geblieben ist | |
der Wille des ersten Biowinzers an der Ahr, seinen Betrieb am Leben zu | |
halten. Aber: „Die Zukunft steht in den Sternen, ich weiß nicht, ob das | |
Weingut überleben wird.“ | |
Bisher zählten deutsche Winzer eindeutig zu den Gewinnern der Klimakrise. | |
Mehr Sonnentage und höhere Temperaturen haben die Weine kräftiger, | |
alkoholreicher, kremiger gemacht. Kein Vergleich zu den dünnen, oft sauren | |
Säftchen der 1980er-Jahre. Doch jetzt zeigt der Klimawandel mit Starkregen | |
und Fluten, aber auch mit aggressivem Pilzbefall immer öfter sein | |
hässliches Gesicht. Die konventionell bewirtschafteten Weingüter reagieren | |
mit verstärktem Pestizideinsatz auf die Pilzkrankheiten, teilweise werden | |
Cocktails von mehreren Mitteln gleichzeitig ausgebracht mit mehr als 20 | |
Spritzungen bis zur Lese. | |
Biowinzer haben daher sehr viel größere Probleme, denn sie können lediglich | |
Kupferverbindungen gegen den Pilzbefall ausbringen. „Wir müssen neue Wege | |
suchen“, sagt Paulin Köpfer vom Bundesverband ökologisch arbeitender | |
Weingüter [4][Ecovin] und zugleich Betriebsleiter beim badischen Weingut | |
Zähringer. Seine Lesemannschaft habe „nur 30 bis 50 Prozent der | |
Normalernte“ eingebracht. Eine Hauptplage sei in diesem Jahr der falsche | |
Mehltau, eine Pilzkrankheit, die nach Köpfers Beobachtung in den | |
vergangenen Jahren immer virulenter geworden ist. Früher sei er mit vier | |
bis fünf Kupferspritzungen gut ausgekommen, aktuell waren 15 Behandlungen | |
nötig. Und trotzdem gab es starke Verluste. | |
Die Weintrinker werden das kaum bemerken. Denn aus diesem schwierigen Jahr | |
wird man gute Weine trinken können. „Die Natur gibt uns nicht nur das | |
Böse“, resümiert Paulin Köpfer. Die stark dezimierten Trauben hätten eine | |
gute Balance und viel Geschmack. Und endlich auch wieder schöne Säurewerte, | |
nachdem viele Winzer in den drei Hitzejahren zuvor immer wieder mit | |
Säurezusätzen nachhelfen mussten, um die Moste zu stabilisieren und die | |
Weine attraktiver zu machen. Der Jahrgang 2021 wird schlankere, rassigere | |
Tropfen bringen. Vor allem aber wird er die Frage aufwerfen, wie sich die | |
Biowinzer künftig besser gegen Pilzkrankheiten wappnen können. Die Branche | |
ist alarmiert. | |
Die Sommer sind nicht nur heißer geworden. In manchen Jahresläufen hat ein | |
permanent feuchtwarmes Wetter ideale Bedingungen zur Ausbreitung von | |
Pilzinfektionen zur Folge. 2016 war schon solch ein Jahrgang. Das laufende | |
Jahr aber brachte den bisher schlimmsten Sommer überhaupt, an den sich der | |
Geisenheimer [5][Weinbauprofessor Randolf Kauer] erinnern kann. Kauer hat | |
die einzige Professur für ökologischen Weinbau in Deutschland inne. Er ist | |
in diesen Tagen kaum zu erreichen, weil er im eigenen Bioweingut in | |
Bacharach die letzten Rieslinge hereinholt. Auch er hat bei etlichen | |
Parzellen gut ein Drittel weniger geerntet. Was tun? | |
Der Bio-Professor kämpft seit Jahren für die Wiederzulassung des | |
Pflanzenstärkungsmittels Kalium-Phosphonat für den ökologischen Weinbau. | |
Dann hätten die Biowinzer endlich eine zweite Waffe gegen den falschen | |
Mehltau. Phosphonate sind ein sogenanntes systemisches Mittel, sie werden | |
im Gegensatz zum Kupfer, das sich schützend über die Blattoberflächen legt, | |
von der Pflanze aufgenommen und sind deshalb nicht zugelassen. Kauer hält | |
sie für toxikologisch unbedenklich. Rechtzeitig ausgebracht, stärken sie | |
die Rebstöcke; sie könnten sich besser gegen Pilzbefall wehren, „die Reben | |
sind dann einfach fitter“, sagt Kauer. Doch in der EU würden vor allem die | |
Weinbauländer Italien und Frankreich, die selbst weniger von den | |
Pilzproblemen betroffen sind, die Zulassung blockieren. | |
## Neue Rebsorten gegen den Pilzbefall | |
In den vergangenen Jahren wurden eine Reihe von pilzwiderstandsfähigen | |
Rebsorten wie Regent, Johanniter und andere Trauben gezüchtet, die in | |
etlichen Biobetrieben mit Erfolg kultiviert werden. Doch die große Mehrheit | |
der Kundschaft zögert, sie trinkt lieber Klassiker wie Riesling, Sylvaner | |
oder Spätburgunder. Es gibt immerhin Hoffnung: Die gegen Pilzkrankheiten | |
wirksamen Genabschnitte der Piwis sind identifiziert und könnten womöglich | |
züchterisch – auch ohne Genmanipulation – auf die klassischen Rebsorten | |
übertragen werden. Das allerdings dürfte noch einige Jahre dauern. | |
Gegen den leichter zu bekämpfenden echten Mehltau können Biobetriebe | |
Schwefel spritzen und auch Hausmittel wie Backpulver und Fenchelöl | |
einsetzen. Beim falschen Mehltau haben sie nur das Kupfer. Doch das | |
bewährte Pilzmittel schädigt das Bodenleben, es reichert sich in den | |
Weinbergen an und die Abdrift belastet auch Gewässer und andere Biotope. | |
Das Umweltbundesamt hat die Toxizität von Kupfer wiederholt | |
problematisiert. Deshalb ist bei den Biobetrieben der Kupfereinsatz auf | |
drei Kilogramm je Hektar minimiert worden. In diesem Jahr mussten viele | |
Betriebe auf vier Kilo hochgehen und die Überschreitung den | |
Kontrollbehörden melden. Als Konsequenz müssen sie in den nächsten Jahren | |
weniger spritzen, um langfristig die Drei-Kilo-Grenze einzuhalten. Doch | |
selbst zweimal wöchentlich eingesetztes Kupfer konnte den Pilz in diesem | |
Jahr in vielen Regionen nicht bändigen. | |
Biobetriebe wie der von [6][Robert Kroninger], die auf Kupfer verzichten, | |
hatten keine Chance. Der badische Nebenerwerbswinzer besitzt kleine | |
Burgunder-Flächen, die noch bis Mitte Juli „sehr gut ausgesehen“ hätten, | |
dann aber unter Infektionsdruck „schnell zusammengebrochen“ seien. | |
Kroninger gehört zu jenen experimentierfreudigen Pionieren, die | |
unkonventionelle Wege gehen und probiotischen Pflanzenschutz anwenden. Er | |
bringt dazu Pflanzenextrakte von verschiedenen Kräutern, von Wermut und | |
Weidenrinde aus. Vor allem aber setzt er auf Kompost-Tee. Dazu wird eine | |
stark bakterienhaltige Kompostbrühe gespritzt, deren Mikrobiom sich als | |
Abwehrriegel schützend auf den Blättern breit macht. So findet der Pilz | |
keine Angriffsfläche. Doch in diesem Sommer war der falsche Mehltau | |
stärker. Kroninger meldete einen Totalverlust. | |
Wer jetzt am Telefon einen greinenden Winzer erwartet, wird enttäuscht. Er | |
habe sich darauf eingestellt, dass ihm seine Methode im Schnitt alle vier, | |
fünf Jahre herbe Verluste bis hin zum Totalausfall bringt, sagt Kroninger. | |
Die guten Jahre dazwischen müssten es dann eben ausgleichen. Seine Reben | |
hätten den Pilzbefall trotz allem gut überstanden, seien gestärkt und „fit | |
für die nächsten Jahre“. Kroninger will auch künftig den probiotischen Weg | |
weitergehen. Vielleicht hat er Glück. Auf das Schreckensjahr 2021 sollten | |
rein statistisch wieder einige trockene Hitzejahre folgen. Dann wird statt | |
Fluten und Pilze die künstliche Bewässerung wieder das große Thema im | |
deutschen Weinbau werden. | |
6 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.oekolandbau.de/landwirtschaft/pflanze/grundlagen-pflanzenbau/pf… | |
[2] https://www.weingutbaecker.de/ | |
[3] /Biowinzer-ueber-die-Flut-an-der-Ahr/!5785154 | |
[4] https://www.ecovin.de/ | |
[5] https://www.hs-geisenheim.de/personen/person/350/# | |
[6] https://weingarten-kroninger.de/ | |
## AUTOREN | |
Manfred Kriener | |
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