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# taz.de -- Unterwegs im Flutgebiet: Auf den Spuren der Verwüstung
> Ein U-Ausschuss soll in Rheinland-Pfalz klären, wie es zur
> Flutkatastrophe im Sommer kommen konnte. Erster Termin: geologische
> Exkursion im Ahrtal.
Bild: Ein Weihnachtsbaum an einer Hausfassade in Schuld, Ahrtal
Sinzig und Altenahr taz | Vor dem zweistöckigen „Haus der Lebenshilfe“
erinnert eine liebevoll angelegte Gedenkstätte an die Toten. Da stehen
Grablichter zwischen blühenden Christrosen und Erikastauden, ein
verschlungenes Band aus blauem Sand schlängelt sich durchs Beet, es soll
wohl den gewundenen Verlauf des Flüsschens Ahr symbolisieren. Elf Menschen
mit Behinderung kamen hier, in der Pestalozzistraße 7 in Sinzig, in der
Nacht vom 14. auf den 15. Juli ums Leben, ertrunken in den wildgewordenen
Fluten der Ahr. Insgesamt starben 134 Menschen bei der Flutkatastrophe in
Süddeutschland, der Schaden geht in die Milliarden. Die Zahl der direkt
betroffenen wird auf über 40.000 geschätzt.
Wie es zu der Flutkatastrophe in Rheinland-Pflaz kommen konnte, soll nun
ein [1][parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Landtags in Mainz]
klären. Das Haus der Lebenshilfe ist am Montag die letzte von sieben
Stationen einer parlamentarischen Erkundungsreise durch das Gebiet, das im
Juli überflutet wurde.
Professor Georg Wieber, Leiter des Landesamts für Geologie und Bergbau,
zeigt den Ausschussmitgliedern an diesem Tag die geologischen Gegebenheiten
vor Ort. Er erläutert, wie sich die Ahr in der Flutnacht vom 14. auf den
15. Juli in lebensgefährliche Flutwellen verwandeln konnte. Es geht um
Prallwände, gefaltete Felsformationen, um Mäandern und Niederterrassen.
Doch am „Haus der Lebenshilfe“ spricht auch der Experte zuerst von den
Opfern der „größten Tragödie“ der Flutnacht vom 14. auf den 15. Juli.
Vieles spricht dafür, dass sie noch am Leben sein könnten, wären sie
evakuiert worden.
## Offene Fragen auch abseits der Tragödie in Sinzig
Nur eine Etage höher wären sie in Sicherheit gewesen, sagt Wieber und zeigt
auf Schlammreste an Fenstern und Fassaden, die bis zur Decke des
Erdgeschosses reichen. Weiter oben staute sich das Wasser im engen
Flusslauf, hier bei Sinzig, im breiten Tal konnte sich die Flut jedoch
ausbreiten. Das Heim liegt 250 Meter vom Flussbett entfernt. Bis das Wasser
das Erdgeschoss fluten konnte, war wohl viel Zeit.
Dass der Katastrophenschutz des Kreises Ahrweiler Fehler gemacht hat,
scheint klar. Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat einen Anfangsverdacht
gegen [2][den inzwischen pensionierten Landrat Jürgen Pföhler], CDU, und
seinen Einsatzleiter. Die Behörde ermittelt wegen fahrlässiger Tötung.
Am Nachmittag des 14. Juli appellierte die Verbandsbürgermeisterin von
Altenahr, Cornelia Weigand, an die Einsatzleitung, den Katastrophenalarm
auszulösen. Das geschah aber erst gegen 23 Uhr – viel zu spät. Man riet den
Betroffenen, sich in den oberen Stockwerken „in Sicherheit“ zu bringen, als
im höher gelegenen Teil des Tals bereits die ersten Häuser weggerissen
wurden.
Aber auch abseits der Tragödie im „Haus der Lebenshilfe“ gibt es viele
offene Fragen. Als Zeugen werden im Untersuchungsausschuss später auch
Mitglieder der rheinland-pfälzischen Landesregierung aussagen müssen. Hätte
die damalige grüne Umweltministerin Anne Spiegel, inzwischen
Bundesfamilienministerin, Alarm schlagen müssen? Das ihr unterstellte
Landesamt hatte früh extreme Pegelstände vorhergesagt und an die örtlichen
Katastrophenämter gemeldet.
Hätte Landesinnenminister Roger Lewentz, SPD, die Einsatzleitung an sich
ziehen müssen? Bei seinem Besuch im Landratsamt am Abend des 14. Juli habe
er einen konzentriert arbeitenden Krisenstab erlebt, der die Sache im Griff
zu haben schien, gab er zu Protokoll. Er wird erläutern müssen, wie er zu
diesem offenkundig falschen Urteil kommen konnte.
## Meter über dem bisherigen Höchststand von 1910
Der Vorsitzende des Ausschusses, Martin Haller, SPD, sieht seine Aufgabe
vor allem darin, auf die Fragen der betroffenen Menschen Antworten zu
finden. „Was hätte man anders machen können?“ Und: „Wie müssen wir uns…
Zukunft aufstellen, dass es nicht wieder passiert?“
Auf der Erkundungsreise des Untersuchungsausschusses am Montag ist auch die
durch die Flut verwüstete Gemeinde Altenahr selbst Station. Hier fließt die
Ahr in spektakulären Schleifen. An steilen Felswänden wird das Wasser
aufgehalten, umfließt die „Prallwände“, um wenige Kilometer weiter wieder
in die gleiche Richtung zurückzukehren.
Die Flussschleifen trennt bei Altenahr eine Landzunge. Hier hat das
Hochwasser die Tunnel geflutet, durch die früher Ahrtalbahn und
Bundesstraße die Felsen durchquerten, um die Flusswindungen auszusparen. Im
oberen Straßentunnel zeigt Geologe Wieber die Markierung des
„Jahrhunderthochwassers“ von 1910. Die von 2021 liegt Meter darüber. Von
den beiden massiven Bruchsteinbrücken des Oberlaufs steht nur noch ein
kleiner Bogen. Von den unteren Brücken ist die Brüstung und auf einer
Flussseite das Brückenlager weggespült.
In den engen Felsschluchten, die hier 100 Meter, teils auch nur 50 Meter
messen, habe sich das Wasser aufgestaut, erläutert der Experte. Je höher
die Flutwelle sich aufgetürmt habe, desto höher sei der Druck gestiegen.
Der entlud sich in immer neuen Wellen, wenn eine Brücke brach und sich die
aufgestauten Wasser- und Gesteinsmassen, Autos, entwurzelte Bäume und
Haustrümmer ins Tal wälzten.
Bei extremen Starkregen, sagt Geologe Wieber, werde es in dieser
geologischen Formation immer wieder gefährliche Flutwellen geben. „Es ist
ein Gefahrengebiet“, so der Experte, „das Gefahrenbewusstsein ist immer nur
unmittelbar nach einem Extremhochwasser hoch.“
21 Dec 2021
## LINKS
[1] /Untersuchungen-nach-der-Flut-im-Ahrtal/!5803229
[2] /Landrat-von-Ahrweiler-tritt-ab/!5789775
## AUTOREN
Christoph Schmidt-Lunau
## TAGS
Flutkatastrophe in Deutschland
Schwerpunkt Klimawandel
Katastrophenschutz
Untersuchungsausschuss
Rheinland-Pfalz
GNS
Ursula Heinen-Esser
Kolumne Zwischen Menschen
Flutkatastrophe in Deutschland
Schwerpunkt Klimawandel
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