| # taz.de -- Nach der Flut im Westen Deutschlands: Die ungewisse Zukunft | |
| > Eimerweise schaufeln die Menschen den Schlamm im Eifelstädtchen Gemünd | |
| > beiseite, es wird repariert und neu angeschafft. Bis zur nächsten | |
| > Katastrophe? | |
| Bild: Gemünd am 16. Juli: Die Einkaufsstraße liegt voller Sperrmüll | |
| Gemünd taz | Ewige Ruhe? Die war in der Nacht auf den 15. Juli dahin. | |
| Binnen Stunden war [1][auch der Friedhof des Eifelstädtchens Gemünd] gleich | |
| neben der Olef verwüstet. An die drei Meter hoch schoss das Wasser | |
| hindurch, riss Grabsteine um, restlos allen Schmuck. Der Trost: Wenigstens | |
| an die Särge kam die Wassergewalt nicht heran, und Urnen liegen auch einen | |
| Dreiviertelmeter tief in der Erde. | |
| Eimerweise, berichtet Sozialpädagogin Gerlinde Steigerwald, 55, habe sie | |
| nachher den Schlamm weggeschaufelt vom kleinen Urnengrab ihres Mannes. | |
| Alfons Döhler, genannt Ali, war im Oktober 2020 gestorben. Seinen Grabstein | |
| hat Gerlinde Steigerwald auch wiedergefunden und aufgerichtet. | |
| Jetzt stehen wir an Alis Grab, wie die meisten drum herum wieder frisch mit | |
| Blumen geschmückt. Steigerwald zeigt auf dem Smartphone Bilder von den | |
| Tagen danach: Wie ein Schlachtfeld, eine Wüste. Manche Angehörige mussten | |
| suchen, wo denn wer beerdigt ist. | |
| Gerlinde Steigerwald schluchzt. Sie ist fast ein Jahr danach immer noch | |
| massiv vom Tod ihres Mannes angefasst, jetzt zusätzlich vom jähen Chaos. | |
| Neben dem Friedhofseingang warten noch Hunderte Kubikmeter Unrat auf die | |
| Entsorgung: verrottende Pfanzenreste, Paletten, steinerne Grabeinfassungen, | |
| Plastikmüll, das Interieur der gewesenen Friedhofsgärtnerei. | |
| ## Zwei Ungeheuer in einem Städtchen | |
| „Wo es schön ist.“ Da wolle er hin, hatte Ali kurz vor seinem Tod noch | |
| gesagt. Also, entschied Gerlinde Steigerwald, Alis Urne käme in seinen | |
| Heimatort Gemünd, auch wenn man 50 Kilometer entfernt in Hauset bei Aachen | |
| lebte. Ali hatte noch bis zu seiner schweren Krankheit engagiert im | |
| „Bildungswerk Aachen“ gearbeitet, als Geschäftsführer und Projektentwickl… | |
| mit Dutzenden LehrerInnen zur Transformation von Schulen. Auch | |
| Sozialpädagogin Steigerwald arbeitet dort. | |
| „Ali hatte im Sterben so eine Größe, obwohl er so klein war“, sagt Gerlin… | |
| Steigerwald plötzlich. Ein lustiger Satz, voller Würde, zum Heulen schön. | |
| Zweimal die Woche fährt sie hierher. | |
| Gemünd, keine 4.000 EinwohnerInnen, Kneipp-Kurort, tief unten versteckt im | |
| nördlichen Irgendwo der Eifel. Der Name Gemünd kommt von Gemünde: Ort an | |
| einer Flussmündung. Mitten in diesem Gemünd mit viel Fachwerk, | |
| Ferienhäusern und lauschigen Ecken an den Flussufern mündet die Olef in | |
| die Urft. [2][Damit hatte das Städtchen in der Flutnacht gleich zwei | |
| Ungeheuer]. | |
| Wenn man in diesen Tagen durch den Ort geht und jemandem im Vorbeigehen | |
| einer Gruppe Schuftender „Guten Tag“ wünscht, kommt als Antwort sofort | |
| „Auch guten Tag. Wollen Sie helfen?“ | |
| Wir sitzen bei Ali Döhlers ältester Schwester Monika Feld, 74, und ihrem | |
| Mann Reinhard, 81, in der halbwegs hergerichteten Hinterhofterrasse ihres | |
| einst schmucken Häuschens nahe der Urft. Drinnen: Leere, Rohbau, Holzböden | |
| raus. Der gelbe Lufttrockner TKK 600 saugt rund um die Uhr Feuchtigkeit aus | |
| dem Keller. Es tröpfelt im Flur oben in einen Eimer. „Jeden Morgen sind | |
| wieder zehn Liter drin“, sagt Reinhard Feld. In der Nacht strömte das | |
| Wasser gut einen Meter hoch durchs Erdgeschoss. Angst? „Als das Wasser die | |
| Beine hochstieg, sind wir nach oben.“ Im Ort ist ein Nachbar ertrunken und | |
| ein Feuerwehrmann, dessen Rucksack sich in einem Brückengeländer der | |
| tobenden Urft verfangen hatte. | |
| ## Die Frage nach der Schuld | |
| Noch immer drehen sich die Fragen um die Ursachen, vor allem aber um die | |
| Zukunft. Die kurzfristige Zukunft, die langfristige, für sich selbst, die | |
| vielen Verwandten im Ort – und die Klimaveränderungen. Monika Feld sagt: | |
| „Ich habe immer gedacht, wenn hier mal was Schlimmes passiert, kommt | |
| vielleicht der Berg runter.“ Sie zeigt den steilen Felsen hinter ihrem Haus | |
| nach oben. „Aber Wasser? Und so? Hier sind Baumstämme durchs Tal | |
| gedonnert.“ | |
| Mindestens einer krachte in Tobis Haus. Tobi, 48, eines der Kinder der | |
| Felds, ist zu Besuch, auch er wohnt in Gemünd. Kurz nach der Flut hat er | |
| seine Eltern für ein paar Tage zu Gerlinde Steigerwald nach Hauset | |
| evakuiert, „für eure psychische Gesundheit“. Die beiden nicken, Monika Feld | |
| sagt: „Gut, dass der gesagt hat: Haut ab hier!“ Die Döhler-Feld-Sippe hatte | |
| ohnehin ein kluges Entsorgungskonzept entwickelt: Als persönliche | |
| Habseligkeiten gerettet waren, hat jeder bei den anderen die Wohnung | |
| entrümpelt und die Container gefüllt. Da hält nicht jeder jedes kaputte | |
| Stück Vergangenheit noch mal in der Hand und überlegt, ob es nicht | |
| vielleicht doch gerettet werden sollte. Sondern: raus. | |
| Fragen bleiben. Schuld? Überall gab es schwere Versäumnisse, | |
| Fehleinschätzungen, tödliches Falschmanagement der Talsperrenbetreiber in | |
| Belgien (wo die Staatsanwaltschaft ermittelt) wie in Deutschland, | |
| Flussbetten wie Betonröhren, Versiegelung allüberall. Oder skandalöse | |
| Bau-Grotesken wie die massive Erweiterung des RWE-Kieswerks in | |
| Erftstadt-Blessem, durchgepeitscht von CDU und FDP im Ort, direkt an einer | |
| Wohnsiedlung, die jetzt in der Kiesgrube schwimmt. | |
| Tobi arbeitet für die Nachbargemeinde Kall im Bereich Klimaschutz. Er sagt, | |
| die Talsperren seien auch deshalb vor dem 14. Juli so voll gewesen, weil | |
| man nach den Glutsommern Reserven halten wollte. Statt Glut kam die Flut: | |
| „Ist das die neue Normalität? Eher wird es noch schlimmer.“ Er fragt sich | |
| und alle in der Runde: „Wofür machen wir das jetzt, bis zur nächsten, | |
| vielleicht noch schlimmeren Katastrophe?“ Die Frage bleibt rhetorisch, er | |
| baut wieder auf. | |
| Tobi hat auch ein kurzfristiges Problem. Nächste Woche wird er heiraten. | |
| Aber wo feiern? Geplant war: in einer romantischen Mühle. Das Wort sagt | |
| schon alles: Mühlen stehen am Wasser. Die Feier-Mühle gibt es nicht mehr. | |
| Jetzt will er privat improvisieren in einem der Flutgärten der Geschwister. | |
| Reinhard Feld sagt: „Wir werken überall, aber passen uns der Natur nicht | |
| an. ‚Survival of the fittest‘, hat Darwin doch gesagt. ‚Fittest‘ kann m… | |
| mit ‚den Stärksten‘ übersetzen, aber auch mit ‚den Anpassungsfähigsten… | |
| Das sind wir Menschen wohl nicht.“ Seine Gattin Monika erzählt von einem | |
| Nachbarn: „Der hat, wohl mit viel Schmiermitteln, im Überflutungsgebiet | |
| bauen dürfen. Jetzt ist die Urft durch sein Haus hindurch.“ | |
| Bleiben, wegziehen? Monika und Reinhard sind nicht mehr im Alter für einen | |
| Neuanfang, sagen sie. Und die anderen im Ort? Erst, berichten alle, wollten | |
| viele spontan weg, allmählich denken viele um. Ob die komplett verwüstete | |
| Fußgängerzone reanimiert wird? Da hätten schon viele Geschäftsleute gesagt: | |
| Nein. | |
| Reinhard Feld, überaus vital für seine 81 Jahre: „Wir missbrauchen die | |
| Welt, und dann kommt die Natur eben zu Besuch.“ Ohnmacht in der Nacht? | |
| „Nein, aber in den Tagen direkt danach, alle haben geschleppt, geschuftet, | |
| ich wollte mithelfen. Aber ich merkte, das geht nicht mehr so. Das war | |
| Ohnmacht.“ | |
| Und dann sagt er noch den Satz, über den sogar Gerlinde Steigerwald lachen | |
| kann, zumindest kurz: „Als Toter musst du hier in Gemünd jetzt ja | |
| Seepferdchen haben.“ | |
| 27 Aug 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Bernd Müllender | |
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