# taz.de -- Berliner Stadtplanung: Ohne städtebauliche Vision | |
> Die „Europacity“ in Berlin sollte in zentraler Lage ein vollwertiger | |
> Stadtteil werden. Doch nun deutet alles auf einen weiteren urbanisierten | |
> Gewerbepark. | |
Bild: Europacity, ein neuer Stadtteil in Berlin-Moabit: ein Blick in die Heides… | |
Das Areal nördlich des Hauptbahnhofs und entlang der Heidestraße in Berlin | |
ist die große Hoffnung der Hauptstadt: Wie zwanzig Jahre zuvor am Potsdamer | |
Platz soll hier eine Geschäftsstadt entstehen, die symbolisch Ost und West | |
miteinander verknüpft und damit Berlins neue Lage im Zentrum eines | |
friedlich wiedervereinigten Europas feiert – und dabei ganz en passant der | |
Stadt und dem Bauherren Geld in die Kasse bringt. | |
Die chronisch wirtschaftsschwache Hauptstadt hat potenten Bauherren | |
notorisch wenig entgegenzusetzen. Wird die Europacity jemals ein lebendiger | |
Stadtteil für eine sozial und ethnisch gemischte, metropolitane | |
Stadtbevölkerung oder eine öde Ansammlung von bestenfalls mediokren | |
Geschäftshäusern und „Residenzen“ für die chosen few? Städtebaulich und | |
architektonisch stehen die Zeichen bisher leider auf gepflegte Tristesse | |
und lustlos entworfene Renditeobjekte. | |
Aus dem städtebaulichen Wettbewerb für die Urbanisierung des ehemaligen | |
Güterbahnhofareals war das Kölner Architekturbüro ASTOC als Sieger | |
hervorgegangen, das mit der HafenCity in Hamburg eine prominente Referenz | |
vorzuweisen hatte. Sein Entwurf für das Gelände in Berlin zwischen | |
Invalidenstraße, Perleberger Brücke, Fernbahntrasse und | |
Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanal sah eine Bebauung in Blockbauweise und | |
einen Stadthafen mit Marina vor. Um ihn herum sollte ein Quartier gebaut | |
werden mit sogenanntem KunstCampus, Wohnungen und Büros. Der Stadthafen | |
sollte das Herz des neuen Innenstadtquartiers werden – er wurde bei der | |
Umsetzung der Pläne jedoch als Erstes ersatzlos gestrichen. | |
An seine Stelle soll nun ein Stadtplatz treten, der mit einer Brücke das | |
östliche Ufer des Kanals, der das Areal in Nord-Süd-Richtung begrenzt, | |
anbindet. Die Brücke ist eines der wenigen städtischen öffentlichen | |
Bauvorhaben in der neuen heilen Welt der privaten Immobilieninvestitionen | |
der Berliner Europacity – von ihr ist bisher jedoch nichts zu sehen, obwohl | |
sie Ende des Jahres 2018 bereits eingeweiht werden sollte. Die Stadt | |
streckt also keine Infrastruktur vor, sondern hinkt hinterher. | |
Dabei entdeckt Berlin doch derzeit seine Wasserlage neu, und das | |
Hafenbecken der Europacity hätte als Magnet des Viertels getaugt. Der | |
hochtrabend KunstCampus genannte erste Teil der Europacity ist bereits | |
fertig und entpuppt sich als Etikettenschwindel: Statt eines quirligen | |
Kunstviertels bezeichnet dieser Marketingname einen leeren Platz, der von | |
einem teuren Büro- und einem Luxuseigentumswohnhaus umstellt ist, wo | |
„Kunden aus der ganzen Welt“ (so der Immobilienentwickler) Apartments zu | |
Preisen von 6.500 bis 7.000 Euro pro Quadratmeter gekauft haben. Der | |
EZB-Niedrigzins macht’s möglich! Künstlerisches Schaffen – und selbst | |
Schauen – sucht sich angesichts solcher Preise freilich andere Orte. | |
## Profitable Nutzung | |
Für die programmatisch Europacity genannte Neustadt sieht der Entwurf eine | |
hohe Dichte vor. Die meisten Wohnhäuser mit circa 1.200 Wohnungen folgen | |
der Berliner Traufhöhe, (Büro-)Hochhäuser gibt es am Hamburger Bahnhof und | |
am Nordhafen. Entlang der westlichen Bahntrasse sollen Gewerbebauten die | |
Wohnhäuser vom Verkehrslärm abschirmen. Anders als bei der HafenCity in | |
Hamburg wird die Planung in Berlin nur von nichtstädtischen | |
Grundstückseigentümern bestimmt, allen voran der Firma CA Immobilien | |
Anlagen AG. Sie sieht naturgemäß allein profitable Nutzung vor. Der Bund | |
brachte die Bahnliegenschaften 2001 in die Firma Vivico ein, die an die | |
österreichische CA Immo für 1,03 Milliarden Euro verkauft wurde. | |
„Das Quartier wird für Millionen von Gästen der erste Eindruck von Berlin | |
sein und ist deshalb eine wichtige Visitenkarte“, schreiben die Planer des | |
Büros ASTOC. Ihr Ziel war es nicht, eine „cleane Musterstadt“ (so | |
ASTOC-Gründer Markus Neppl), sondern ein lebendiges Bahnhofsviertel zu | |
entwerfen. Das Quartier soll nach dem Willen seiner Planer dennoch | |
„normaler“ als der Potsdamer Platz sein. | |
Ob die Europacity jemals ein lebendiger Stadtteil Berlins wird, ist noch | |
nicht ausgemacht. Geplant sind Wohnungen für nur 2.000 Menschen, aber mehr | |
als 10.000 Arbeitsplätze. Ein potenziell autarkes Viertel der kurzen Wege | |
kann die Europacity so niemals werden. Die Nutzer tagsüber müssen | |
hineinpendeln, vermutlich meist mit dem eigenen Auto. | |
In jüngster Zeit sind vier Architekturwettbewerbe entschieden worden, deren | |
Ergebnisse den weiteren Ausbau der Europacity prägen. Für das südliche | |
Mischgebiet planen CKRS Architekten aus Berlin ein Wohn- und Gewerbegebäude | |
mit Hotel. Ihr Gebäude gliedert sich in einen schmalen Riegel in Richtung | |
der Bahngleise und einen zwölfstöckigen Wohnturm. Die „industrielle | |
Anmutung“ der Fassaden gilt den Architekten als „Bezug auf die Geschichte | |
des Ortes“. | |
Die Helden der Berliner Baugruppen-Bewegung des Architekturbüros Robertneun | |
entwerfen nebenan einen Block mit 170 Wohnungen. Und für das Gewerbegebiet | |
entwarf das Büro EM2N aus Zürich lange Riegel mit zehn Gebäuden, darunter | |
fünf zwölfgeschossige Türme. Deren Fassaden aus Betonfertigteilen werden | |
täglich von Tausenden Menschen gesehen werden, die in Zügen und S-Bahnen an | |
dem langen Haus vorbeifahren. | |
Ein einzelner point de vue wird das Bürohochhaus der CA Immo, das über dem | |
Tunnel der neuen S-Bahn-Linie 21 gebaut wird. Allmann Sattler Wappner | |
Architekten lassen den Turm aus einem Sockel herauswachsen und ihn „mit | |
zunehmender Höhe glatter und transparenter“ werden; von „nobler Eleganz“ | |
spricht das Münchner Büro. | |
Die zentrale Achse von Berlins neuestem Stadtteil, die Heidestraße, wurde | |
bereits ausgebaut. Die Autos schieben sich, aus dem Tiergartentunnel | |
kommend, hier in die nördlichen Stadtteile Berlins und umgekehrt. Ob die | |
Straße jemals zur erwünschten großstädtischen Straße wird, wo man sich | |
gerne aufhält? Vom Europaplatz aus betrachtet, benötigt man viel Fantasie, | |
um sich hier einen vitalen Boulevard vorzustellen. Das südliche „Tor zur | |
Heidestraße“ ist hingegen bereits gebaut. Der Tour Total Berlin und das | |
50Hertz-Hochhaus formen den Auftakt, zwei kurze Türme, die | |
Energiekonzernen dienen. Eine Kirche, eine Moschee oder einen Tempel, | |
ein Kulturzentrum oder eine Bibliothek wird man in der Europacity | |
vergeblich suchen. | |
Die Europacity wird gebaut, damit Berlin sparen und private | |
Immobiliengruppen verdienen können. Einen weitergehenden städtebaulichen | |
oder gestalterischen Anspruch gibt es nicht. Da waren die Pläne für den | |
Potsdamer Platz ambitionierter! Die Baumasse allein garantiert noch keine | |
urbane Erlebnisdichte. Denn Stadtviertel leben von sozialer Mischung, | |
öffentlichen Räumen, von Überraschungen, Widersprüchen und | |
architektonischer Vielfalt. All das hat in der Europacity kaum Platz. | |
Das nordwestliche Zentrum Berlins könnte in Zukunft eher dem Europaviertel | |
in Frankfurt am Main ähneln, einem neuen Stadtteil, der aus Büros und | |
Luxuswohnungen besteht und ebenfalls auf einem ehemaligen Bahngelände | |
errichtet wurde. | |
Städtebau ist immer auch Kapitalanlage, aber die Stadt Berlin will ihre | |
Rolle – die privaten Interessen mit nichtkommerziellen zu verknüpfen – hier | |
partout nicht spielen. Ganze 42 geförderte Wohnungen werden gebaut: dank | |
eines Kuhhandels mit der CA Immo, der dafür 16.000 Quadratmeter | |
Geschossfläche mehr genehmigt wurden. Seit 2014 gilt zwar für | |
Bebauungspläne eine Mindestquote von 25 Prozent gefördertem Wohnungsbau. | |
Für die Grundstücke der CA Immo in der Europacity kam diese Regel jedoch zu | |
spät. | |
22 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
Ulf Meyer | |
## TAGS | |
Berlin | |
Europacity | |
Stadtplanung | |
Architektur | |
Urbanisierung | |
Schwerpunkt Stadtland | |
Wohnungspolitik | |
Rotes Wien | |
Stadtentwicklung | |
Stadtplanung | |
IBA | |
Europacity | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Berliner Mercedes-Benz-Arena: Neuer Name für die Mehrzweckhalle | |
Die Umbenennung der Mercedes-Benz-Arena in Uber-Arena ist auch eine | |
Machtdemonstration. Die größten Kapitalhaufen bestimmen das Bild der Stadt. | |
Drohender Abriss in Berlins Europa-City: Acht Wohnungen weniger | |
Das Land und seine Wohnungsbaugesellschaften haben kein Interesse an einem | |
Moabiter Mietshaus. Nun sucht das Bundeseisenbahnvermögen einen Käufer. | |
Buch zum „Roten Wien“: Mehr Wien wagen | |
Inspiration gefällig, liebe Städteplaner_innen und Kommunalpolitiker_innen? | |
Die Geschichte Wiens bietet jede Menge Vorbilder. | |
Die Potsdamer Straße als neue Toplage: Warten auf das Wirtschaftswunder | |
Schmuddelkind, schick – die Potsdamer Straße ist beides. Auch Sony Music | |
richtet sich nun hier ein, „Im Wirtschaftswunder“ heißt das Bauprojekt. | |
Buch zur Baugeschichte in Berlins Mitte: Einstürzende Altbauten | |
Eine Geschichte von Abriss und Kahlschlagsanierung: Benedikt Goebel | |
zeichnet in „Mitte!“ die Umgestaltungen des Berliner Stadtkerns nach. | |
Hansaviertel in Berlin wird 60 Jahre alt: Gebautes Glücksversprechen | |
Das Hansaviertel war die Antwort Westberlins auf die Stalinallee. Es gilt | |
inzwischen wieder als schick. Taugt es als Modell für den Städtebau von | |
morgen? | |
Kolumne Teilnehmende Beobachtung: Eine Rettungsinsel im Betongold | |
Rasterfassaden, Schießschartenfenster: Unsere Autorin bedauert, dass viele | |
Gebäude, die zuletzt in bester Citylage gebaut wurden, Arschglatt und | |
einfallslos sind. |