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# taz.de -- Hansaviertel in Berlin wird 60 Jahre alt: Gebautes Glücksversprech…
> Das Hansaviertel war die Antwort Westberlins auf die Stalinallee. Es gilt
> inzwischen wieder als schick. Taugt es als Modell für den Städtebau von
> morgen?
Bild: Nach der Wende wollte hier kaum mehr jemand hinziehen: Hansaviertel am Ti…
Als kürzlich in der Presse zu lesen war, dass auf der Internationalen
Gartenausstellung (IGA) in Marzahn-Hellersdorf eine Gondelbahn durch die
Luft schwebte, und zwar erstmals in Berlin, war das nicht ganz korrekt.
Berlins erste Seilbahn schaukelte vor 60 Jahren über die internationale
Bauausstellung „Interbau 1957“.
Für 1,50 D-Mark konnte man damals wie in alpinen Skigebieten in 95 offenen
Doppelsitzern vom Bahnhof Zoo hinüber zum Tiergarten über die Baustellen
des Hansaviertels bis zum Schloss Bellevue gondeln. Die 1,3 Kilometer lange
Seilbahn war das erste Bauwerk, das auf der Interbau eingeweiht wurde.
Konstruiert hatte die 5 bis 12 Meter hohe Anlage die „Allgäuer
Bergbahn-Baugesellschaft“.
1958 wurde die Seilbahn abmontiert. Millionen BerlinerInnen hatten sie
genutzt und den Baufortschritt verfolgt. Das zum Symbol der
architektonischen Moderne und des freien Westberlins stilisierte
Hansaviertel diente zugleich als „Gegenbild“ zu den 1951 bis 1953
realisierten „traditionalistischen“ Wohnungsbauprogrammen im ungeliebten
Ostteil und als Propagandamittel des Kalten Kriegs.
Heute, 60 Jahre nach der Eröffnung der Interbau am 6. Juli 1957, die nicht
als temporäre, sondern als gebaute Architekturausstellung für die dringend
benötigten Wohngebäude im Nachkriegsberlin konzipiert worden war, lässt
sich jene baupolitische Instrumentalisierung des Hansaviertels als Auftakt
einer ganzen Reihe von Vereinnahmungen beziehungsweise Delegitimierungen
des Standorts begreifen.
War die gefeierte „Stadt von morgen“, so hieß die Begleitausstellung
während der Interbau, kurz nach ihrer Fertigstellung zur „Idealstadt“, zum
Glücksversprechen erhoben worden, so erfuhr wenig später das
„Modellprojekt“ der Nachkriegsarchitektur eine Entwertung bis hin zum
Hassobjekt. Die Anhänger der Postmoderne kritisierten den „antiurbanen
Charakter“ des Viertels. Zwischen 1980 und 2000 wurde die Architektur
polemisch angefeindet und ihr Erinnerungswert infrage gestellt.
Das Hansaviertel ist erst heute quasi rehabilitiert. Das hat mit Sicherheit
damit zu tun, dass es einen Paradigmenwechsel in der Rezeption der Moderne
gegeben hat. Das Baudenkmal gehört zu den Besonderheiten in der Berliner
Architekturgeschichte. Das hat aber auch damit zu tun, dass viele der 35
Objekte mit 1.160 Wohneinheiten in den vergangenen Jahren saniert wurden.
Der Bürgerverein Hansaviertel e. V. setzte und setzt sich vehement für die
Belange des Quartiers und seiner Bewohner ein.
Leerstände wie vor der Zeit des Mauerfalls und Anfang der 1990er Jahre gibt
es nicht. Rund 2.500 Menschen leben in dem Viertel. Selbst junge Familien
halten die jetzigen Preise von 3.000 Euro und mehr pro Quadratmeter oder
hohe Mieten nicht ab, sich im zugleich grünen und zentrumsnahen Stadtteil
niederzulassen.
Doch ebenso interessant ist, dass aktuell eine historische und
vergleichende Neueinordnung des Quartiers in der gesamten Stadtentwicklung
nach Kriegsende versucht wird: Das Land Berlin bereitet gerade den zweiten
Antrag vor, das westliche Wohnensemble gemeinsam mit der östlichen
„Stalinallee“ (heute Karl-Marx-Allee) für die Unesco-Welterbeliste
vorzuschlagen. Das scheint ein kluger Schachzug. Besteht doch die Chance,
die statische, konfrontative Perspektive Westmoderne versus
Osttraditionalismus im Kontext zu betrachten – wie in der
Geschichtsschreibung jetzt üblich.
Jörg Haspel, Berlins Landeskonservator, und der frühere Kultursenator
Thomas Flierl, die beide die Welterbe-Nominierung mit initiieren, haben
schon länger darauf verwiesen, dass das Hansaviertel und die Stalinallee
in der doppelten Berliner Baugeschichte nach 1945 in einer regelrechten
„Koevolution“ zueinander stünden. Insofern sei es angebracht, „zu einem
gemeinsamen kritisch-positiven Verständnis des Nachkriegserbes in Berlin zu
gelangen“, so die beiden in dem Unesco-Antrag.
Richtig ist, dass die Interbau 1957 ohne die Ostberliner Stalinallee kaum
denkbar gewesen wäre. Die wechselseitigen Beziehungen zwischen dem
Städtebaupaar beginnen mit ihrer Planung. Das „atemberaubende“ Tempo beim
Bau der Wohnhäuser in der Stalinallee bildete eine Herausforderung für den
Senat, wie Gabi Dolff-Bonekämper, Kunsthistorikerin an der TU Berlin,
meint: „Zwischen dem Planungsbeginn für die Stalinallee im Sommer 1951 und
dem Erstbezug im Dezember 1952 und Januar 1953 sind kaum eineinhalb Jahre
vergangen. Das Projekt wurde seinerzeit als Kollektivleistung gefeiert und
begründete die große Erzählung vom sozialistischen Aufbau von Ostberlin.“
Es verwundert daher nicht, dass als Reaktion auf das große östliche
Wohnungsbauprogramm und auf das Versprechen einer besseren Zukunft der
damalige Regierende Bürgermeister Ernst Reuter und sein Bausenator Karl
Mahler forderten, „ein bauliches Schaufenster der Freiheit“ in Form einer
Bauausstellung zu konzipieren – die spätere Interbau 1957.
Die Bauausstellung sollte den neoklassizistischen Arbeiterpalästen Paroli
bieten und zwar in einer modernen, sozialen und innovativen
Architektursprache. Ganz im Duktus der Kalten-Kriegs-Rhetorik von damals
kündigte Mahler die Bauausstellung an „als Bekenntnis zur westlichen Welt.
Sie soll zeigen, was wir unter modernem Städtebau und anständigem Wohnbau
verstehen im Gegensatz zu dem falschen Prunk der Stalinallee“.
Die Interbau 1957 war somit nicht nur Teil im Wettbewerb der politischen
Systeme und Bauvorhaben. Den staatstragenden Modell- und Symbolcharakter
unterstrich der Westberliner Senat gleichfalls. Das 20 Hektar große Gelände
des einst dicht bebauten, aber kriegszerstörten gründerzeitlichen
Hansaviertels wurde großflächig abgeräumt. Die Besitzer der Areale wurden
enteignet und diese schließlich in eine Experimentierfläche für den
Städtebau umgewidmet.
Und es ging schnell. Nach zwei Wettbewerben 1953 und 1955, der knappen
Finanzierung durch den Bund und das Land, den Bauträger Hansa AG sowie
Millionenspenden privater Geldgeber formte sich ab 1955 der Grundriss für
vier Quartiere im Tiergarten zwischen der S-Bahntrasse und dem Großen Stern
heraus.
Entlang der Bahnlinie waren die schlanken Wohnriegel und die Turmhäuser
angeordnet, um den Hansaplatz an der Altonaer Straße gruppierten sich ein
Ladenzentrum mit Kino, eine Bibliothek und die Kirche. Im Süden und Osten
des Areals war eine locker im Grünen ausgebreitete Stadtlandschaft aus
Hochhauszeilen, vierstöckigen Mehrfamilienhäusern und eine Bungalowsiedlung
vorgesehen. 1955 und 1956 begannen die ersten Baumaßnahmen. Im Jahr danach,
als unter dem Label „Interbau 1957“ die Renommierobjekte quasi aus-
beziehungsweise vorgestellt wurden, waren die meisten Häuser fertig.
Die Interbau fungierte zudem als Kollektivleistung. 53 Büros, davon 19 aus
dem westlichen Ausland, waren eingeladen zu bauen. Mit der Beteiligung der
internationalen Architekten versprach die Bauausstellung hohe
Attraktivität.
Unter der Leitung von Otto Bartning ließen Alvar Aalto und Oscar Niemeyer,
Pierre Vago und Walter Gropius gläserne Riegel, aufgeständerte
Wohnkomplexe, lichte Kirchenräume, Türme und schicke weiße oder bunte
Betonskulpturen zum Wohnen entstehen. Hugh Stubbins Kongresshalle im
Tiergarten – von den Berlinern liebevoll „schwangere Auster“ getauft – …
als Sensation. Am Olympiastadion realisierte Le Corbusier seine Unité
d’Habitation – die Wohnmaschine.
Den Schlusspunkt setzte Werner Düttmann mit der Akademie der Künste, die
1960 eingeweiht wurde. Die Wohnungen, die mit dem Programm des sozialen
Wohnungsbaus finanziert worden waren, aber – wie die Arbeiterpaläste –
nicht unbedingt nur bedürftige Mieter beherbergten, waren da längst
bezogen. Westberlin hatte sein kleines Brasilia und seinen Gegenentwurf zum
ungeliebten sozialistischen Städtebau.
## Die Abrissbirne drohte
Versichert für die Ewigkeit sowie als Wohn- und Stadtmodell für die Zukunft
war das Hansaviertel damit nicht. Im Gegenteil, die Halbwertzeit für große
Bauwerke in Berlin ist bekannt. Während in der Folge ausgerechnet der Osten
die Moderne fortschrieb, ja im Plattenbau radikalisierte, begannen im
Westberlin der 1970er und 1980er Jahre die baukulturellen und politischen
Entwertungen der Nachkriegsarchitektur.
Der Wunsch nach dem Erhalt der historischen Stadt des 19. Jahrhunderts
sowie der Kampf für den Verbleib und Schutz der angestammten Milieus,
Bewohner und Nutzer in den Vierteln führte zu Berlins zweiter
Internationaler Bauausstellung, der IBA 1984/87. Mit dem Konzept der
„behutsamen Stadterneuerung“ von Altbauquartieren und der „kritischen
Rekonstruktion“ von Stadtbezirken trug die „Kreuzberger IBA“ genannte
Bauausstellung zum Kurswechsel im Städtebau wesentlich bei.
Dass das Hansaviertel und die Ideale der Interbau diese Zeit und die Jahre
nach dem Mauerfall beinahe nicht überstanden hätten, lag an der Schärfe der
Kritik, aber auch an selbstgemachten Problemen. In der Siedlung war der
Verschleiß augenscheinlich, es gab Leerstände und eine Überalterung der
Bewohnerschaft, was sichtbar am Selbstverständnis der einstigen „Stadt von
morgen“ zehrte. Hinzu kamen die Rufe nach Abriss oder nach Verdichtung.
Richtig bedrohlich an der Kritik war, dass diese das Hansaviertel als anti-
und unstädtisch zu delegitimieren versuchte und ihm – wie den Ostberliner
Plattenbauten – keinen Platz im historischen Gedächtnis der Stadt
zubilligte.
Heute ist die Bedeutung der Wohnsiedlungen der 1950er – das gilt auch für
die Karl-Marx-Allee – unstrittig. Der Paradigmenwechsel in der Rezeption
der Nachkriegsmoderne vor rund 15 Jahren, die Sanierung und Nutzung hat die
Sicht auf die Bauten und ihre Geschichte revidiert. Sie sind Teil der
Berliner Stadtentwicklungen. Der Gedanke an Abrisse im Wohnungsbau in
Berlin ist zudem: verboten. Auch sind im Hansaviertel 60 Jahre nach der
Interbau durch das zivilgesellschaftliche Engagement und neue
Bewohnerstrukturen die Akzeptanz und die Wertschätzung für seine
Architekturen en vogue.
Was zu Denkspielen führt: Sicher, es gibt noch immer den einen oder anderen
bedauerlichen Reflex, etwa über den vernachlässigten öffentlichen Raum am
Hansaplatz oder fehlende Infrastruktureinrichtungen, wie Antje Karin
Pieper, Anwohnerin und Mitglied des Bürgervereins findet. Doch es
überwiegten „der Stolz“ auf das geschichtsträchtige Baudenkmal sowie ,,die
Bewunderung für die Architektur und zentrale Lage im grünen Herzen der
Metropole“.
Ist das Hansaviertel heute Kult? Hat das Interbau-Modell also wieder
Zukunft? Berlin hatte nach der Interbau 1957 und der IBA 1984/87 noch zwei
weitere – vergebliche – Anläufe für Bauausstellungen unternommen. Die 1997
geplante IBA „Neue Vorstädte“ wurde gestrichen. Die „IBA 2020“, die si…
mit der Aufwertung der Großsiedlungen beschäftigen wollte, kippte der Senat
2013 ebenso, aus Kostengründen. Doch die Hoffnung, dass die IBA 2020 die
Moderne als Zukunftsmodell des Bauens in Berlin wieder relevant machen
könnten, hegten damals nicht wenige Modernefans.
Neue Siedlungen, große Siedlungen, innerstädtische Gartenstädte, große
Wohnungsbauprogramme – warum nicht angesichts des fehlenden Wohnraums für
400.000 mögliche Neuberliner bis 2030?
Harald Bodenschatz, Stadtplaner und vorsichtiger Kritiker der Moderne,
glaubt, dass die Interbau-Epoche Geschichte ist – und bleibt. Eine
Renaissance wäre ein Anachronismus. Das Hansaviertel verkörpere heute wie
das alter Ego im Osten die „ambivalente historische Vision einer Stadt von
morgen aus den 1950er Jahren“. Es könne „nicht mehr als Modell“ für die
Zukunft der Innenstadt herhalten.
Dem sollte man zustimmen. Der Städtebau der Zukunft – und sei er noch so
interessant wie Hansaviertel oder Ex-Stalinallee – kann nicht Zitat sein.
Eine internationale Bauausstellung als Instrument der Stadtplanung hingegen
sollte keineswegs obsolet sein für Berlin. Nicht nur, dass es aktuell
Bauausstellungen gibt: Das Land Thüringen (2011 bis 2023) oder die Stadt
Heidelberg (2012 bis 2022) suchen jeweils in einer IBA nach Antworten auf
die Fragen, wie sie baulich und strategisch die Themen Energiewende
(Thüringen) umsetzen beziehungsweise „Wissenschaftsstadt“ (Heidelberg)
bewältigen können.
Angesichts mutloser baupolitischer Leitbilder und mittlerweile quälender
Ersatzdebatten etwa über Methoden der Innenstadtverdichtung und zu
Beteiligungsverfahren täte eine IBA-Plattform der Berliner Stadtentwicklung
sicher gut. Es muss ja nicht gleich eine Stadtvision à la Interbau in den
Ring geworfen werden. Exemplarische Lösungen, neue Verfahren und Resultate
für einen Wohnungsbau im großen Stil wären schon ausreichend. Von
innovativen Mobilitätsmodellen für den Verkehr im Berlin von morgen ganz zu
schweigen.
11 Jul 2017
## AUTOREN
Rolf Lautenschläger
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