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# taz.de -- Hochwasserschutz in Sachsen: Hier geht’s nicht den Bach runter
> Kleine Gewässer sind wichtig für den Hochwasserschutz. An der sächsischen
> Jauer wird deswegen heute schon umgebaut.
Bild: Liegen Äste am Grund der Jauer? Unbedingt liegen lassen!
Die Jauer plätschert in der Sonne und da, wo das Dunkel endet, legt sich
ein Holzsteg über den Bach. Der Steg ist eine Abkürzung für die Leute auf
dem Weg zum Friedhof, erzählt ein Einheimischer. Mehr als zwanzig Frauen
und Männer taxieren den kleinen Übergang. Angestellte aus kommunalen
Verwaltungen, aber auch Gemeindearbeiter mit kräftigen Unterarmen, die
gleichermaßen Bagger und Kettensäge bedienen können. Sie alle wollen sich
von der Jauer inspirieren lassen und von Andreas Stowasser,
Landschaftsarchitekt und Ingenieur, der in der Mittagshitze an dem Bächlein
entlangführt.
Wer könnte etwas gegen einen Steg haben, der den Gang zu den Gräbern
verkürzt? Andreas Stowasser nickt verständnisvoll – und hat gehörig was
dagegen.
Warum? Stowasser holt aus: Bei einer 5-B-Wetterlage können sich solche
Stege zu gewaltigen Hindernissen auswachsen. Was, wenn die Jauer die
Bretter mitreißt, die sich dann an der nächsten Brücke verkeilen?
5-B-Wetterlagen sind selten, aber sie werden kommen, wieder und wieder, und
durch den Klimawandel häufiger als in der Vergangenheit.
So wie im August 2002, als im Erzgebirge binnen 24 Stunden mehr als 300
Liter pro Quadratmeter herunterkamen. Rinnsale wurden zu Springfluten,
rissen Häuser und Brücken mit. 2021 starben im [1][Ahrtal bei einer Flut]
134 Menschen. Erst Anfang Juni hat eine [2][5-B-Wetterlage über Bayern]
Wasser ausgegossen, sechs Menschen starben.
## Flüsschen Jauer
Wenn man diese Gewalt zähmen will, muss man bei Flüsschen wie der Jauer
beginnen und bei den Stegen und Kompostbergen wie hier in Nebelschütz im
Landkreis Bautzen in Sachsen, ist sich Almut Gaisbauer sicher. Sie hält
sich am Rande dieser Stehkonferenz und verschränkt die Arme. Gaisbauer hat
das Konfliktpotenzial erkannt, hat kommunale Mitarbeiter nach Nebelschütz
geladen und Andreas Stowasser, damit er sein Wissen an die Leute
weitergibt, die für solche Gewässer zuständig sind. Möglich macht es das
Projekt „Lebendige Ufer“ vom BUND Sachsen, das Gaisbauer verantwortet und
das heute an der Jauer beginnt, damit endlich die kleinen Fließe in den
Blick genommen werden.
Andreas Stowasser ist Partner des Projekts. Seit seinem Berufseinstieg vor
dreißig Jahren ist er Fürsprecher für sogenannte ingenieurbiologische
Bauweisen. Das bedeutet, bei der Entwicklung von Gewässern Pflanzen so
gezielt einzusetzen, wie ein Ingenieur sonst mit Beton und Stahl hantieren
würde. Renaturierung mit Pflanzen als Baustoff. Das kann zu mehr
biologischer Vielfalt, Resilienz bei Trockenzeiten und Hochwasserschutz
führen. Dabei muss nicht das gesamte Flüsschen naturnah gestaltet werden,
auch einzelne Stellen machen einen Unterschied. Stowasser spricht von
„Strahlwirkung“. Die naturnahen Abschnitte strahlen auf die anderen,
weniger naturnahen aus.
Man muss nicht mit einem Radlader kommen, um einen Fluss sicherer zu
machen, ist Stowasser überzeugt. Meist erreicht man sogar das Gegenteil.
Erst langsam setzt sich die Einsicht durch, dass einfache Mittel wirksamer
sind, um Flüsschen widerstandsfähiger zu machen – gegen Hochwasser und
[3][Dürre].
Denn an Bächen wie der Jauer entstehen Kräfte, die abwärts, dort wo sie
längst in breitere und mächtigere Flüsse aufgegangen sind, Städte und
Landschaften fortspülen. Und deswegen redet sich Andreas Stowasser mit
heller Stimme und süddeutsch gefärbtem Akzent den Mund fusselig. „Bäume
sind heilig“, ruft er und zeigt auf die Erlen. Sie werfen Schatten, der bei
großer Hitze das Wasser kühlt und vor Austrocknung schützt. Also Bäume
stehenlassen!
Am Bachgrund zu seinen Füßen entdeckt er ein anderes Problem, „zwanzig,
dreißig Zentimeter Schlamm“. Das schränke den Durchlass ein und im Schlamm
könne sich auch kaum Leben entwickeln. Die Lösung: „Wir machen das Gewässer
etwas schmaler, damit das Wasser Kraft hat und das Sediment mitnimmt.“
Planmäßig wird hier im nächsten Jahr als Teil des Projekts Lebendige Ufer
ein Bagger arbeiten, den Aushub ein wenig umsetzen, damit der Bachlauf
nicht mehr so gerade ist. „Dann haben wir auch mehr Schwingung.“
Andreas Stowasser klingt wie ein Therapeut, und für Bachsysteme ist er auch
einer. „Wir machen das Gewässer lebendig und sicherer“, fasst er sein Ziel
zusammen. Die Praktiker, die ihm jetzt zuhören, sollen möglichst viel von
seinen Vorschlägen umsetzen, ohne dass die Untere Wasserbehörde gleich eine
Genehmigung erteilen muss.
Bisher standen solche Flüsschen nicht im Fokus. Gerade 14 Kilometer misst
die Jauer von ihrer Quelle bis zur Mündung in die Schwarze Elster bei
Kamenz, in Sachsen wasserrechtlich ein Gewässer zweiter Ordnung. Die
Zuständigkeit fällt für solche Bäche der jeweiligen Kommune zu. Im Falle
der Jauer sind es die Kommunen Panschwitz-Kuckau, Elstra, Kamenz und
Nebelschütz im Norden des Landkreises Bautzen. Doch Gemeinden haben kaum
Geld. Etwa 500 Euro gibt es pro Uferkilometer vom Freistaat Sachsen pro
Jahr, damit kann man hin und wieder mähen, manches freischneiden und die
schlimmsten Gefahrenstellen beseitigen, mehr nicht.
Apropos freischneiden. Nicht immer ist das eine gute Idee. Manche Erle ist
der Kettensäge schon zum Opfer gefallen. Oft fehlt den Mitarbeitern der
Bauhöfe das Fachwissen, Flüsschen so zu pflegen, wie es ratsam wäre. Dazu
kommen die Anlieger, denen der Bach oft gar nicht breit genug sein kann,
damit das Wasser schnell abfließt. Dass man damit Gefahren erst
heraufbeschwört, ist vielen nicht klar.
## Kanäle zurückbauen
Almut Gaisbauer sagt, Kommunen müssten ohnehin handeln, denn die
Europäische Wasserrahmenrichtlinie verlangt bis 2027 Verbesserungen am
Zustand aller Gewässer. [4][Viele davon wurden in den vergangenen
Jahrzehnten zu Kanälen ausgebaut], mit breiter Bachsohle und steiler
Böschung, mit Schotter zugeschüttet und von Gehölz befreit. Die Folge: Bei
normaler Wassermenge fließt zu wenig ab, der Boden verkrautet oder
verschlammt. Bei Hochwasser fließt es hingegen zu schnell. Weil Schatten
fehlt, ist das Wasser zu warm für Kaltwasserfische wie Stichlinge und
Forellen. Der Sauerstoffgehalt ist gering, der Nähstoffgehalt zu hoch.
Was die Richtlinie betrifft, ist Deutschland in der EU ohnehin das
Schlusslicht, ergänzt Andreas Stowasser. Warum? „Wir haben alles begradigt,
denn wir hatten Geld.“ Jetzt muss Deutschland den Rückweg antreten.
Zumindest in den sächsischen Braunkohleregionen gibt es mit Lebendiges Ufer
nun auch ein Projekt dafür, [5][um das sich Kommunen bewerben können.]
Es wird vom Umweltministerium aus Mitteln des Strukturwandelfonds möglich
gemacht. Der Fonds wurde vom Bund aufgelegt für die Regionen, die vom
[6][Kohleausstieg] betroffen sind, in Sachsen sind das Bautzen, Görlitz,
Leipzig und Nordsachsen. Die Frauen und Männer, die am Ufer der Jauer
stehen, kommen aus den Verwaltungsbüros und den Bauhöfen dieser Landkreise
und haben sich für die Fachexkursion mit Andreas Stowasser angemeldet. Sie
brauchen Anregungen, Input, manchmal auch eine andere Perspektive.
„Was machen wir mit den ganzen Ästen da unten?“, fragt Stowasser arglos.
„Das sieht doch blöd aus, wenn in so einer gepflegten Parkanlage lauter
Äste im Bach liegen.“ Mit den Knüppeln könne sich doch alles in Bewegung
setzen. Stowasser ist in die Rolle des Gegenspielers geschlüpft. So würden
sie doch reden, die Leute. „Was antworten Sie?“ Gemurmel, auch Lachen, eine
Frau sagt: „Liegenlassen!“ – „Richtig. Aber warum?“ Wieder Gemurmel. …
unten sehen Sie die Kinderstube von allem, was dieses Gewässer ausmacht“,
beginnt Stowasser zu schwärmen. „Wir haben Kiesflächen, das sind
Laichplätze, wir haben Äste, wo sich Wirbellose, Libellenlarven,
Krebstierchen wohlfühlen. Sagt den Leuten, das ist voller Leben!“
Aber bei Hochwasser? „Das Hochwasser kann drüber weg. Die Äste
stabilisieren sogar die Sohle.“ Schulklassen könnten hierher Exkursionen
unternehmen. „Das ist total super! Und Sie sind die Beschützer solcher
Stellen!“
## Nicht alle sind überzeugt
Manch einem gehen andere Gedanken durch den Kopf. Ein Verwaltungsmann steht
abseits, er ist in seiner Gemeinde für die Gewässer zuständig. „Der hat gut
reden“, sagt er und deutet zu Stowasser. „Der ist heute wieder weg, und wir
haben den [7][Ärger mit Landwirten] und Anliegern.“ Die Konflikte stecken
in den vielen kleinen Dingen, so wie hier bei den Ästen im Bach. Der Mann
bleibt skeptisch.
Im nächsten Jahr wird Andreas Stowasser wiederkommen. Ein Bagger wird
löffeln, dem Bach ein wenig Schwung geben und dabei den Steg zum Friedhof
entfernen. Was werden die Leute sagen? Soll man dann von lebendigen Ufern
erzählen? Oder gar von der Wasserrahmenrichtlinie? Für den Steg jedenfalls
hat sich Stowasser eine Lösung überlegt. Einige große Trittsteine werden
die Brücke ersetzen. Die spült garantiert kein 5-B-Wetter fort.
22 Jul 2024
## LINKS
[1] /Vom-Ahrtal-ins-Tiny-House/!6015124
[2] /Hochwasser-als-Wahlkampfhilfe/!6013027
[3] /Landwirtschaft-in-Sizilien/!6018034
[4] /Umweltverschmutzung-von-Fluessen/!5924145
[5] https://www.bund-sachsen.de/wasser/lebendige-ufer/
[6] /Kein-Projekt-der-Ampel-mehr/!6011842
[7] /Agrarlobby-gegen-Naturschutz/!6012538
## AUTOREN
Thomas Gerlach
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Klima
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