# taz.de -- Kriminalisierte Medien in Lateinamerika: Unsicherheit und Angst sch… | |
> Angriffe auf die Presse- und Meinungsfreiheit mehren sich in | |
> Lateinamerika. Nicaragua liefert eine unrühmliche Blaupause. | |
Bild: In den Redaktionsräumen der Zeitung La Prensa im Februar 2020 | |
Genau ein Jahr ist es her, seit die letzte oppositionelle Tageszeitung | |
Nicaraguas das Erscheinen ihrer Printausgabe einstellen musste. Am 13. | |
August 2021 stürmten die [1][Schergen des Staatschefs Daniel Ortega und | |
dessen Ehefrau sowie Vizepräsidentin Rosario Murillo die Redaktionsräume | |
von La Prensa], angeblich, um Beweise für Geldwäsche und Zollbetrug zu | |
finden. | |
Vorher hatte das Regime 75 Wochen lang Papier und Druckerschwärze | |
zurückbehalten, um die Herausgabe des Blattes zu verhindern. Seither | |
erscheint La Prensa nur noch online. So wie auch die Zeitung Confidencial, | |
der TV-Sender 100 % Noticias und alle anderen Medien, die Ortegas und | |
Murillos Macht angreifen. | |
Vor wenigen Wochen schlug die Regierung wieder zu: [2][Zwei Mitarbeiter | |
wurden verhaftet und die Wohnungen von Journalist*innen durchsucht, | |
nachdem La Prensa über die Ausweisung von Nonnen des Mutter-Teresa-Ordens | |
berichtet hatte]. Kurz darauf meldete das Portal, das Personal der Zeitung | |
sei ins Exil gegangen. Die Kolleg*innen berichten nun, wie alle anderen | |
oppositionellen Medien Nicaraguas, aus dem Ausland. | |
In einem Land, in dem über 1.200 Nichtregierungsorganisationen (NGO) | |
verboten wurden, politische Gefangene gefoltert werden und 150.000 Menschen | |
ins Exil gehen mussten, ist dieser Terror gegen die Journalist*innen | |
kaum verwunderlich. Man muss kritische Stimmen zum Schweigen bringen, will | |
aber auch Angst und Unsicherheit schüren – die „wichtigste Waffe der | |
Diktatur“, wie Vilma Núñez von der Menschenrechtsorganisation CENIDH | |
beschreibt. | |
## Journalisten beschimpfen | |
Erschreckend ist jedoch, dass das Vorgehen mittlerweile zur Blaupause für | |
andere Regierungen in der Region geworden ist. So wurde Ende Juli in | |
Guatemala der Leiter der Morgenzeitung El Periódico, José Rubén Zamora, | |
verhaftet, nachdem er den [3][Präsidenten Alejandro Giammattei und seine | |
Entourage der Korruption] beschuldigt hatte. Auch ging es um angebliche | |
Geldwäsche. | |
In El Salvador bemüht sich [4][Staatschef Nayib Bukele ausdauernd darum, | |
das Onlineportal El Faro] zu kriminalisieren. Vergangene Woche beschimpfte | |
er den Journalisten Juan José Martínez d’Aubuisson, weil dieser sich lange | |
Zeit unter kriminellen Banden bewegt hatte. Was man eben tun muss, um | |
ordentlich zu recherchieren. D’Aubuisson hatte aufgedeckt, dass im Kampf | |
gegen die „Maras“ Menschen willkürlich verhaftet wurden. Just als Reaktion | |
auf diese El-Faro-Recherchen wird nun erneut über eine juristische Maßnahme | |
diskutiert, die zunächst ad acta gelegt worden war: die Einführung des | |
„Gesetzes über ausländische Agenten“. | |
Dieses Gesetz steht derzeit in vielen Ländern hoch im Kurs, in denen | |
Presse- und Meinungsfreiheit nichts zählt. Die Akteure müssen sich | |
registrieren, sollen überdimensional hohe Steuern zahlen und sind mit | |
absurden Verwaltungsauflagen konfrontiert. Viele nicaraguanischen NGOs und | |
Medien wurden kriminalisiert, weil sie von internationalen | |
Geldgeber*innen unterstützt wurden und angeblich nicht bereit waren, | |
ihre Finanzen offenzulegen. | |
## Ausland unter Generalverdacht | |
Auch Guatemala hat eine Pflicht zur Registrierung beschlossen, und in Kuba | |
tritt diese Woche ein Gesetz in Kraft, das Haftstrafen von vier bis zehn | |
Jahren vorsieht, wenn Oppositionelle Hilfe aus dem Ausland erhalten. | |
In erster Linie zielt die Kategorie des „ausländischen Agenten“ natürlich | |
auf autoritäre Kontrolle. Zugleich nährt sie das nationalistische Narrativ, | |
nachdem internationale „Feinde des Volkes“ für oppositionelle Bestrebungen | |
verantwortlich seien. Vielleicht muss man noch mal darauf hinweisen: Wir | |
sprechen nicht von Spionage, Sabotage oder dem Aufbau bewaffneter Contras, | |
wie die CIA das in den 1980er Jahren in Nicaragua betrieb. Es geht um das | |
gesprochene oder geschriebene Wort. | |
Bleibt zu hoffen, dass die nicaraguanische Schriftstellerin Giaconda Belli | |
recht behält mit dem, was sie letzte Woche nach dem Attentat auf ihren | |
Freund Salman Rushdie in der spanischen El País schrieb: „Die Finsterlinge | |
können Schaden anrichten, aber sie werden nicht siegen.“ | |
16 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Razzia-bei-La-Prensa-in-Nicaragua/!5789663 | |
[2] /Nicaragua-geht-gegen-NGOs-vor/!5842510 | |
[3] /Zivilgesellschaft-in-Guatemala/!5834080 | |
[4] /Gewalt-in-El-Salvador/!5855849 | |
## AUTOREN | |
Wolf-Dieter Vogel | |
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