# taz.de -- Deutsche Welle in der Türkei gesperrt: Pressefreiheit ohne Lizenz | |
> Ein türkisches Gericht hat die Websites der Deutschen Welle und von Voice | |
> of America gesperrt. Die DW möchte weiter mittels sozialer Medien | |
> informieren. | |
Bild: Der Internetauftritt der Deutschen Welle ist in der Türkei nicht mehr zu… | |
Die türkische Medienaufsichtsbehörde RTÜK hat Ernst gemacht. Seit | |
vergangenen Donnerstagabend sind die Websites der Deutschen Welle (DW) in | |
der Türkei in allen 32 Sendesprachen nicht mehr erreichbar, ebenso das | |
türkische Angebot der vom US-Kongress finanzierten Voice of America (VOA). | |
Ein Gericht hat sie auf Antrag der Behörde gesperrt. | |
Am Montag sagte DW-Intendant [1][Peter Limbourg dem Deutschlandfunk], dass | |
der Sender auch nach der Sperrung Menschen in der Türkei informieren werde, | |
über soziale Medien, wo die DW weiterhin präsent ist. Außerdem bewirbt der | |
Sender eine Umgehungssoftware, mit der die Websites in der Türkei weiterhin | |
erreichbar sind. Auf seiner deutschen Website [2][erklärt DW ausführlich], | |
wie Leser:innen die Sperrung über den Tor-Browser, VPN oder die DW-App | |
umgehen können. | |
Im Februar hatte die türkische Medienaufsichtsbehörde DW und VOA dazu | |
aufgerufen, entsprechend [3][einem Gesetz aus dem Jahr 2019] Lizenzen zu | |
beantragen und damit gedroht, deren Angebote ansonsten zu sperren. Die DW | |
ist dem nicht nachgekommen. Ihr Vorgehen begründete sie in [4][einer | |
Erklärung] von vergangener Woche damit, dass „eine Lizenzierung die Zensur | |
von redaktionellen Inhalten durch die türkische Regierung ermöglicht | |
hätte“. | |
Intendant Limbourg erklärte, dass der Sender dem Vorsitzenden der | |
Medienkontrollbehörde diesen Grund schriftlich und im persönlichen Gespräch | |
dargelegt habe. „So sind in der Türkei lizenzierte Medien beispielsweise | |
zur Löschung von Online-Inhalten verpflichtet, die nach Auslegung von RTÜK | |
als unangemessen angesehen werden. Das ist für einen unabhängigen | |
Medienanbieter schlicht inakzeptabel“, sagte Limbourg. Gegen die Sperrung | |
werde man deshalb den Rechtsweg nutzen. Yolanda López, geschäftsführende | |
[5][Direktorin von VOA,] bezeichnete die Entscheidung der Behörde als „kaum | |
verhüllten Versuch, unliebsame Berichterstattung zu zensieren“. Das | |
US-Außenministerium kritisierte das Vorgehen als zunehmende [6][staatliche | |
Kontrolle über die Pressefreiheit] in der Türkei. | |
## Scholz kündigt zunächst Unterstützung an | |
DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall rief die Bundesregierung dazu auf, | |
gegenüber den türkischen Regierungsbehörden darauf zu drängen, die Sperrung | |
aufzuheben: „Die Deutsche Welle ist immerhin Deutschlands Auslandssender. | |
Damit ist das Thema in Berlin angesiedelt.“ Auch die Organisation Reporter | |
ohne Grenzen kritisierte die Sperrung: „Die Deutsche Welle füllt neben den | |
wenigen verbliebenen unabhängigen Medien eine Informationslücke in der | |
Türkei, nachdem die einst pluralistische Medienlandschaft in der Türkei | |
mittlerweile zu fast 90 Prozent unter Kontrolle der Regierung oder | |
regierungsnaher Geschäftsleute steht“, sagte Geschäftsführer Christian | |
Mihr. | |
„Wir unterstützen die Deutsche Welle“, antwortete Bundeskanzler Olaf Scholz | |
bei einer Pressekonferenz im Rahmen seines Antrittsbesuchs in der Türkei | |
auf eine Frage zur DW. „Ich habe das auch im Gespräch mit dem Präsidenten | |
erwähnt, dass sie eine freie, ungehinderte Möglichkeit der | |
Berichterstattung hat, das ist unser Ziel, das zu gewährleisten.“ | |
Am Freitag, nachdem die Deutsche Welle gesperrt worden war, klang | |
Regierungssprecher Steffen Hebestreit [7][in der Regierungspressekonferenz] | |
zurückhaltender. Die Bundesregierung habe die Sperrung „mit Bedauern zur | |
Kenntnis genommen“, ihre Sorge um die Pressefreiheit in der Türkei bestehe | |
fort. Sie stehe dazu „regelmäßig im kritischen Austausch“ mit den | |
türkischen Gesprächspartnern und setze sich „auch weiterhin für einen | |
unabhängigen, faktenbasierten Journalismus in der Türkei“ ein. | |
Auf die Nachfrage, ob die Bundesregierung etwas unternehmen könne, verwies | |
Hebestreit auf den Rechtsweg, den die DW beschreiten wolle. „Das gilt es | |
abzuwarten.“ Auch Medienstaatsministerin [8][Claudia Roth kritisierte das | |
Vorgehen] der türkischen Behörde kurz nach der Sperrung: „Das ist eine | |
schlechte Nachricht für die ohnehin schon eingeschränkte Meinungs- und | |
Pressefreiheit in der Türkei.“ Eine Nachfrage der taz nach konkreten | |
Maßnahmen, um die Sperrung wieder rückgängig zu machen, ließ die | |
Staatsministerin für Kultur und Medien bis zum Redaktionsschluss | |
unbeantwortet. | |
Nach eigenen Angaben stößt das Angebot der DW in der Türkei auf steigendes | |
Interesse. Über die Website sowie über die Social-Media-Kanäle auf Youtube, | |
Twitter, Facebook und Instagram habe das Programm monatlich rund 35 | |
Millionen Zugriffe im ersten Halbjahr 2022 erreicht, sieben Mal so viele | |
wie 2018 im gleichen Zeitraum. | |
Die Sperrung von DW und VOA erfolgt ein Jahr vor den geplanten Parlaments- | |
und Präsidentschaftswahlen in der Türkei, außerdem in einer Zeit hoher | |
Inflationsraten: Waren und Dienstleistungen kosteten im Juni 78,62 Prozent | |
mehr als ein Jahr zuvor, ist den am Montag veröffentlichten Daten des | |
Statistikamts zu entnehmen. Das ist die höchste Inflationsrate seit | |
September 1998. | |
6 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.deutschlandfunk.de/die-deutsche-welle-wehrt-sich-juristisch-geg… | |
[2] https://www.dw.com/de/zensur-mit-vpn-umgehen-ist-das-%C3%BCberhaupt-sicher/… | |
[3] /Angriffe-auf-Popkultur-in-der-Tuerkei/!5699725 | |
[4] https://www.dw.com/de/t%C3%BCrkische-rundfunkbeh%C3%B6rde-sperrt-deutsche-w… | |
[5] https://www.insidevoa.com/a/yolanda-lopez-director-of-voa-news-center/36944… | |
[6] https://www.voanews.com/a/turkey-blocks-access-to-voa-turkish-language-cont… | |
[7] https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/regierungspressekonferenz-vom-… | |
[8] https://www.dw.com/de/t%C3%BCrkei-sperrt-das-angebot-der-deutschen-welle/a-… | |
## AUTOREN | |
Volkan Ağar | |
## TAGS | |
Deutsche Welle | |
Pressefreiheit in der Türkei | |
Schwerpunkt Türkei | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk | |
Öffentlich-Rechtliche | |
Kolumne Alles getürkt | |
Türkei | |
Verhaftung | |
Latin Affairs | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Kolumne Flimmern und Rauschen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Meinungsfreiheit in der Türkei: Eminanim, meine Zensurbehörde | |
Meinen Nachruf auf die Meinungsfreiheit in der Türkei habe ich nicht mal | |
durch die hausinterne Zensur bekommen. | |
Neues Zensurgesetz in der Türkei: Der Rest Pressefreiheit schwindet | |
Die Türkei verabschiedet ein Mediengesetz – offiziell, um „Desinformation�… | |
zu bekämpfen. Journalistenverbände befürchten etwas anderes. | |
Verhaftung der Pop-Sängerin Gülşen: Keine Scherze mehr | |
In der Türkei ist die Sängerin Gülşen verhaftet worden, weil sich die AKP | |
von einem Scherz angegriffen fühlt. Gehört das schon zu Erdogans Wahlkampf? | |
Kriminalisierte Medien in Lateinamerika: Unsicherheit und Angst schüren | |
Angriffe auf die Presse- und Meinungsfreiheit mehren sich in Lateinamerika. | |
Nicaragua liefert eine unrühmliche Blaupause. | |
Medien in der Ukraine: Sendestopp für den Oligarchen | |
Der reichste Mann der Ukraine hat seine Medienlizenzen an den Staat | |
zurückgegeben. Grund dafür könnten das neue Oligarchengesetz sein – oder | |
Geld. | |
Pressefreiheit auf den Philippinen: Duterte gegen „Rappler“ | |
Das philippinische Nachrichtenportal „Rappler“ steht vor dem Aus. Die | |
Redaktion will trotz der Repressionen vorerst weitermachen. | |
Pressefreiheit in der Türkei: Website der Deutschen Welle gesperrt | |
Die Türkei hat die Seiten der Deutschen Welle und der Voice of America | |
gesperrt. Der Deutsche Journalistenverband fordert die Bundesregierung auf, | |
aktiv zu werden. | |
Bericht der Europäischen Union: Verschwundene Pressefreiheit | |
Die EU veröffentlicht einen Report zur Pressefreiheit, in dem einige | |
Mitglieder schlecht wegkommen. Doch der verschwindet plötzlich von der | |
Homepage. |