| # taz.de -- Meinungsfreiheit in der Türkei: Eminanim, meine Zensurbehörde | |
| > Meinen Nachruf auf die Meinungsfreiheit in der Türkei habe ich nicht mal | |
| > durch die hausinterne Zensur bekommen. | |
| Bild: Korrekter Gebrauch aus Sicht der türkischen Behörden: Präsident Erdoga… | |
| Weil die türkische Regierung jetzt auch noch [1][die sozialen Medien unter | |
| ihre Kontrolle bringen will], schreibe ich auf meiner Facebook-Seite: | |
| „Herzliches Beileid, Türkei! Die Meinungsfreiheit ist nach langer Krankheit | |
| nun endgültig beerdigt worden.“ | |
| Sofort bekomme ich einen Kommentar von meiner Facebook-Freundin Eminanim. | |
| „Osman, was hast du dir denn dabei gedacht, verdammt?“, schreibt sie und | |
| kommt dann höchstpersönlich ins Wohnzimmer gestürmt. | |
| „Na, Eminanim, ist doch schön satirisch und höchst kritisch, nicht wahr?“, | |
| sage ich und freue mich über die begeisterte Resonanz ihrerseits. | |
| „Sofort löschen! Sofort löschen“, brüllt meine Frau daraufhin weniger | |
| begeistert. | |
| „Warum das denn? Mit 'nach langer Krankheit’ meine ich, dass die Türkei, | |
| was die [2][Meinungsfreiheit] betrifft, ohnehin auf Platz 254 in der Welt | |
| war, noch hinter Kongo, Bangladesch, Simbabwe, Afghanistan und Äthiopien.“ | |
| „Das habe ich schon verstanden. Aber warum schreibst du das? Willst du | |
| Ärger haben, oder was?“, schimpft sie. | |
| „Aber als Satiriker muss ich doch das neue Zensur-Gesetz ironisch | |
| kritisieren und durch den Kakao ziehen!“, kontere ich selbstbewusst. | |
| „Und die Zensurbehörde wird dich durch alle möglichen Gerichte ziehen – es | |
| sei denn …“ | |
| „Es sei denn – was?“, frage ich diesmal nicht ganz so selbstbewusst. | |
| „Es sei denn, du verhältst dich ausnahmsweise mal intelligent und zensierst | |
| dich selbst, wie alle Autoren in der Türkei. Zum Beispiel der Satz 'nach | |
| langer Krankheit’ muss raus.“ | |
| „Das geht doch nicht! Das ist die ironische Kernaussage meines Satzes. Das | |
| bedeutet, nachdem die Meinungsfreiheit all die Jahre wie ein Stier einen | |
| Dolchstoß nach dem anderen hinnehmen musste, bekommt sie jetzt den | |
| 'Todesstoß’. Das muss ich doch anprangern!“ | |
| „Die Meinungsfreiheit bekommt einen Dolchstoß und wenn du es anprangerst, | |
| bekommst du zehn Jahre Knast! Es sei denn du tauschst das Wort 'Türkei’ mit | |
| 'Familie’ aus.“ | |
| „Super Idee, Eminanim! Wenn ich anstatt 'Herzliches Beileid, Türkei’, | |
| 'Herzliches Beileid, Familie’ sage, bleibt meine höchst satirische Aussage | |
| trotzdem dieselbe. Die Türkei ist ja ohnehin wie eine richtige Familie. Die | |
| streiten, zanken und würgen sich ständig. Genial, das machen wir so.“ | |
| „Wir müssen auch die 'Meinungsfreiheit’ austauschen“, knurrt sie. | |
| „Meinungsfreiheit austauschen? Womit?“ | |
| „Mit 'Onkel Ömer’ zum Beispiel.“ | |
| „Mit Onkel Ömer? Was hat denn mein Onkel jetzt damit zu tun?“ | |
| „Sehr viel. Er wird dich vor dem Knast bewahren! Also Osman, so sieht jetzt | |
| deine höchst satirische Zensurkritik aus: 'Herzliches Beileid, Familie. | |
| Mein Onkel Ömer ist nach langer Krankheit nun endgültig beerdigt worden.’“ | |
| „Eminanim, spinnst du? Mein Onkel Ömer ist doch quicklebendig und wurde | |
| nicht beerdigt, sondern die Meinungsfreiheit!“ | |
| „Na Osman, ist das nicht genial? Damit legst du die türkische Zensurbehörde | |
| so was von rein!“ | |
| 29 Oct 2022 | |
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| Osman Engin | |
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