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# taz.de -- Journalismus in Mexiko: Unter Einsatz ihres Lebens
> Obwohl im Land kein Krieg herrscht, sind die Bedingungen für
> Medienschaffende wie in einem solchen. Viele fliehen, um sich und ihr
> Umfeld zu schützen.
Bild: Menschen nehmen an einer Demonstration in Mexico City teil, nachdem ein m…
Bleiben und schweigen? Oder flüchten, um nicht zu sterben? Das Zuhause
verlassen, die Freund*innen, die feste Arbeit? Die Familie zurücklassen, um
sie nicht zu gefährden? Angesichts der [1][zunehmenden Gewalt gegen
Journalist*innen] müssen sich immer mehr Medienschaffende in Mexiko
diesen Fragen stellen.
„Wir müssen akzeptieren, dass wir verletzlich sind, die Schuld loslassen
und verstehen, dass das erzwungene Weggehen das letzte Mittel ist, um am
Leben festzuhalten“, schreibt die Reporterin Daniela Pastrana auf dem
Portal „Pie de Página“. Und die Anthropologin Jessica Arellano López
ergänzt: „Das Verlassen der Heimat ist ein Kampf dafür, das Wort und die
Familie zu behalten.“
Elf Journalist*innen sind in diesem Jahr bereits ermordet worden,
[2][153 starben seit 2000 eines gewaltsamen Todes.] Tendenz steigend. Nicht
wenige Pressearbeiter*innen, die von der Mafia, korrupten Polizisten oder
mächtigen wirtschaftlichen Kräften bedroht werden, entschließen sich
deshalb, zu flüchten. Die einen gehen – meist vorübergehend – nach Europa,
um sich eine Auszeit zu nehmen, andere ziehen in die Hauptstadt, wo sie
sich unter Millionen von Menschen etwas sicherer fühlen.
Das Phänomen ist nicht neu. Doch da die Lage immer bedrohlicher wird, ist
die Flucht mittlerweile zu einer weiteren von vielen Komponenten geworden,
mit denen sich kritische Medienschaffende in Mexiko auseinandersetzen
müssen.
## Die Angst endet auch außerhalb der Gefahrenzone nicht
Die Organisation Aluna, die Menschenrechtsaktivist*innen und auch
Journalist*innen psychosoziale Begleitung bietet, hat deshalb
vergangene Woche ein Buch veröffentlicht, das den entmutigenden Titel „Die
Angst geht dort weiter“ trägt. Es ist das Ergebnis einer Untersuchung von
Arellano López, in der Reporter*innen über ihre Fluchterfahrung
sprechen.
Aluna lässt keine Zweifel daran, dass es sich bei den geflüchteten
Kolleg*innen gemäß der UNO-Definition um „gewaltsam intern Vertriebene“
oder um Exilierte handelt. Und tatsächlich endet ihre Angst nicht, wenn sie
nicht mehr in der Gefahrenzone leben. Da ist die zurückgebliebene Tochter,
der Druck auf die Familie, die Bilder von Leichen im Kopf, die tiefsitzende
emotionale Belastung, die Furcht, dass die Verfolger überall sind.
Zugleich betonen die Befragten, dass die Angst ihnen das Leben gerettet und
geholfen habe, fragwürdige Berufsklischees zu hinterfragen. So etwa
Patricia Mayorga, die im europäischen Ausland leben musste, nachdem ihre
[3][Kollegin Miroslava Breach ermordet wurde.] „Du hast kein Recht zu
fühlen, zu weinen, zu nichts“, sagt sie über die Erwartungen der
Redaktionen. Heute lässt sie sich auf solche Kriterien nicht mehr ein, auch
wenn es sie den Job kosten könnte.
Der eigene Körper wird zum umkämpften Territorium, das es zu verteidigen
gilt. Das zu verstehen und damit umgehen zu lernen zählt heute zu den
Grundanforderungen an kritische mexikanische Journalist*innen. Ohne
emotionalen Selbstschutz und Monitoring durch Dritte während
Recherchereisen ist die Arbeit kaum mehr denkbar.
## Der Druck wächst – vor allem für Freischaffende
Zu Recht erklärte die Reporterin Marcela Turati, sie und ihre
Kolleg*innen hätten lernen müssen, als Kriegsreporter*innen zu
arbeiten. Und das in einem Land, in dem offiziell kein Krieg herrscht und
[4][dennoch täglich hundert Menschen gewaltsam ums Leben kommen.]
Vor allem für freischaffende Reporter*innen wächst der Druck.
[5][Manche Redaktionen wollen Blut sehen,] die Honorare sind lächerlich
gering und die soziale Absicherung ist gleich null. Nicht wenige geben auf.
Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador hat nun angekündigt, 25
Prozent des bislang für staatliche Werbung ausgegebenen Geldes dafür zu
nutzen, selbstständigen Journalist*innen eine soziale Absicherung zu
garantieren.
Ein richtiger Schritt, vorausgesetzt, das Geld steht auch seinen
Kritiker*innen zur Verfügung. Noch wichtiger wäre es, [6][dass der
Staatschef endlich aufhört, Medienschaffende an den Pranger zu stellen] und
sie damit zusätzlich jenen Gefahren auszusetzen, die sie das Leben kosten
können.
27 Jun 2022
## LINKS
[1] /Kriminalitaet-in-Mexiko/!5709721
[2] /Morde-an-mexikanischen-Journalisten/!5411394
[3] /Journalistinnenmorde-in-Mexiko/!5829439
[4] /Getoetete-Frauen-in-Lateinamerika/!5666531
[5] /Enthuellungen-und-Medien/!5755150
[6] /Praesident-von-Mexiko/!5760886
## AUTOREN
Wolf-Dieter Vogel
## TAGS
Kolumne Latin Affairs
Mexiko
Schwerpunkt Pressefreiheit
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