# taz.de -- Aktivisten übersetzen chinesische Medien: Die Propaganda entlarven | |
> Chinas Kommunikation nach außen entspricht nicht der im Inneren des | |
> Landes. Aktivisten machen das mit „The Great Translation Movement“ | |
> sichtbar. | |
Bild: Chinas Militärmanöver rund um Taiwan im chinesischen Staats-TV | |
SEOUL taz | Wenige Tage nachdem Putins Panzer nach Kiew rollten, hatte Han | |
Yang endgültig genug. Der Chinese, der seit den späten 90ern in Sydney | |
lebt, schaute mit Abscheu auf die Nachrichten aus der alten Heimat, die auf | |
sein Smartphone einprasselten: Chinesische Staatsmedien publizierten | |
Berichte über die „Spezialoperation“ der Russen, die angeblich durch die | |
Expansionspolitik der USA provoziert wurde. | |
Patriotische Influencer mit Parteibuch und Millionenpublikum verbreiteten | |
antisemitische Verschwörungstheorien über den ukrainischen Präsidenten | |
Selenski. Und auf dem Messengerdienst Wechat tobte ein Mob, der den | |
Ukrainern einen „schnellen Tod“ wünschte und dazu aufrief, ihre „weiblic… | |
Schönheiten“ zu adoptieren. | |
Was den 50-Jährigen besonders aufregte, war die Scheinheiligkeit des | |
Propagandaapparats: Während sich die chinesische Regierung auf dem | |
internationalen Parkett als neutrale Friedensmacht gerierte, beschallten | |
sie die eigene Bevölkerung mit den kriegstreiberischen Narrativen der | |
russischen Staatsmedien. | |
In jenen Tagen fing Han Yang schließlich an, was zu seinem täglichen Ritual | |
wurde: Von Social-Media-Kommentaren bis hin zu Leitartikeln der | |
Volkszeitung übersetzt er Botschaften aus dem chinesischen Netz, die den | |
meisten auf der Welt verborgen bleiben, und stellt sie auf Twitter. „Ich | |
betrachte mich nicht als Dissidenten, sondern sehe mich vor allem als | |
Bürgerjournalisten“, sagt Yang. | |
## Bewegung der Übersetzer | |
Der Chinese ist Teil von The Great Translation Movement, einer | |
[1][Onlinebewegung], die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die dunkle Seite | |
der Propaganda für die Außenwelt zu entlarven – schlicht, indem sie diese | |
ins Englische übersetzt. 180.000 Menschen folgen mittlerweile auf Twitter. | |
Der bombastische Name ist als ironische Anspielung auf die Kampagnen des | |
Staatsgründers Mao Zedong zu verstehen, der die Massen mit Parolen wie dem | |
„Großen Sprung nach vorn“ mobilisierte. | |
Auch wenn im Prinzip jeder mitmachen kann, besteht der harte Kern der | |
Bewegung aus weniger als einem Dutzend Mitgliedern. Im Vergleich zu Han | |
Yang halten die anderen ihre Identität streng geheim, um sich vor der | |
Strafverfolgung zu schützen. Viele Indizien sprechen dafür, dass es sich | |
bei den meisten von ihnen um junge Chinesen handelt, die im Ausland leben | |
oder eine ausländische Staatsbürgerschaft besitzen. Denn die Regierung | |
ihres Geburtslandes wertete sie unlängst als Vaterlandsverräter. | |
Bereits im März publizierte die Parteizeitung Global Times einen Kommentar, | |
in dem das Great Translation Movement als „verabscheuungswürdige | |
Hetzkampagne gegen China“ bezeichnet wird. Der Bewegung wird darin | |
vorgeworfen, dieselben Verleumdungstaktiken zu verwenden wie einst der | |
antikommunistische US-Senator Joseph McCarthy. Mehr noch: Sie sei „Teil | |
der psychologischen Kriegsführung gegen China“. | |
## Wunder Punkt getroffen | |
Die Bewegung trifft einen wunden Punkt. Denn die Scheinheiligkeit, mit der | |
sich die chinesische Regierung in ihrer äußeren Propaganda als kuschelige | |
Panda-Nation inszeniert, während man das eigene Volk mit nationalistischer | |
Rhetorik gegen einen bedrohlichen Westen einschwört, möchte Peking nur | |
allzu gern unter Verschluss halten. Am Beispiel des Ukrainekonflikts trat | |
die Diskrepanz so offen wie selten zutage. | |
Keine 48 Stunden nach Kriegsbeginn veröffentlichte das Staatsmedium Shimian | |
Xinwen versehentlich eine Direktive der Propagandabehörde, wie sie bei | |
„sensiblen Themen“ mehrfach täglich ausgegeben wird: „Für Russland | |
unvorteilhafte, prowestliche Standpunkte dürfen nicht gesendet werden“, | |
heißt es da knapp. Die Anweisung führte dazu, dass in sämtlichen | |
Fernsehnachrichten und Zeitungsartikeln wochenlang die Leiden der | |
ukrainischen Zivilbevölkerung konsequent ignoriert wurden. | |
Diese scheinheilige Diskrepanz durchzieht fast sämtliche Debatten: wenn | |
etwa Xi Jinping in seinen Videoansprachen vor den Vereinten Nationen eine | |
„friedliche Wiedervereinigung“ mit Taiwan propagiert und gleichzeitig Hu | |
Xijin – ein führender Publizist und hochrangiges Parteimitglied – in seinen | |
Artikeln eine möglichst baldige Invasion der Insel fordert. Und als Japans | |
Ex-Premier Shinzo Abe ermordet wurde, sandte die Regierung zwar öffentliche | |
Beileidsbekundungen ab, doch im Netz duldeten die Zensoren einen | |
nationalistischen Mob, der millionenfach dem Täter gratulierte. | |
## Mauer der Zensur | |
Bereits der renommierte Experte für Nordkorea Brian R. Myers, Professor im | |
südkoreanischen Busan, hat in seinen Studien zwischen den unterschiedlichen | |
„Schienen“ der nordkoreanischen Propaganda differenziert: die inneren, an | |
das heimische Publikum gerichteten Narrative sowie die externen | |
Botschaften, mit denen die internationale Gemeinschaft erreicht werden | |
soll. Am Beispiel Pjöngjangs unterscheiden diese sich teils diametral – | |
jedoch ohne dass die Widersprüche aufgrund der hohen Sprach- und | |
Zensurbarrieren bemerkt werden. | |
Im Falle Chinas sind jene Mauern ebenfalls riesig. Der Staat hat mit seiner | |
„Great Firewall“ ein Internet errichtet, das zuweilen mehr an ein Intranet | |
erinnert: Fast sämtliche [2][ausländischen Medien sind nicht zugänglich], | |
die heimischen Publikationen gleichgeschaltet. | |
[3][Wie effizient das Informationsmonopol funktioniert, ließ sich im | |
Frühjahr beim Lockdown von Schanghai beobachten], der in den offiziellen | |
Medien schlicht nicht stattfand. Die immer engmaschigere Zensur, die | |
sämtliche Schattenseiten der eigenen Gesellschaft unter den Teppich kehrt, | |
hat mit dem Weltbild von Staatschef Xi Jinping zu tun. Der 69-Jährige wurde | |
vom Untergang der Sowjetunion geprägt, die für ihn vor allem eine Folge des | |
Mangels an ideologischer Kontrolle während der Glasnost-Jahre war. Diesen | |
Fehler dürfe die KP Chinas nicht wiederholen. | |
„Als ich in den 80ern aufwuchs, war die Atmosphäre relativ offen“, sagt Han | |
Yang. Sein Vater, der als Universitätsprofessor gearbeitet hatte, brachte | |
etwa von seinen Auslandsreisen Magazine wie Time oder Spiegel mit, die | |
Familie hörte Radioberichte von Voice of America und Deutsche Welle. | |
Über den diplomatischen Dienst kam Han Yang Ende der 90er ins Konsulat nach | |
Sydney. Ob zumindest hinter verschlossenen Türen ein inhaltlicher Austausch | |
noch möglich ist? Er winkt ab: Vor Jahren habe er mit seinen ehemaligen | |
Kollegen aus der Regierung noch einen Gruppenchat gepflegt, doch seit Xi | |
Jinping die ideologischen Zügel angezogen hat, wurde dieser aufgrund von | |
„Sicherheitsbedenken“ geschlossen. | |
Über die Wirksamkeit seines Engagements macht er sich wenig Illusionen: | |
„Von all meinen Verwandten oder Freunden, die in China leben, folgen fast | |
alle der Partei und unterstützen das offizielle Narrativ. Die Propaganda | |
ist nach wie vor sehr effektiv.“ | |
4 Aug 2022 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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