# taz.de -- China und der Krieg in der Ukraine: Übersetzer gegen Fake News | |
> Peking stellt sich offiziell hinter Wladimir Putin. Die „Große | |
> Übersetzungsbewegung“ chinesischer Expats versucht, der Propaganda | |
> entgegenzuwirken. | |
Bild: Chinas Pendant zu WhatApp: WeChat | |
In einem autoritären System lebt es sich eigentlich ganz bequem: Die | |
Propaganda schreibt vor, was sein muss. Wenn wütend, dann alle, das ganze | |
Volk. Die Zensur legt fest, was nicht sein darf – für alle, keiner darf dem | |
Vaterland schaden. Dazwischen passt kein Blatt Papier. Wer dazwischenfunkt, | |
ist Verräter. Nun funken sie dennoch kräftig dazwischen. Die „Verräter“ | |
haben einen Namen: die Große Übersetzungsbewegung. | |
Das geht so: Zahlreiche Chinesen im Ausland, darunter viele, die aus | |
Hongkong geflohen sind, übersetzen ehrenamtlich Texte aus den chinesischen | |
sozialen Medien zum Krieg in der Ukraine und posten sie in allen möglichen | |
Sprachen auf Twitter. Akribisch gehen sie vor und fügen ihren Übersetzungen | |
immer einen Screenshot des zitierten Textes bei. | |
Weil das politische Peking das politische Moskau unterstützt, müssen alle, | |
die in den sozialen Medien den Volkswillen verkörpern, den russischen | |
Siegeszug feiern. So heißt es in China: „Wenn Russland die Faschisten in | |
der Ukraine besiegt, sind wir, Singles in China, bereit, Blondinen, die da | |
heimatlos werden, zu uns zu nehmen. Die Ukraine ist so berühmt für ihre | |
Blondinen!“ | |
Doch das passt so nicht ganz, wie die Parteizeitung [1][People’s Daily] | |
konstatiert, denn das Ausland findet chinesische Männer unverschämt vulgär. | |
Zuträglich ist dies dem Vaterland nicht. Dank der Großen | |
Übersetzungsbewegung greift bald die Zensur ein und reinigt das heimische | |
soziale Netz von den Vulgären. Alsbald erscheinen auf Twitter übersetzte | |
Postings wie diese: „In Mariupol kapitulieren die letzten Faschisten vor | |
der triumphalen russischen Armee.“ Belegt mit Fotos. | |
## Propagandistischer Balanceakt | |
Nach vier-, fünfmaliger Wiederholung regt sich, wiederum dank Übersetzungen | |
im Ausland, in China selbst der Zweifel: „Kann einer viermal hintereinander | |
kapitulieren?“, fragen sich so manche, und das fragende Posting findet | |
umgehend den Zugang zu Twitter, das in China zwar verboten ist, mit VPN | |
aber genutzt wird. Bald meldet sich die EU zu Wort: „China“, befindet | |
Brüssel, „hilft nachweislich Russland, mit Fake News den Aggressionskrieg | |
zu gewinnen.“ | |
Das, so stellen die Zensoren in China fest, könnte bald westliche | |
Sanktionen auch gegen China nach sich ziehen. Und Wirtschaftssanktionen | |
würden China viel härter treffen als Russland. Eindeutig das Vaterland | |
schädigend. Sofort wird nachgebessert, etwa so: „Bitte um Bestätigung: Ein | |
hochrangiger Nato-General versteckt sich in [2][Mariupol]. Die russische | |
Armee versucht, ihn der gerechten Strafe zuzuführen.“ Wieder mit Foto | |
belegt. | |
Bis der in der Falle Sitzende in Washington auftaucht und für CNN die | |
katastrophale Lage der russischen Armee analysiert. Auch dies wird | |
kommentarlos zurück ins Chinesische übersetzt und auf [3][WeChat] (dem | |
Pendant zu Whatsapp) gepostet. Gruppen um Gruppen fischen Chinas Zensoren | |
aus den sozialen Medien aus Sorge ums Vaterland heraus. Problematisch auch: | |
Es sieht gar nicht so danach aus, dass Moskau am Ende siegt. Das einhellige | |
Volk wird immer dünner besetzt. | |
Wenige Tage nachdem die Fake News vom Nato-General aufgeflogen sind, | |
schreibt jemand: „Aus chinesischem Staatsinteresse bin ich für Putins | |
Feldzug. Aber als Mensch finde ich die Ukrainer sympathischer.“ Ob das so | |
im Sinne der Propaganda ist? Unterdessen wird ein geheimes Dokument der | |
Propagandaabteilung übersetzt und gepostet, da heißt es: „Nach Möglichkeit | |
soll alles zugunsten Russland berichtet werden, nichts zugunsten der | |
Ukraine.“ | |
Dank der Großen Übersetzungsbewegung lebt es sich in China doch nicht mehr | |
bequem, nicht einmal als Propagandist oder Zensor. Frei nach Kurt | |
Tucholsky, der einmal schrieb: „Hier ist ein Stuhl, da ist ein Stuhl, wir – | |
sitzen immer dazwischen.“ | |
18 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] http://en.people.cn/ | |
[2] /Belagerte-Stadt-in-der-Ukraine/!5842898 | |
[3] /WeChat/!t5598460 | |
## AUTOREN | |
ming shi | |
Shi Ming | |
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kann. |