| # taz.de -- Essay über Dämonisierung von Technik: Was mit dem Teufel zugeht | |
| > Die Angst, dass die Technik uns dazu verführt, von Gott abzufallen, ist | |
| > sehr alt. Wirkt sie auch noch heute, etwa beim Thema Künstliche | |
| > Intelligenz? | |
| Bild: Was sich von selbst bewegte, galt als lebendig. Mechanische Uhren verwirr… | |
| Wenn es um moderne Technologien geht, stehen sich zwei Lager unversöhnlich | |
| gegenüber. Das eine ist überzeugt, das Ende der Menschheit sei nahe: | |
| Smartphones verdummen und verrohen die Jugend, künstliche Intelligenz | |
| übernimmt die Kontrolle über unser Verhalten und unser Denken, und Roboter | |
| verdrängen menschliche Arbeit. Das andere Lager hingegen setzt alle seine | |
| Hoffnungen in sie: Ohne neue Technologien gäbe es keinen Ausweg aus der | |
| Klimakrise, aus der Armut oder dem Welthunger. | |
| In einem Punkt stimmen beide Lager allerdings überein: Wir stehen | |
| technologisch an einem Wendepunkt, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat. | |
| Doch genau diese Übereinstimmung lässt sich historisch nicht halten. Die | |
| Mischung aus Angst und Faszination ist so alt wie die Technik selbst. Sie | |
| hat ihren Ursprung wohl in der engen Verbindung, in die die Technik mit dem | |
| Teufel gebracht wurde. Die Geschichte der Technik ist tatsächlich eng mit | |
| der Biografie des Teufels verbunden. | |
| So soll Papst Silvester II (950–1003) mit dem Teufel im Bunde gestanden | |
| haben. Im Tausch gegen seine Seele, habe ihn der Teufel befähigt, einen | |
| sprechenden Kopf zu erschaffen – und die mechanische Uhr zu erfinden. Dass | |
| ein sprechender Kopf als Teufelszeug gilt, ist nachzuvollziehen, weshalb | |
| aber die mechanische Uhr Ergebnis eines Teufelspakts sein soll, bleibt | |
| zunächst schwer verständlich. Allerdings scheinen von der künstlichen | |
| Intelligenz, der Robotik, der Gentechnologie oder der virtuellen Realität | |
| heute dieselbe diabolische Faszination auszugehen, die im Mittelalter die | |
| mechanische Uhr hervorrief. | |
| Unter welchem Namen der Teufel auch auftrat, sein Charakter änderte sich | |
| über die Jahrhunderte nicht: Der Teufel täuscht und verführt, um die | |
| Menschen von Gott zu entfernen. Das griechische Wort für Täuschung und | |
| Verführung, für List und dunkle Machenschaft ist mechanè oder machina. | |
| Machiner bedeutet im Französischen heute noch, etwas Bösartiges | |
| auszuhecken, im Englischen und in älterem Deutsch ist eine Machination eine | |
| hinterhältige Intrige. Eine Maschine war also zunächst kein Mittel, die | |
| Arbeit zu erleichtern, sondern um diabolische Täuschungen und Illusionen zu | |
| erzeugen. | |
| Einen seiner berühmtesten Auftritte hat der Teufel unter dem Namen Satan | |
| [1][im biblischen Buch Hiob.] Da überredet er Gott, seinen frommen Diener | |
| Hiob zu quälen, um zu prüfen, ob dieser ihm auch ergeben bleibt, wenn es | |
| ihm schlecht ergeht. Dass Gott auf die Wette eingeht, lässt einigen Zweifel | |
| an dessen Charakter aufkommen. | |
| ## Unstillbare Neugierde | |
| Mehr als 2.000 Jahre später wiederholt sich die Geschichte. Nun trägt der | |
| Teufel den Namen Mephistopheles und sein Versuchskaninchen heißt Faust. Der | |
| Teufel schließt mit Gott die Wette ab, dessen Knecht Faust verführen zu | |
| können. Er will ihn mit dem Versprechen ködern, ihm das Geheimnis des | |
| Lebens zu offenbaren. Wie bei Papst Silvester war die unstillbare Neugierde | |
| Fausts der Hebel, an dem der Teufel ansetzen konnte. | |
| Im [2][zweiten Teil von Goethes Faust] aus dem Jahre 1832 will Faust nun | |
| seine diabolischen Fähigkeiten in den Dienst des technischen Fortschritts | |
| stellen. Zunächst rettet er den Kaiser vor der Staatspleite durch die | |
| Erfindung des Papiergeldes. Später will er fruchtbares Land durch die | |
| Trockenlegung des Meeres gewinnen, auch wenn er damit die Schönheit der | |
| Natur aufs Spiel setzt. Zeitgleich erschafft sein früherer Gehilfe Wagner | |
| im Reagenzglas einen Homunculus. | |
| Schon im Mittelalter waren Magie und Alchemie auf der Suche nach der | |
| geheimen Formel, mit der künstliches Leben erschaffen werden kann. Doch zu | |
| Goethes Zeit schien die Formel für das Leben tatsächlich gefunden worden zu | |
| sein. Stoffwechsel galt als Hauptmerkmal des Lebens. Stoffwechsel heißt | |
| aber nichts anderes, als Wärme in Bewegung umzuwandeln. Die Dampfmaschine | |
| war die erste Maschine, die Kraft aus Wärme erzeugen konnte. Bis dahin war | |
| die Produktion von Kraft eine Fähigkeit, die allein Gott zukam. Menschen | |
| konnten Kräfte für sich nutzbar machen, erzeugen konnte sie nur Gott. Wer | |
| Kraft erzeugen kann, kann auch Leben erschaffen! | |
| ## Illusion von Leben | |
| Tatsächlich wurde die Dampfmaschine unmittelbar nach ihrer Erfindung als | |
| lebendiges Wesen wahrgenommen. „Es ist gesagt worden“, schrieb ein Herr | |
| Alderson, „dass nichts, was von Menschenhand gemacht wurde, dem Tierleben | |
| so nahe kommt.“ Damit hatte Gott endgültig ausgedient. Ein Triumph des | |
| Teufels! | |
| Nicht jeder technische Fortschritt wurde als mechanè, als teuflischer Trick | |
| wahrgenommen. Druckmaschinen wurden kaum je Opfer der Dämonisierung, obwohl | |
| sie für die Kirche bedeutend bedrohlicher waren als die mechanische Uhr. | |
| Die mechanische Uhr galt nicht als Teufelswerk, weil sie Zeit messen | |
| konnte, sondern weil sie die Illusion von Leben erzeugte. | |
| Vor der Erfindung der mechanischen Uhr las der Mensch die Zeit mit Hilfe | |
| von Sonnen- und Wasseruhren von Gottes Natur ab. Die mechanische Uhr | |
| produziert aber die Zeit, die sie misst, gleich selbst, so wie sie in der | |
| Natur nicht vorkommt, vollkommen regelmäßig und übers Jahr unveränderlich. | |
| Das gelingt mittels der Spindelhemmung, die die Gravitationskraft, die das | |
| Antriebsgewicht beschleunigen würde, austrickst. Wieder überlistet | |
| menschliche Technik Gott und schafft eine zweite unabhängige Natur. | |
| ## Bestraft für Hybris | |
| Das allein reichte aber nicht, um die Uhr lebendig erscheinen zu lassen. | |
| Seit Aristoteles galt als beseelt oder lebendig, was sich von selbst | |
| bewegt. Die mechanische Uhr, die etwa um das Jahr 1280 erfunden wurde, war | |
| bis zur Erfindung der Unruh im 17. Jahrhundert als Zeitmesser viel zu | |
| ungenau, sie taugte aber als Motor für Automaten, die sich von selbst | |
| bewegen. | |
| Schon Mitte des 14. Jahrhunderts war fast jede größere Kirchenfassade mit | |
| Automaten geschmückt, die Szenen zur Unterhaltung, Erbauung und Warnung des | |
| Kirchenvolkes wiedergaben. Der Teufel war da ein beliebtes Motiv. Welch | |
| eine Ironie, welch eine Machination: Die Warnung vor dem Teufel wurde von | |
| einer Maschine angetrieben, die der Teufel erfunden hatte. | |
| Dabei blieb unklar, worin des Teufels List genau bestand: dass er dem | |
| Menschen tatsächlich göttliches Wissen über die Erschaffung des Leben | |
| zukommen ließ oder dass er die Menschen täuschte oder darin, dass sie sich | |
| als gottgleiche Schöpfer von Leben vorkamen. Jedenfalls ließen sich | |
| Menschen immer wieder mit dem Teufel ein, um von Gott unabhängig zu werden, | |
| obwohl ihnen immer klar war, dass sie dereinst für diese Hybris bestraft | |
| werden würden. | |
| ## Den Menschen abschaffen | |
| Im Mittelalter galt als lebendig, was sich von selbst bewegt, also war die | |
| mechanische Uhr das Teufelswerk schlechthin; im 19. Jahrhundert galt als | |
| lebendig, was über einen Stoffwechsel verfügt, also war die Dampfmaschine | |
| die Maschine des Teufels. Im 20. Jahrhundert galt reflexives Bewusstsein | |
| als Zeichen des menschlichen Lebens, als sein Alleinstellungsmerkmal. | |
| Deshalb ist in unseren Tagen der Computer zur Maschine des Teufels | |
| geworden, zur Maschine, die alles, was der Menschen kann, auch vermag – nur | |
| viel besser, schneller und fehlerloser. | |
| Der Mensch hat das Höchste, was Gott erschaffen hat, nicht nur nachgeahmt, | |
| sondern sogar verbessert. Dafür wird die Menschheit dereinst bestraft | |
| werden: Wie sie sich einst Gott abgeschafft hat, wird sie in Zukunft von | |
| genau jenen Maschinen abgelöst werden, die sie selbst erbaut hat. | |
| Menschen sind weder Abziehbilder der Gesellschaft, in der sie aufwachsen, | |
| noch reine Produkte ihres genetischen Programms. Sie hinken vielmehr in | |
| ihren Vorstellungen und Affekten der Zeit, in der sie leben, hinterher, | |
| manchmal um Jahrhunderte. Die Brille, durch die wir die moderne Technik | |
| beurteilen und manchmal auch verurteilen, stammt aus alten Zeiten, aus | |
| Zeiten, in denen Magie, Hexerei und Teufelsglauben ihr Leben noch | |
| bestimmten. Trotz aller Aufklärung und Säkularisierung konnten sich die | |
| alten Affekte, das Staunen und die Ängste, die Faszination und die Abscheu | |
| vor dem Teufel an die Maschinen heften und sich so in die Moderne retten. | |
| Ob digitale Technologien wie Künstliche Intelligenz und Robotik tatsächlich | |
| so gefährlich sind, wie oft behauptet, bleibt dahingestellt. Darum ging es | |
| hier nicht, sondern nur darum, nicht immer durch die alte Brille auf die | |
| Technik zu schauen, sondern sie von Zeit zu Zeit von der Nase zu nehmen und | |
| auf sie schauen. | |
| 13 Jul 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Daniel Strassberg | |
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