| # taz.de -- KI-Expertin über Daten und Macht: „Die Branche ist eine Monokult… | |
| > Meredith Whittaker ist Expertin für Künstliche Intelligenz und wechselte | |
| > von Google zur Signal Foundation. Ein Gespräch über das | |
| > Überwachungs-Geschäftsmodell. | |
| Bild: Ein von KI erstelltes Katzenbild. Die Software DALL-E erstellt Bilder üb… | |
| taz: An einem ganz normalen Tag – wir nutzen beispielsweise den | |
| öffentlichen Nahverkehr und gehen in Läden, wir verwenden Apps und | |
| vielleicht den Sprachassistenten des Smartphones –, wie häufig kommen wir | |
| mit [1][Künstlicher Intelligenz (KI)] in Kontakt? | |
| Meredith Whittaker: Das ist sehr, sehr schwierig zu sagen, weil wir es in | |
| den allermeisten Fällen gar nicht merken. Es gibt nicht einmal eine | |
| Pflicht, gegenüber Nutzer:innen offenzulegen, wenn sie es mit einer KI | |
| zu tun haben. Man beantragt also eine Ratenzahlung, meldet einen | |
| Versicherungsfall, läuft an einer Überwachungskamera vorbei oder schickt | |
| eine Bewerbung – und bekommt überhaupt nicht mit, dass im Hintergrund eine | |
| Entscheidung mittels KI getroffen wird. | |
| Wie können wir dann wissen, wie groß die Rolle ist, die diese Technologie | |
| in unserer Gesellschaft spielt? | |
| Genau das ist das Problem: Wir können es nicht mit Sicherheit sagen. Wir | |
| können aber auf Basis der Anwendungen, die es schon auf dem Markt gibt, | |
| Vermutungen anstellen. Und wir wissen, dass KI in vielerlei Hinsicht die | |
| Möglichkeiten, die wir im Leben haben, und unseren Zugriff auf Ressourcen | |
| beeinflusst. Zum Beispiel, wenn es darum geht, ob man die Chance auf einen | |
| Job hat oder auf einen Kredit, um ein Haus zu bauen oder ein Unternehmen zu | |
| starten. | |
| Wenn es um KI geht, haben viele Menschen Angst vor Autos, die Amok fahren, | |
| oder Robotern, die sich gegen Menschen richten. Sind diese Ängste | |
| berechtigt? | |
| Ich würde nicht sagen, dass sie komplett falsch sind. Selbstfahrende Autos | |
| etwa haben momentan noch eine recht zweifelhafte Erfolgsbilanz. Aber mir | |
| machen andere Aspekte größere Sorgen. Vor allem dieser: Es sind nur einige | |
| wenige Konzerne, in deren Händen sich KI-Anwendungen befinden. Nur diese | |
| wenigen Konzerne haben die finanziellen und personellen Ressourcen, um die | |
| großen Modelle zu bauen, die es für KI braucht. Wir haben also eine immense | |
| Marktkonzentration. Und das, was sie programmieren, bildet ein | |
| Machtzentrum, das sich über unsere sozialen und politischen Institutionen | |
| stellt. | |
| Wie meinen Sie das? | |
| Für die Konzerne dient die KI dazu, das Überwachungs-Geschäftsmodell zu | |
| vermarkten. Und so Marktmacht und Profite weiter zu steigern. Man kann auch | |
| historisch gut erkennen, dass große Konzerne wie Google oder Facebook genau | |
| in dem Moment eingestiegen sind, in dem sie erkannt haben, dass KI eine | |
| großartige Möglichkeit ist, ihre Überwachungsdaten zu nutzen und noch | |
| profitabler zu vermarkten. Diese Akkumulation von Daten gibt den | |
| Unternehmen eine einzigartige Macht, die jenseits dessen ist, was wir | |
| bislang von staatlichen Institutionen kannten. | |
| Wenn wir über Macht sprechen, sprechen wir auch über Personen, die diese | |
| Macht besitzen. Um welche Menschen geht es da? | |
| In den USA haben wir in der Tech-Branche lauter weiße Männer, die in | |
| Stanford studiert haben. Das spiegelt die Machtdynamiken innerhalb der | |
| Gesellschaft wider, inklusive ihrer rassistischen und sexistischen | |
| Ausgrenzungen. In dieser Monokultur mit ihrem begrenzten Horizont wird die | |
| Diversität der realen Welt übersehen und stattdessen in den technischen | |
| Entwicklungen der enge eigene Erfahrungshorizont weiter reproduziert. | |
| Eine bekannte Geschichte ist etwa der automatische Seifenspender, aus dem | |
| keine Seife kam, wenn eine Person of Color ihre Hand darunterhielt. | |
| Und solche Fälle wird es geben, solange Unternehmen dafür keine Strafen | |
| bekommen, die sich ernsthaft auf ihre Gewinne auswirken. Wir müssen also | |
| aus vielen Gründen auch über die kapitalistischen Strukturen sprechen. Denn | |
| wenn ein profitorientiertes Unternehmen ein Vertragsangebot vom US-Militär | |
| bekommt und der Geschäftsführer es ablehnt, dann war er die längste Zeit | |
| Geschäftsführer. | |
| Kann es in diesem Kontext trotzdem KI-Anwendungen geben, die gewinnbringend | |
| für eine Gesellschaft sind? | |
| Vorstellbar ist das, ja. Die Frage ist: Wenn wir uns so eine Anwendung | |
| ausdenken – wird sie gewinnbringend genug sein für ein Geschäftsmodell? Da | |
| habe ich meine Zweifel. | |
| In Frankreich gibt es eine KI-Anwendung, mit der Steuerbehörden an Hand von | |
| Luftbildern illegale private Pools entdecken. In Zeiten von Wasserknappheit | |
| spielt das eine Rolle. | |
| Hm. Ich weiß nicht. Wäre es nicht besser, das Geld in die | |
| Wasseraufbereitung zu stecken? In funktionierende Grauwassersysteme? Ich | |
| verstehe den Ansatz. Aber anstelle etwa unsere globale Abhängigkeit von | |
| fossilen Energien zu beenden, trainieren wir ein gigantisches Modell, um | |
| private Pool-Besitzer:innen zu bestrafen. Klingt für mich eher nach | |
| Theater. | |
| Wie kommen wir aus der Situation von Überwachung und Machtkonzentration | |
| wieder raus? | |
| Ich wünschte, ich hätte eine gute Antwort auf diese Frage. Ich habe keine | |
| Lösung für eine regulatorische Struktur oder eine technische Idee, wie sich | |
| dieser Knoten aus wahnsinnig komplexen Problemen auflösen lässt. Ich denke, | |
| dass ein Unternehmen wie Signal und seine Messenger-App existiert, ist | |
| schon mal wichtig. Es gibt Menschen die Möglichkeit, außerhalb des | |
| Überwachungsapparates zu kommunizieren. Aber es ist natürlich nur ein | |
| kleiner Aspekt des ganz großen Bildes. | |
| Haben Sie den Eindruck, dass die Politiker:innen das Bild überblicken? | |
| Mein Eindruck ist: Es wird besser. Aber IT-Systeme bleiben immer noch so | |
| etwas wie eine Fremdsprache für die meisten Menschen und das wird sich auch | |
| nicht über Nacht ändern. Bildung ist daher wichtig, dieser Aspekt wird | |
| systematisch unterschätzt. | |
| Nun sind Sie Präsidentin der Signal Foundation. Was sind Ihre Pläne? | |
| Ich glaube, erst einmal werde ich sehr viel zuhören und lernen. Und dann | |
| wird mein Schwerpunkt darauf liegen, eine Art Leitstrategie zu erarbeiten: | |
| Wohin gehen wir? Wie gehen wir? Wie können wir eine Kommunikations-App | |
| etablieren, die ähnlich wie die anderen Messenger-Apps funktioniert, aber | |
| nicht am Geschäftsmodell der Überwachung teilnimmt? | |
| Es geht also um Geld? | |
| Ja, die finanzielle Frage ist eine existenziell wichtige. Seit Kurzem | |
| experimentieren wir in der Signal-App mit einem kleinen freiwilligen | |
| Spendenmodell. Die Rückmeldungen sind ermutigend und vielleicht ist das ein | |
| Weg, den wir weitergehen können. Aber die Frage, wie in diesem Korsett aus | |
| Überwachung und Gewinn eine Software gebaut werden kann, die sich diesen | |
| Strukturen entzieht, die ist bislang unbeantwortet. | |
| Aber es gibt doch auch andere Unternehmen, die Ähnliches machen. | |
| Ja? Vielleicht übersehe ich etwas, aber ich sehe keine andere massiv | |
| genutzte Software, die die Erwartungen der Nutzer:innen erfüllt und | |
| nicht in irgendeiner Form durch ein traditionelles Geschäftsmodell der | |
| Technologiebranche finanziert wird. | |
| Mozilla mit ihrem Browser Firefox? | |
| Die sind stark gefördert durch Google. Und so etwas wollen wir nicht. | |
| Es gibt Menschen, die argumentieren, man dürfe die Verantwortung nicht auf | |
| die Nutzer:innen verlagern, sondern brauche eine politische Lösung des | |
| Problems. Wie sehen Sie das? | |
| Ich finde es wichtig, dass Nutzer:innen eine Wahl haben. Denn wie wollen | |
| wir ein Unternehmen wie Facebook in seiner jetzigen Form ernsthaft | |
| regulieren? Nehmen wir ihnen die Daten weg, bricht das Geschäftsmodell | |
| zusammen. Wie ein Facebook ohne Überwachung funktionieren kann, hat noch | |
| niemand beantwortet. | |
| In der EU müssen große Messenger wie Whatsapp in Zukunft Schnittstellen für | |
| kleine Messenger-Dienste anbieten – damit Nutzer:innen verschiedener | |
| Apps untereinander Nachrichten austauschen können. Ist das ein Fortschritt? | |
| Grundsätzlich finde ich Interoperabilität gut. Was aber nicht geht: dass | |
| Signal seine Standards senkt, um mit [2][Messengern wie Whatsapp, die | |
| niedrigere Standards haben], kompatibel zu sein. Whatsapp nutzt zwar die | |
| gleiche inhaltliche Verschlüsselung wie Signal. Aber Whatsapp sammelt | |
| beispielsweise Metadaten. Also wer mit wem wann kommuniziert hat, wer mit | |
| wem in welchen Gruppen ist, Profilbilder und noch einiges mehr. Das macht | |
| Signal nicht. Und wollen wir Whatsapp die Metadaten der Signal-Nutzer:innen | |
| geben? Whatsapp, das zu [3][Facebook] gehört? Auf gar keinen Fall. | |
| 12 Sep 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Svenja Bergt | |
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