# taz.de -- Buch „Spektakuläre Maschinen“: Sünde, Hybris oder nur Maschine | |
> In welchem Verhältnis stehen Mensch und Maschine? Psychoanalytiker Daniel | |
> Strassberg geht dieser Frage in seinem Buch nach. | |
Bild: 1879 wurde diese Swimming-Maschine, erfunden von William Hall Richardson,… | |
Der Google [1][Chatbot LaMDA] hat ein Bewusstsein entwickelt. Davon ist | |
zumindest der zuständige Ingenieur überzeugt, der Anfang Juni erklärte, die | |
KI müsse ihr Einverständnis geben, bevor weiter an ihr geforscht werde. | |
Google sah das anders und kündigte dem Mitarbeiter. Daraufhin ist unter | |
KI-Expert:innen eine erneute Debatte darüber ausgebrochen, wo Bewusstsein | |
eigentlich anfängt. Wie alt diese Frage ist, zeigt [2][Daniel Strassberg] | |
in seinem Werk „Spektakuläre Maschinen“. | |
In seiner Affektgeschichte der Technik untersucht der Zürcher | |
Psychoanalytiker die komplexe emotionale Beziehung von Mensch und Maschine | |
im Lauf der Geschichte und geht den Ängsten und Hoffnungen auf den Grund, | |
die Technik schon immer in uns auslöste. Denn ein Verständnis davon fehle | |
in den aktuellen Technikdebatten. „Um die heutigen zum Teil heftigen | |
Affekte zu verstehen, die die Technik auslöst, ist es notwendig, dorthin zu | |
reisen, wo sie einst entstanden sind.“ | |
Zunächst räumt Strassberg mit der Vorstellung auf, dass die ersten | |
Maschinen rein mechanische Zwecke erfüllen sollten. Seit der Mensch | |
Maschinen baut, tut er das auch, um sich und andere zu bespaßen, zu | |
beeindrucken und zu erstaunen. Davon zeugen die Theatermaschinen der Antike | |
ebenso wie mittelalterliche Automaten, die Flöte spielen und Zuschauer | |
küssen konnten. | |
Doch auch von Strassberg als nützlich bezeichnete Maschinen haben über | |
ihren intendierten Zweck hinaus schon immer ein Beeindruckungspotenzial. | |
Sie lösen im Menschen Erstaunen und Bewunderung aus, in Strassbergs | |
psychoanalytischem Vokabular admiratio gennant, aber auch Irritation und | |
Demut. | |
## Religiöser Charakter | |
Diese Reaktionen sind zwei Seiten derselben Medaille und eine Folge des | |
religiösen Charakters, den Technik in der europäischen Tradition hat. Denn | |
wer Maschinen baut, greift in die Schöpfung ein und droht diese sogar noch | |
zu übertreffen. Schließlich sind Maschinen im Idealfall stärker, | |
resistenter, langlebiger und damit letztlich unsterblicher als der Mensch. | |
Technik ist demnach immer auch Hybris und damit Sünde, weshalb der | |
Faszination für die ungeahnten Möglichkeiten von Technik die Angst vor der | |
göttlichen Bestrafung gegenübersteht. Das gilt bis heute. Denn | |
Technikaffekte überdauern die Maschinen, die sie auslösten, und so haben | |
unsere heutigen Technologien nicht nur die admiratio ihrer Vorgängerinnen, | |
sondern auch die damit einhergehende Bestrafungsangst geerbt. | |
Mit einer Aktualisierung: An Gottes Stelle tritt nun die Natur, die uns | |
bestraft, wenn wir ihr Gleichgewicht mit zu viel Technik | |
durcheinanderbringen. Eine weitere Eigenschaft von Maschinen ist ihr | |
Potenzial, Weltbilder zu prägen, wie Strassberg anhand der mechanischen Uhr | |
und der Dampfmaschine aufzeigt. | |
## Mechanistisches Weltbild | |
Seinen Erfolg verdanke das Uhrwerk, das Ende des 13. Jahrhunderts von einem | |
Mönch erfunden wurde, nicht etwa der Fähigkeit die Zeit anzuzeigen. Dafür | |
waren die ersten Uhren noch viel zu ungenau und mussten täglich mit einer | |
Sonnenuhr nachgestellt werden. Ihr eigentlicher Verdienst ist das | |
mechanistische Weltbild, das die Uhr produzierte: „Das Modell besagt, dass | |
die Welt durchgängig determiniert und vollständig geometrisch | |
rekonstruierbar ist, genauso wie der Staat und der menschliche Körper.“ | |
So beschreibt Strassberg das Weltbild, das sich innerhalb kürzester Zeit | |
durchsetzte und eine gesamte Epoche prägte. Abgelöst wurde es durch ein | |
neues Verständnis der Organisation nicht nur von Maschinen, sondern auch | |
von Staaten, Gesellschaften und der Natur. Die Dampfmaschine bot eine neue, | |
nicht deterministische Perspektive auf die Welt und ein Modell, das nicht | |
mehr das Verhalten von Einzelteilen, sondern von Massen beschreibt. | |
Doch erst die Thermodynamik, die entwickelt wurde, um die | |
Energieeinsparungen durch die neue Wundermaschine zu berechnen, ermöglichte | |
es mechanische Arbeit mit der von Menschen zu vergleichen. Und legte damit | |
die Grundlage für eine Verschränkung von Mensch und Maschine, wie wir sie | |
heute kennen. Strassberg bietet einen spannenden Ritt durch die | |
Technikgeschichte und eine seltene psychologisch-historische Perspektive | |
auf Mensch-Maschine-Beziehungen. | |
Er zeigt anhand unzähliger Beispiele auf, welche Wirkung Maschinen schon | |
immer auf uns hatten und woher aktuelle Ängste und Euphorie rühren. In | |
seiner Beschreibung historischer Technikdiskurse macht er außerdem klar, | |
dass viele der heute grundlegenden Fragen nicht neu sind. An Maschinen | |
materialisierten sich schon immer grundlegende Fragen. Diese Fragen | |
stellten sich auch die ersten Automatenbauer. | |
## Entwicklungsgeschichte von Mensch und Maschine | |
„Spektakuläre Maschinen“ erzählt eine gemeinsame Entwicklungsgeschichte v… | |
Mensch und Maschinen und reiht sich dabei bewusst in das Technikverständnis | |
französischer Technikphilosophen wie Bruno Latour ein. Strassberg macht | |
deutlich, dass es kein vortechnisches Zeitalter und keinen natürlichen | |
Zustand gibt, in die der Mensch zurückkehren kann. Er war schon immer mit | |
seiner Technik verwoben, nicht erst die Digitalisierung übt einen starken | |
Einfluss auf den Menschen aus. | |
Doch bleibt Strassbergs Perspektive dabei gezwungenermaßen sehr | |
anthropozentrisch. Agency, also einen Status als eigenständigen | |
wirkmächtigen Akteur, gesteht er den Maschinen nicht zu. Sie sei eine reine | |
Illusion, der der Mensch verfallen sei, heißt es bei Strassberg. Die | |
Technikphilosophie, allen voran Latour selbst, ist in diesem Punkt schon | |
weiter. | |
24 Aug 2022 | |
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## AUTOREN | |
Matthieu Praun | |
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