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# taz.de -- Science-Fiction-Oper in Hannover: Das Wollen der Androidin
> Wo künstliche Menschen geplant werden, geht die Geschichte oft schief.
> Sachte futuristisch erzählt davon die Oper „Humanoid“ in Hannover.
Bild: Szene aus „Humanoid“ mit Tobias Hechler als Kind und Petra Radulovic …
Dieses Stück passt ganz offensichtlich in unsere Zeit. Es ist ja nicht
zuletzt [1][eine Film-Trope], der sich der Komponist Leonard Evers und die
Librettistin Pamela Dürr bedienen für ihre „Science-Fiction-[2][Oper]“, d…
jetzt in der Inszenierung von Tobias Mertke in Hannover zur deutschen
Erstaufführung kam. Da sucht der Roboterkonstrukteur Jonah (Peter O’Reilly)
[3][eine künstliche Frau] zu erschaffen, aus ganz eigennützigen Motiven.
Denn auch wenn er im schluffigen Kapuzenpullover wirkt wie [4][einer dieser
genialischen tech bros bei der letzten Produktpräsentation]: Keinem
Fortschrittsgedanken an sich ist Jonahs Projekt geschuldet. Der „Humanoid“
namens Alma (Petra Radulović) soll vielmehr einen ganz persönlichen Verlust
heilen, den ein nicht näher ausgeleuchteter „Unfall“ bewirkte. Seine
geliebte Vivienne hat Jonah dabei verloren – die ihm jetzt noch immer
wieder erscheint (gespielt und gesungen von Weronika Rabek).
Dabei kommt etwas Ambivalentes ins Spiel: Bedrängt, verfolgt fühlt der
Kreative sich von der verlorenen Freundin; es liegt nahe, dabei an die
Männern gerne attestierte Angst vor echter Nähe zu denken. Zumal der
Trauernde sich in eine Art Techno-Höhle zurückgezogen hat, einen dunklen
Raum mit blau leuchtenden Leiterbahnen in den Wänden, in dem merkwürdige
kubische Apparaturen herumstehen (Bühne und Kostüme: Julia Burkhardt).
Besucher*innen kündigt dieser Raum mit eigener Stimme an – [5][es ist
die einer Frau] –, während der silberköpfige Android Juri (Frank
Schneiders) umherläuft, immer gleiche Satzfetzen ausstoßend.
Um wie viel besser gelungen wirkt dagegen Alma, zunächst „ein weißes Blatt
Papier, das von Jonah beschrieben wird“ (Evers im [6][Programmfaltblatt]) –
und das vielleicht Beste: Ihren Erinnerungsspeicher kann der Konstrukteur
allabendlich löschen. Sich einerseits also aller vielleicht belastenden
Geschichte entledigen, scheinbar wenigstens. Aber genauso beugt es jedem
Heranreifen vor. Wie sehr aus dem Geschöpf ein Subjekt werde, darüber
entscheidet immer noch der Konstrukteur!
## Almas Sprache emanzipiert sich
Scheinbar wenigstens. Verweisen die Zutaten von „Humanoid“ auf eine gut
[7][dokumentierte Ideen- und Bildergeschichte], so gehört dazu seit der
güld’nen Roboterfrau Maria in Fritz Langs „Metropolis“ (1927) das Scheit…
der allerbesten Pläne. Das galt auch schon bei Mary Shelley-Wollstonecrafts
üppig 100 Jahre älterem künstlichen Menschen Frankenstein. Auch bei Evers
und Dürr kommt ein nicht kalkulierbarer Faktor ins Spiel: Das Kind (Tobias
Hechler), das sich mit Alma anfreundet. Sein Einfluss – oder soll man
Hacking dazu sagen? – weckt in der Projektionsfläche den Wunsch, mehr zu
werden als bloßes Mittel zu Jonahs Zweck.
Von zunehmend reicher und vielgestaltiger werdender Musik gespiegelt,
emanzipiert sich Almas Sprache, wird vom Wiederholen hin zum echten Sagen.
Zugleich entwickelt die Androidin Wollen und Handeln – auch drastisches:
Die Geschichte eskaliert, als sie Angst haben muss, Jonah könnte ihr eben
erst errungenes Innenleben wieder löschen wollen. Da darf man sich an den
mörderischen Bordcomputer aus Stanley Kubricks „2001“ erinnert fühlen.
Evers hat immer wieder alte, kanonische Stoffe verarbeitet, Grimm’sche
Märchen etwa oder Homers Nicht-Weltraum-Odyssee: Daraus macht der
Niederländer, Jahrgang 1985, [8][Opern gerade auch für junge
Zuschauer*innen]. So richtet sich auch „Humanoid“ an Menschen ab 12. Was
erklären mag, dass geschulterem Publikum ein wenig Tiefe fehlen könnte bei
dieser Erörterung der selbst längst klassischen Fragen: Was macht den
Menschen aus, wo verläuft die Grenze zu seiner Simulation? Bin ich am Ende
auch nur humanoid? Das ist hier vielleicht mitunter etwas zu wortwörtlich
in den Blick genommen.
## Ängsten entkommen
Im vorab veröffentlichten kurzen [9][Video-Interview] weitet
Jonah-Darsteller O’Reilly den thematischen Fokus: „Als ich selbst ein
junger Mann war, haben wir immer Sprüche gehört, wie ‚Jungen weinen
nicht‘.“ In „Humanoid“ erkennt er denn auch „weniger einen Kommentar,…
es zu viel Technologie in unserem Leben gibt. Ich denke, es hat mehr damit
zu tun, wie wir Technik nutzen, um Dingen zu entkommen, vor denen wir
vielleicht Angst haben.“
Allemal überzeugend ist Evers’ Komposition: Erneut bedient er sich jenseits
des Klassisch-Romantischen, lässt die überschaubare Besetzung mit viel
Schlagwerk Jazziges und nach Videospiel Klingendes spielen, aber moderat
Neutönendes, Berg-Beeinflusstes, Musik, die sich „an festgelegten Zahlen-
und Intervallabfolgen orientiert“. Er bleibt dabei aber erfreulich kohärent
und sucht nicht etwa zu klingen wie die unterstellten Playlists des jungen
Zielpublikums: kein Techno für diese sachte futuristische Oper.
Am Tag nach der Premiere macht die Nachricht vom Google-Mitarbeiter die
Runde, der beurlaubt wurde, nachdem er einem Chatbot [10][„Gedanken und
Gefühle wie die eines menschlichen Kindes“] bescheinigt hat. Waren ihm die
eigenen, die biologischen Schaltkreise allzu heiß gelaufen, aus Sicht
seines Arbeitgebers? Oder hat er einfach zu früh die übernächste
Produktinnovation ausgeplaudert?
13 Jun 2022
## LINKS
[1] http://www.tasteofcinema.com/2016/dream-girls-and-broken-dolls-10-artificia…
[2] /Oper/!t5007509
[3] https://www.theguardian.com/film/2015/jan/15/ex-machina-sexy-female-robots-…
[4] /Namensaenderung-bei-Facebook/!5811732
[5] https://finance.yahoo.com/news/apos-reason-siri-alexa-ai-100025263.html?guc…
[6] https://doc.culturebase.org/dox/7/b/2/2/3/7b223ea40f590172e0587c82bc3c95296…
[7] /KI-Filme-zur-Oeffnung-der-Kinos/!5779330
[8] /Kinderoper-Iwein-Loewenritter-in-Bonn/!5829433
[9] https://staatstheater-hannover.de/de_DE/mediathek?item=590
[10] https://www.theguardian.com/technology/2022/jun/12/google-engineer-ai-bot-…
## AUTOREN
Alexander Diehl
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