# taz.de -- Die Zukunft im Museum: KIs, 3D-Drucker und das Weltall | |
> Das Zukunftsmuseum Nürnberg besteht seit vier Monaten als Dependance des | |
> Deutschen Museums. Künstliche Intelligenz steht im Mittelpunkt. | |
Bild: Die volldigitale Zeitreise ermöglicht einen Sprung durch Raum und Zeit | |
Wie leben wir in 10, 20, 50 Jahren? Was wird sich verändern, was kommt auf | |
uns zu? Um solche Fragen dreht sich das neue Zukunftsmuseum Nürnberg, das | |
als Zweigstelle des Deutschen Museums München geführt wird. Es wurde | |
zentral neben dem Hauptmarkt im Augustinerhof-Neubau eingerichtet und | |
[1][wegen Corona ein Dreivierteljahr später als geplant im September 2021 | |
eröffnet.] Es konkurriert mit dem Futurium in Berlin und dem Ars | |
Electronica Center in Linz. | |
Die Zukunft beginnt im Foyer mit Stücken aus der Vergangenheit. Ein rotes | |
Laserschwert, das Bayerns Ministerpräsident zur Museumseröffnung am 17. | |
September 2021 zückte. Oder der lebensgroße Apollo-Astronaut mit | |
Sehschlitz. Verblüffender ist aber der Bentham’s Tower, von dem ein | |
zeitgenössisch verfremdetes Modellbild an der Wand hängt und mit viel Blau | |
das grellgelbe Sofa mit den Handyladeflächen kontrastiert. | |
Das besondere Architekturkonzept aus dem späten 18. Jahrhundert machte | |
damals das Überwachen vieler Personen durch einen einzigen Wächter möglich. | |
Im Nürnberger Zukunftsmuseum wird der Aspekt der permanenten | |
Videoüberwachung im öffentlichen Raum aufgegriffen, inklusive der Frage: | |
„Wer behält den Überblick?“ | |
Sie kommt einem beim Rundgang durch die drei Ebenen des Hauses immer wieder | |
in den Sinn, wobei Museumsleiterin Marion Grether und ihr Team schon für | |
Struktur gesorgt haben. Fünf Themenkomplexe hat man abgesteckt: „Arbeit und | |
Alltag“, „Körper und Geist“, „System Stadt“, „System Erde“ sowie… | |
Zeit“ heißen die Felder, die sich logisch nachvollziehbar ab der ersten | |
Etage nach oben erstrecken. Überall stößt man eingangs auf Diskokugeln, die | |
Sternschnuppen in den offenen Raum werfen; und an der Seite sorgen Szenen | |
aus großen Science-Fiction-Filmen für einen passenden | |
Hintergrund-Soundtrack. | |
## Formen der Verfremdung | |
Dass hier Technik und die künstliche Intelligenz (KI) im Mittelpunkt | |
stehen, wird schnell deutlich. Roboter greifen zu und per Joystick dürfen | |
Besucher:innen eine Bombe entschärfen, 23 Sekunden hat man dafür Zeit. | |
Wer es auf Anhieb nicht schafft, bekommt Tipps vom jungen Museumspersonal, | |
das reichlich vorhanden ist. Schriftliche Erläuterungen sind knapp | |
gehalten, ständig locken aber Einladungen zum Mitmachen per Touchscreen | |
oder Angebote zur Interaktion. | |
Wer glaubt, alles im Blick zu haben, wird sich wundern, wie schnell man | |
selber zum Objekt eines Kunstwerks wird. Im Vorbeigehen hat bei „Style | |
Transfer“ von Boris Neubert, Max Piochowiak und Bernd Lintermann vom | |
Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe eine Kamera zugeschlagen. Ein | |
Softwareprogramm sorgt für ein abstrahierendes Wechselspiel von Formen und | |
Verfremdung. Die Frage, wie kreativ KI sein kann, wird hier eindrucksvoll | |
beantwortet. | |
Ansonsten wird KI eher unkritisch als ein Reich der unbegrenzten | |
Möglichkeiten inszeniert. Hier die täuschend lebendige Roboterrobbe für | |
Demenzkranke, dort der Therapieroboter „Paro“ für die Pflegebranche, die | |
Sexroboterfrau sitzt brav am Rand und Überlegungen, ob die DNA als | |
Datenspeicher dienen könnte, werden nebenbei eingestreut. Tendenz: Es wird | |
viel angerissen, über die Vertiefung entscheiden die Gäste selber. | |
Zwischendrin wird man en passant gescannt. Alter und Größe erscheinen auf | |
einem Display, wobei die KI dazu neigt, Besucher:innen etwas jünger und | |
größer zu machen, als wäre sie auf gastfreundlich getrimmt. | |
## Immer jung | |
Beim Eintauchen in die Welt der Medizin geht es um Unfälle, Krankheiten und | |
Wege, wie das Altern gestoppt werden kann – notfalls mit | |
Cyborg-Ersatzteilen. Der verspielte Umgang mit einem menschlichen | |
Ersatzteillager per [2][3D-Drucker] oder die Chance für ein | |
maßgeschneidertes Wunschkind bewegt sich im moralischen Grenzgebiet, der | |
nach einer ethischen Auseinandersetzung vor Ort schreit, was bisher fehlt. | |
Lebensqualität, umweltschonende Mobilität, nachhaltiger Umgang mit | |
Rohstoffen und der Klimawandel werden im zweiten Obergeschoss thematisiert. | |
Man begegnet futuristisch gestylten Autos, Flugtaxis, dem | |
Photovoltaikautoprototypen der Hochschule Bochum und einem Bambusfahrrad | |
für Ghana, das die Bedeutung des Fahrrads in der Zukunft ebenso hervorhebt | |
wie der Verkehrsplanungssimulator für die Großstadt. Die größte Attraktion | |
ist eine Erdkugel mit drei Metern Durchmesser, die über den Köpfen im Raum | |
schwebt. Auf ihr können per Beamer unterschiedlichste Aspekte farblich | |
dargestellt werden, flankiert von Fragen zu Ernährung oder CO2-Bilanz. | |
Zum Abschluss winkt ganz oben die Reise ins unendliche Universum. Dem | |
Modell einer geplanten Mondstation „Nautilus X“ begegnet man dabei ebenso | |
wie Livebildern von der Raumstation ISS oder einer uralten | |
Sojus-Weltraumkapsel. Und wer eine Botschaft fürs Weltall hat, kann sie per | |
Funkgerät hinausschicken. | |
Insgesamt ist es eine schöne neue Lernwelt zwischen allen Zeitebenen. | |
Räumlich spielt das große, tribünenartige Forum eine zentrale Rolle für | |
Vorträge und Diskussionen. Schlagzeilen aus der aktuellen Medienwelt werden | |
hier an die Wand geworfen. Auf diese Tour taucht die Coronapandemie auf, | |
die ansonsten im Zukunftsmuseum nur bei der Kontrolle am Eingang präsent | |
ist. | |
Laborräume für Schulklassen gibt es auf mehreren Ebenen im Zukunftsmuseum, | |
das dem Deutschen Museum 28 Millionen Euro gekostet hat. Kritik gibt es | |
weiter an den Mietkosten für das Projekt, das auf eine Idee von Markus | |
Söder zurückgeht, als dieser noch Bayerns Finanz- und Heimatminister war. | |
## Fehler bei der Technik | |
Bei der Standortsuche entschied man sich für den Augustinerhof, den der | |
Immobilien-Unternehmer Gerd Schmelzer (alpha-Gruppe) nach Plänen des | |
Berliner Architekten Volker Staab für rund 100 Millionen Euro errichten | |
ließ. Vor allem die Frage, ob die hohen Mietkosten angemessen sind, sorgt | |
weiter für Kontroversen. [3][Grünen-Landtagsabgeordnete Verena Osgyan] | |
rechnet mit einem „größeren Nachspiel“, sobald der Oberste Rechnungshof in | |
Bayern zwei vorgelegte Gutachten geprüft hat. | |
Rund 42.000 Gäste waren in den ersten vier Monaten im Museum. Das Konzept, | |
wissenschaftliche Erkenntnisse auf eine spielerische Art zu vermitteln, | |
kommt an. Doch bei der Präsentation der 250 Objekte wirkt manches noch | |
nicht ganz ausgereift, auch die Technik streikt häufig. Vor Weihnachten war | |
die Attraktion des „Freien Falls“ wochenlang ausgeschaltet, weil ein Seil | |
gerissen war und Ersatz für das Unikat auf sich warten ließ. | |
Verbesserungen werden versprochen. Im Frühjahr 2022 soll ein weiteres | |
Exponat zur Robotik kommen, während die Carrerabahn mit integrierter | |
neuronaler Schnittstelle überarbeitet wird. Eine interaktive Station zu | |
Wasserstoff in Städten ist ebenso angekündigt wie die erste | |
Sonderausstellung zum Thema „Protoypen“ im Sommer 2022. Museumsleiterin | |
Marion Grether steht im Jahr ein „mittlerer sechsstelliger Betrag“ für | |
Neues zur Verfügung. | |
Mit über 80 Partnern laufen Kooperationen, um das Zukunftsmuseum stetig | |
weiterzuentwickeln. Mit 2.900 Quadratmetern Ausstellungsfläche hat es 300 | |
Quadratmeter weniger als das Futurium in Berlin, das im September 2019 | |
eröffnet wurde. Natur, Technik und Mensch sind dort die entscheidenden | |
Schlagworte. Roboter und KI sind ähnlich präsent wie in Nürnberg. Der | |
Laborbereich befindet sich im Untergeschoss der | |
Glas-Stahl-Beton-Konstruktion, die samt dem Punkte-Muster-Platz ein | |
architektonisches Ausrufezeichen setzt. | |
Das Ars Electronica Center in Linz wurde schon 1996 gegründet und zum Jahr | |
als [4][Kulturhauptstadt Europas 2009] auf 6.500 Quadratmeter Nutzfläche | |
vergrößert. Sein Herzstück ist der weltweit einmalige Raum Deep Space 8K, | |
der Wand- und Bodenprojektionen von je 16 mal 9 Metern ermöglicht. Musik, | |
Arbeitswelt, Kinder, Gehirnforschung und Photovoltaik sind Topthemen im | |
gläsernen Haus, das alle Generationen anspricht – auch Kleinkinder. | |
15 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Jo Seuß | |
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