Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Landwirtin über smarte Technik: „Ein Chip zum Türöffnen“
> Juliane von der Ohe ist Landwirtin, in der CDU und lebt in einem
> 28-Seelen-Dorf in Niedersachsen. Die Haustür öffnet sie mit Mikrochips
> unter der Haut.
Bild: Will den technischen Fortschritt nach vorn bringen: Juliane von der Ohe
taz: Frau von der Ohe, sind Sie ein Cyborg?
Juliane von der Ohe: Vielleicht. Ich hatte das auf meinem Twitter-Account
so geschrieben, um die Leute zu triggern. Aber ob ich wirklich einer bin,
keine Ahnung.
Würden Sie gern eine Art Maschinenmensch werden?
Auf eine gewisse Art und Weise werden wir auf kurz oder lang alle zu
Cyborgs. Wir tragen ja jetzt schon viele Ersatzteile mit uns rum. Ob das
Herzschrittmacher sind, Zahnimplantate, künstliche Gelenke oder
Insulinpumpen.
Sie haben sich Chip-Implantate unter die Haut setzen lassen. Wieso?
Ich bin ein extrem schusseliger Mensch. Ich habe schon so oft meinen
Haustürschlüssel verlegt. Oder was auch oft passiert: Da wir auf zwei
Betrieben arbeiten, bleibt der Schlüssel immer mal irgendwo liegen und ich
stehe dann vor der Haustür und komm nicht rein. Und als ich dann das
Inserat gelesen habe, dachte ich mir: So was brauche ich auch!
Welches Inserat?
Beim Zahnarzt habe ich in einer Zeitschrift die Werbung von einer Berliner
Bank gesehen. Die hatten als Top-up zu einem Bausparvertrag ein Türschloss
mit einem entsprechenden Transponder zum Öffnen als Implantat in der Hand
angeboten. Ich habe mich daraufhin mit dem [1][Thema Bodyhacking] und
Chipimplantaten auseinandergesetzt. Und auf der Suche nach einem seriösen
Ansprechpartner bin ich dann auf einen Hamburger Bodyhacker gestoßen. Mit
dem habe ich einen Termin vereinbart und mir meinen ersten Chip
implantieren lassen.
Wann war das?
Das war 2019. Mittlerweile habe ich insgesamt drei Implantate.
Und was können die?
Mit dem Implantat in der linken Hand zwischen Daumen und Zeigefinger kann
ich meine Haustür öffnen. Und da ist auch meine Visitenkarte drauf, die
könnten Sie mit Ihrem Handy lesen. Mit diesem Chip entsperre ich auch
meinen Computer, meinen Passwortmanager und mein Entschlüsselungsprogramm,
der ist also sehr wichtig. Ich halte meine Hand einfach an ein Lesegerät,
was an meinen Computer angeschlossen ist, und fertig. Ich finde das
wunderbar. Und hier in der rechten Hand, der ist eigentlich nur so just for
fun, den benutze ich nur relativ wenig. Der funktioniert ähnlich wie
Zeiterfassungssysteme oder eine Hotelkarte.
Wie groß sind die Implantate?
Stadtmenschen sage ich: Reiskorngröße, aber genauer ist Haferkorngröße. Das
verstehen aber nur die Landmenschen.
Wie viel passt da drauf?
Nicht viel. Fotos können Sie da nicht draufladen. Höchstens eins. Aber ich
kann den Chip jederzeit per App neu bespielen. Ich habe einen Link zu
meiner [2][Homepage] und meiner Visitenkarte draufgespielt. Damit gewinne
ich dann unendlich viel Platz.
Und wie wird ein solcher Chip implantiert?
Der wird mit einer Kanüle direkt unter die Haut gegeben. So wie bei Hunden
und Katzen. Die Stelle zwischen Daumen und Zeigefinger eignet sich gut, da
dort nichts ist und der Chip auch gegen Stöße gut geschützt sitzt. Vom
Schmerz her: wie ein Wespenstich. Ich habe manchmal blaue Flecken bekommen,
aber nichts Dramatisches. Der dritte Chip ist etwas anders.
Was genau ist anders?
Das Implantat sitzt hier im rechten Unterarm, das ist ein bisschen größer,
etwa zwei mal drei Zentimeter. Es ist eine Art Minikreditkarte, mit der
ich bezahlen kann. Das ist ein neuer, der geht ab wie Schmitz Katze. Den
alten musste ich auswechseln lassen, da war etwas draufgefallen, und der
funktionierte nicht mehr.
Wo lassen Sie das machen? Beim Arzt?
Nein, [3][Ärzte haben wichtigere Dinge] zu tun. Die zwei Chips in der Hand
hat mir der Bodyhacker gesetzt. Den Bezahlchip hat mir eine professionelle
Bodymoderin gemacht. Das war aufwendiger, das musste aufgeschnitten werden.
Ohne Betäubung?
Da kommen ja etliche Kältesprays drauf. Es zwickt schon, aber eine Bäuerin
juckt das nicht. Der alte Chip wurde rausgenommen, der neue reingesetzt,
und die Wunde wurde mit drei, vier Stichen genäht. Das passiert alles unter
sehr hohen hygienischen Standards. Es gibt aber Leute, die meinen, sie
müssten das selbst machen. Das würde ich nicht empfehlen.
Was ist ein Bodymoder?
Der Begriff kommt von Bodymodification, also Körpermodifikation. Ein
Bodymoder macht die dollsten Sachen. Piercings oder Tattoos, aber auch
Dinge, wo ich sage: Ne, muss man nicht haben. Zum Beispiel Hörner unter der
Haut oder eine gespaltene Zunge wie ein Reptil, aber das ist ja jedem
selbst überlassen.
Entschuldigen Sie folgende Bemerkung: Sie sind 62 Jahre, Landwirtin,
CDU-Mitglied und leben in einem 28-Seelen-Dorf in Niedersachsen. Sie hätte
ich jetzt eher nicht in der Bodymoderszene verortet.
Da sind Sie auch in bester Gesellschaft. (Sie lacht laut) Ich entspreche
halt nicht dem typischen Klischee einer Person, die Chips implantiert hat.
Aber das macht für mich auch den Reiz aus. Man unterstellt der CDU, wie ich
finde, zu Unrecht, keine besondere Innovation. Okay, ich bin auch, was die
CDU betrifft, nicht der Mainstream. Mainstream ist nicht so meins, ich habe
schon immer das Bunte gemocht. Aber ich mach mein Ding auf ’ne nette Art,
zumindest halten meine Parteikollegen und -kolleginnen mich aus.
Wie sind denn allgemein die Reaktionen auf ihre Implantate?
Viel Shitstorm. Da ist alles dabei: Verrat des Abendlandes, ich solle
verrecken, und, und, und. Das kommt per Brief, per Anruf, über Social
Media. Aber ich habe auch einen Heiratsantrag bekommen, also so schlimm ist
es dann doch nicht.
Und was sagt Ihre Familie dazu?
Ach, für die bin ich sowieso durchgeknallt. Meine Tochter hat auch einen
Chip zum Türöffnen in der Hand, aber mehr macht sie damit nicht. Sie findet
das praktisch, aber sie lebt das nicht so wie ich.
Weshalb sind Sie so überzeugt?
Mich überzeugt der Nutzen dieser Implantate. Es sind Alltagserleichterungen
für mich, die ich nicht mehr missen möchte. Es gibt Leute, die sammeln
diese Implantate just for fun. Es gibt ja die verrücktesten Dinge.
Leuchtende Implantate oder magnetische, mit denen man Stecknadeln vom Boden
aufsammeln kann. Das ist eher was für die Freaks, was ich vollkommen okay
finde. Aber das bin ich nicht. Ich bin zu bodenständig. Neben dem Nutzen
geht es mir aber auch noch um was anderes.
Worum?
Mir geht es darum, den technischen Fortschritt mit Implantaten weiter nach
vorn zu bringen. Da muss man was tun, auch wenn es im ersten Moment nicht
vernünftig ist, aber so haben alle Entwicklungen mal angefangen. Dass mal
irgendwann einer etwas begonnen hat, wo andere sagen, wie bekloppt ist das
denn? Und wenn es eine Sackgasse wird, dann ist das eben so. So
funktioniert nun mal Innovation.
Sie haben kein Problem mit der Rolle eines Versuchskaninchens?
Nein, wieso? Ich bin ja über 60, was habe ich zu verlieren? Ich habe meinem
Körper schon mehr zugemutet als dieses Implantat. Ich habe beispielweise
über die Hälfte meines eigenen Körpergewichts abgenommen und wieder
zugenommen. Ich hatte Amalgamfüllungen, eine Spirale mit Hormonen. Aber das
muss jeder selbst entscheiden. Ich fand das schon immer ein spannendes
Thema. Vielleicht liegt das auch an meinem Beruf.
An ihrem Beruf?
Ja, wir Landwirte sind pragmatisch und generell technikoffen. Wir arbeiten
ja schon lange mit verschiedenen smarten Technologien, wie zum Beispiel
Beregnungsanlagen, die je nach Bodenverhältnis die erforderliche Menge
Wasser abgeben. Oder smarte Aussaatberechnung, die exakt kalkuliert, wie
viel Hektar für verschiedene Pflanzen und wie viel Düngemittel. Wenn es
praktische Anwendungen für Chipimplantate geben würde, wären die Landwirte
bestimmt dabei.
Es gibt auch Menschen, die haben Vorbehalte gegenüber der Technik, wie Sie
sie nutzen.
Ach, Deutschland ist technikfeindlich vom Feinsten. Eine Katastrophe. Das
ist wohl diese sogenannte German Angst. Nur ein Beispiel: Ein Kollege,
Landwirt, steht bei der Volksbank und tippt seinen Überweisungsträger ein.
Ich frage ihn: Wieso machst du das? Er: Homebanking ist mir zu gefährlich.
Ich antworte: Was wirklich gefährlich ist, ist die Fahrt zum Bankinstitut.
Was ich damit sagen will: Die Leute habe so eine diffuse Angst vor
Technologien und setzen sich dann nicht weiter damit auseinander. Ich bin
offen für fast alles und hoffe, dass wir uns weiterentwickeln. Technik ist
ja quasi ein Vorsprung vor der Evolution.
Haben Sie keinerlei Sicherheitsbedenken?
Nein. Viele Leute denken, ich würde meine Sicherheit preisgeben. Oder man
könne mein Konto leerräumen oder mich orten. Das stimmt alles nicht. Die
Chips, die ich implantiert habe, sind alle passiv, sie haben keine eigene
Energiequelle. Weil keine Signale abgegeben werden können, kann ich nicht
geortet werden.
Und der Bezahlchip?
Der funktioniert wie eine Prepaidkarte, auf die ich mithilfe einer App Geld
lade, immer nur so viel, wie ich auch im Portemonnaie haben würde. Ich bin
generell ein Sicherheitstyp und arbeite gern mit doppeltem Boden.
Es gibt auch Leute, die wollen sich mithilfe von technischen Hilfsmitteln
optimieren. Bodyhacker wollen die Grenzen der menschlichen Möglichkeiten
mit Einsatz von technischen Verfahren erweitern. Wie finden Sie dieses
Sinnsuche nach einer Optimierung?
Einem Ideal entsprechen zu wollen oder seinen eigenen Körper unzureichend
empfinden, das finde ich traurig. Und die ganze Sache mit dem Körperkult
ist auch ziemlich dramatisch. Ob man da jetzt ein technisches Hilfsmittel
heranzieht, ist für mich erst mal zweitrangig.
Manche wollen sich sogar Superkräfte verleihen. In Kalifornien hat eine
Gruppe von Biohackern Augentropfen im Selbstversuch entwickelt, die es
möglich machen, nachts zu sehen.
Oh, das wäre was für Jäger. Ne, im Ernst. Jeder kann ja ausprobieren, was
er möchte. Nur da, wo es gesundheitsgefährdend wird, da ist für mich die
Grenze.
Hätten Sie gern eine Superkraft?
Essen, so viel ich will, ohne dick zu werden. Wenn das ginge, wäre ich zu
allem bereit. Da könnte ich nicht widerstehen.
Ihre Begeisterung für Technik hat ihren Ursprung in der Serie
„[4][Raumschiff Enterprise“]. Stimmt das?
Ja! „Raumschiff Enterprise“ hat mich infiziert. Im Mai 1972 gab es die
Erstausstrahlung der Serie im deutschen Fernsehen, und seitdem war ich
angesteckt. Mich hat dieser technische Schnickschnack total fasziniert,
schon allein die Vorstellung, mit einem Computer zu sprechen. Das war für
mich unvorstellbar. Heute nutze ich sehr oft Sprachcomputer. Das ist schon
genial. Der Replikator ist ja mittlerweile auch Realität. Wir reden über
In-vitro-Fleisch, also ein künstlich hergestelltes Fleisch. Oder die
Übersetzungsprogramme. Mithilfe unserer Smartphones können wir uns überall
auf der Welt verständigen. Ich finde das einfach toll.
Planen Sie noch mehr Implantate?
Nein, aktuell nicht. Worauf ich wirklich hinarbeite, ist das
Gesundheitsimplantat mit der Speicherung meiner medizinischen Daten. Wenn
der Notarzt kommt, kann er mit einem entsprechenden Lesegerät aufrufen und
hat alle notwendigen Informationen sofort und kann mir schnell helfen im
Notfall. Auch Notfallmediziner sagen, dass es hilfreich sei, Informationen
wie Medikamentenunverträglichkeiten, Allergien, Blutgruppen sofort zu
haben, weil man so mehr Menschenleben retten könnte. Aber dazu brauchen wir
Standards.
Die Digitalisierung des Gesundheitswesens ist problematisch.
Gesundheitsdaten sind sehr sensibel. Datenschützer warnen vor mangelndem
Schutz der Patientendaten. Wie sehen Sie das?
(Seufzt genervt) Es scheitert am Datenschutz, ja. Wir sind noch meilenweit
von einer Lösung entfernt. Ich habe darüber auch ein paar Mal mit Jens
Spahn gesprochen, als der noch Gesundheitsminister war, aber das Thema
fasst keiner an, das ist schade. Ich bin offen, mich da weiterzuentwickeln,
vor allem in den Bereichen, wo Technologie uns Nutzen bringen kann. Ich
sage Kritikern auch immer: Ich bin offen, wenn ihr was Besseres habt, dann
immer mal her damit. Mich ärgert das.
Was genau?
Dass wir da nicht vorwärtskommen. Es gibt so viel Segen, den wir durch
technischen Fortschritt haben. Vor allem in der Medizin. Implantate, die
taube Menschen wieder hören lassen, wie meinen Nachbarn. Der saß, nachdem
er das Implantat bekommen hat, nur vor der Musikanlage und hat geheult vor
Glück. Oder smarte Insulinpumpen, Prothesen und, und, und. Und da wollen ja
auch alle den Fortschritt. Aber wenn es um die eigene Blutgruppe geht,
machen alle dicht. Obwohl man so ja auch Leben retten könnte.
Haben Sie nie bereut, die Implantate zu haben?
Ne. Ich würde es jederzeit wieder machen und ärgere mich höchstens, dass
ich es nicht schon längst früher gemacht habe.
10 Jul 2022
## LINKS
[1] /Bodyhacking/!5201391
[2] http://vdohe.de/
[3] /Medizinische-Versorgung-auf-dem-Land/!5855737
[4] /Diversitaet-in-Star-Trek-Discovery/!5717687
## AUTOREN
Juliane Preiß
## TAGS
Cyborg
Lesestück Interview
Landwirtschaft
Digitalisierung
Schwerpunkt Stadtland
Mikrochips
wochentaz
Smartphone
Schwerpunkt Stadtland
Wissenschaft
Museum
Landwirtschaft
## ARTIKEL ZUM THEMA
Landwirt-Influencerin Marie Hoffmann: „Ich bin ja Quereinsteigerin“
Marie Hoffmann ist Landwirtin und Influencerin. Viele ihrer 600.000
Follower:innen haben nichts mit Landwirtschaft zu tun. Wie geht das
zusammen?
Die These: Werfen Sie Ihr Handy in den Gully
In der Mittagspause landet sein Smartphone im Gully. Unser Autor erlebt in
den Tagen danach Solidarität, und er lernt etwas über Physik.
Landwirtschaft in Klimakrise: Dürres Land
Brandenburg ist trocken und leidet durch den Klimawandel besonders unter
der Dürre. Das gefährdet Landwirtschaft und wirtschaftliche Existenzen.
Mit KI gegen Wolfsrisse: Rotkäppchens Roboter
Trotz vorhandener Elektrozäune reißen Wölfe oft Schafe. Forscher*innen
der Uni Bremen wollen die Gatter mit Künstlicher Intelligenz verbessern.
Die Zukunft im Museum: KIs, 3D-Drucker und das Weltall
Das Zukunftsmuseum Nürnberg besteht seit vier Monaten als Dependance des
Deutschen Museums. Künstliche Intelligenz steht im Mittelpunkt.
Digitalisierung der Bauernhöfe: Mit dem Laptop auf den Acker
In der Landwirtschaft schreitet die Digitalisierung und Vernetzung voran.
Farming 4.0 soll die Umwelt schonen. Sorge bereitet noch der Datenschutz.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.