| # taz.de -- Akzeptanz von neuen Technologien: Es gibt keinen Blankoscheck | |
| > Die Menschen in Deutschland sind nicht technikfeindlich, wie oft | |
| > kolportiert wird. Eine Umfrage zeigt jedoch, dass Skepsis und Kritik | |
| > verbreitet sind. | |
| Bild: Licht an und aus mit der Tablet-App: Nur wenige können sich mit einer ko… | |
| Sind die Deutschen technikfeindlich oder ist das nur ein Mythos, der real | |
| nicht zutrifft? Die Deutsche Akademie für Technikwissenschaften Acatech | |
| wollte es genauer wissen, und gab mit finanzieller Unterstützung durch die | |
| Körber-Stiftung die Untersuchung [1][„TechnikRadar“] in Auftrag, die 2002 | |
| Bundesbürger repräsentativ nach ihrem Verhältnis gegenüber einzelnen | |
| Technologien und dem technischen Fortschritt insgesamt befragte. | |
| Das Ergebnis ist eine bemerkenswerte Mischung aus Sympathie und | |
| Reserviertheit. Individuell schätzen die meisten Bürger die Vorteile, die | |
| ihnen moderne Technologien in ihrem privaten Lebensumfeld bieten. | |
| Wesentlich kritischer fällt das Urteil aus, wenn es um die Auswirkungen der | |
| Technik auf die Gesellschaft geht: der Wandel der Arbeitswelt durch | |
| Digitalisierung oder den Einzug der Roboter in den Pflegebereich. | |
| „Technikkritik ist aber keine Technikfeindschaft“, erklärte Cordula Kropp | |
| vom [2][Zentrum für Interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung der | |
| Universität Stuttgart (Zirius)], die die Daten wissenschaftlich ausgewertet | |
| hatte, bei der Vorstellung in Berlin. Die Ambivalenz sei groß. „Von der | |
| Bevölkerung gibt es keinen Blankoscheck für neue Technologien“, so Kropp. | |
| Dies sei ein wesentlicher Unterschied etwa zu den 50er Jahren. „Die gute | |
| Nachricht ist, dass wir eine Öffentlichkeit haben, die mitsprechen will.“ | |
| Partizipative Technikgestaltung ist das Gebot der Stunde. | |
| Laut TechnikRadar bekunden 53,5 Prozent der Befragten, sie seien „an | |
| Technik interessiert“. An anderer Stellen bezeichnen sich 55,8 Prozent | |
| sogar als „technikbegeistert“, die höchste Stufe der Wertschätzung. 49,8 | |
| Prozent erwarten, dass „Technik die Lebensqualität für nachfolgende | |
| Generationen verbessern wird“. Der Optimismus ist gepaart mit einem Schuss | |
| Fatalismus: 89,5 Prozent aller Deutschen halten den technischen Fortschritt | |
| für unaufhaltsam. Gewünscht wird aber eine Steuerung: „Ich bin nur dann für | |
| technische Neuerungen, wenn sie im Einklang mit sozialen Werten wie | |
| Umweltschutz oder Gerechtigkeit stehen.“ Dieser Meinung sind 73,7 Prozent | |
| der Bürger. Ein knappes Viertel will technische Neuerungen nur dann | |
| akzeptieren, wenn sich daraus persönliche Vorteile ergeben. Die Mehrheit | |
| plädiert mithin für eine sozialverträgliche Technik. | |
| In der Bewertung von Einzeltechniken trifft die grüne Gentechnik zur | |
| Veränderung von Nutzpflanzen wie bekannt auf die größte Ablehnung: 68,6 | |
| Prozent stufen sie als „sehr riskant“ und „eher riskant“ ein. Auch beim | |
| Einsatz von Robotern in der Pflege überwiegt mit 55,9 Prozent die | |
| Ablehnung. Befürchtet wird, dass dadurch die menschliche Zuwendung in den | |
| Pflegeheimen abnimmt. | |
| ## Verkehrschaos durch Computertechnologien | |
| In der ersten Ausgabe des TechnikRadars, der künftig jährlich erscheinen | |
| soll, wurden drei Technikthemen besonders untersucht: die digitale | |
| Transformation, von der 47,2 Prozent der Bürger erwarten, dass durch sie | |
| die Arbeitslosigkeit erhöht wird. Beim autonomen Fahren erwarten 27,3 | |
| Prozent, dass es weniger Verkehrsunfälle gibt. Aber wesentlich mehr – 65,9 | |
| Prozent – rechnen mit einem „Verkehrschaos durch Computerpannen“. | |
| Überraschend negativ wird das „Smart Home“ bewertet, die vernetzte | |
| Haushaltstechnik in den eigenen vier Wänden. Nur 8,1 Prozent der Deutschen | |
| benutzen derzeit intelligente Jalousien, Türschlösser und Waschmaschinen. | |
| Nur 14,3 Prozent halten es für sehr wahrscheinlich, durch „Smart Home“ im | |
| Alter länger selbständig leben zu können. „Die Versprechen eines Ambient | |
| Assisted Living (AAL) sind bei den Verbrauchern ungehört verhallt“, | |
| kommentierte Michael Zwick vom Institut für Sozialwissenschaften der Uni | |
| Stuttgart den Befund. Der von den Geräteherstellern erwartete Boom mit | |
| Smart-Home-Technik ist bisher ausgeblieben. Damit der kommt, muss zunächst | |
| gegen ein Negativ-Image angegangen werden. 67,9 Prozent der | |
| TechnikRadar-Befragten sind nämlich überzeugt, dass das vernetzte Smart | |
| Home letztlich dazu führen wird, „dass Internetkriminelle die Wohnung | |
| kontrollieren“. | |
| Interessante Unterschiede ergeben sich auch mit Blick auf Geschlecht und | |
| Regionalität. Frauen sind laut TechnikRadar „technikaverser“ als Männer: | |
| „Sie nutzen Technik seltener und bewerten die Folgen mit mehr Skepsis.“ So | |
| sind fast 42 Prozent der Frauen der Ansicht, dass Technik mehr Probleme | |
| schaffe, als sie löse. Bei den Männern antworten das nur 29,2 Prozent. Auch | |
| eine Ost-West-Spaltung ist erkennbar: Während in Westdeutschland nur 37,1 | |
| Prozent der Frauen das Zukunftsversprechen der Technik („alles wird | |
| besser“) glauben, sind es in den östlichen Bundesländern 62,6 Prozent. | |
| „Interessant ist dabei, dass diese Unterschiede vor allem bei älteren | |
| Frauen zu finden sind“, notiert die Studie. Das DDR-Erbe lässt grüßen. Der | |
| Anteil der Bürger, die negativ zur Technik eingestellt sind, liegt mit 14,3 | |
| Prozent im Westen höher als im Osten (11,1 Prozent). | |
| ## „Technophiles Einstellungssyndrom“ | |
| Diese Einzeldaten haben die Stuttgarter in einer neuen Skala | |
| zusammengefasst, dem „technophilen Einstellungssyndrom“. Oben steht die | |
| Gruppe, die am meisten von Technik überzeugt sind, ihre glühendsten | |
| Anhänger. Das sind in Deutschland Männer im Alter von 16 bis 35 Jahren, | |
| überwiegend mit technisch-naturwissenschaftlicher Ausbildung. Am Ende der | |
| Skala („Technikdistanz“) sammelt sich die Gruppe von Frauen, die älter als | |
| 65 Jahre sind. | |
| Die politisch brisantesten Befunde der Studie finden sich, eher versteckt, | |
| im Kapitel über die „Sicherheit des Stromnetzes“. Dort wurde auch nach der | |
| „Leistung und Glaubwürdigkeit der verantwortlichen Akteure“ gefragt: | |
| Behörden, Stromversorger, IT-Firmen, Politik, Sicherheitsorgane. „Alle | |
| untersuchten Institutionen, vor allem aber die Politik weist in der | |
| Wahrnehmung der Öffentlichkeit eine beängstigende Glaubwürdigkeits- und | |
| Vertrauenslücke auf“, stellen die TechnikRadar-Autoren fest. | |
| Dieses institutionelle Versagen forciere das „Gefühl eines kollektiven | |
| Kontrollverlustes“, dem sich die Menschen ausgeliefert fühlen. Dies dürfe | |
| aber nicht als Technikfeindlichkeit missverstanden werden. „Nicht Technik, | |
| sondern gesellschaftliche Institutionen – allen voran die Hersteller und | |
| Betreiber von technischen Systemen sowie die Politik – sind die Adressaten | |
| der Kritik“. Breite Akzeptanz werde sich nur einstellen, wenn die Technik | |
| den gesellschaftlichen Bedürfnissen, darunter besonders den | |
| Sicherheitsbedürfnissen folge. Das betrifft den Datenschutz wie auch den | |
| Schutz kritischer Infrastrukturen. | |
| 9 Jun 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Manfred Ronzheimer | |
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