# taz.de -- Corona und die Kulturbranche: Eine andere Form von Long-Covid | |
> Viele Kulturschaffende haben sich im Lockdown neue Jobs gesucht. Das | |
> dürfte nach der Pandemie zum Problem werden. Was tun? Ein | |
> Wochenkommentar. | |
Bild: Forderungen prominent projiziert: Protest der Veranstaltungsbranche am Mi… | |
Es braucht längst keine Beweise mehr, dass die Kulturbranche mit am | |
stärksten von den Auswirkungen der Coronapandemie betroffen ist. Private | |
Theater kämpfen mit Einnahmeausfällen; die Ungewissheit drohender | |
Schließungen und stetig neue Auflagen hat die Planung vieler | |
Konzertbetreiber*innen unmöglich gemacht; soloselbstständige | |
Kunstschaffende wurden in Hartz IV gedrängt; [1][viele Clubs sind seit fast | |
zwei Jahren geschlossen]. Diese Liste ließe sich beliebig verlängern. | |
Sicher, es gab Hilfen von Bund und den Ländern, und die auch nicht zu | |
knapp. Aber wenn wir eines gelernt haben in dieser Pandemie, dann, dass | |
präzise Vorhersagen über die Zukunft kaum möglich sind. Die [2][nächste | |
Mutante wartet] schon. | |
Die Veranstaltungsbranche versucht deswegen, den Druck auf die Politik zu | |
erhöhen. Am Mittwoch machten mehrere Verbände mit einer Aktion am Reichstag | |
auf die schwierige Lage ihrer Branche aufmerksam: Sie projizierten ihre | |
Forderungen, etwa nach weiterer finanzieller Unterstützung, auf das | |
Gebäude. | |
Doch angesichts der langen Ungewissheit ist es kein Wunder, dass sich | |
gerade Menschen in von der Pandemie besonders betroffenen Bereichen neue | |
berufliche Perspektiven suchen. Nicht nur in der Intensivpflege, wo die | |
Belastung seit März 2020 immens ist, sondern eben auch in der | |
Kulturbranche. | |
„Viele Menschen, die früher selbstständig oder freiberuflich tätig waren, | |
haben sich umorientiert und sind in festangestellte Jobs gegangen“, hat | |
Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) [3][diese Woche im | |
taz-Interview gesagt]. Die Folge: „Da kommt ein Problem auf uns zu, das wir | |
in seiner Tragweite noch gar nicht absehen können.“ | |
Fehlen dürften vor allem Menschen, die sich um die technische Umsetzung von | |
Kultur kümmern, etwa Bühne aufbauen und Konzerte abmischen, und Menschen in | |
der Gastronomie, die mit ihren Zusatzeinnahmen oft dafür sorgt, dass sich | |
Kulturveranstaltungen überhaupt rechnen. Plus all jene Künstler*innen, die | |
gemerkt haben, dass ihre Arbeit vielleicht geschätzt wird; dass aber, wenn | |
es hart auf hart kommt, die Solidarität des Staates und vieler | |
Bürger*innen jenseits wohlmeinender Worte ausbleibt. | |
Da geht es ihnen nicht anders als den Pflegekräften und den einst gerühmten | |
und längst wieder vergessenen ersten Held*innen dieser Pandemie: den | |
Menschen an den Kassen der Supermärkte, die uns das Klopapier zum Horten | |
verkauften. | |
## Wichtige Arbeit, niedrige Bezahlung | |
Das Grundproblem: Zwar ist deren Arbeit wichtig, oft sogar zu weiten Teilen | |
systemrelevant, aber das drückt sich selten auch in der Bezahlung aus. | |
Viele arbeiten am Rande der Prekarität – und das oft bewusst, weil ihnen | |
ihre Arbeit viel bedeutet. Dennoch fehlt es ihnen an Wertschätzung, wenn, | |
wie am Anfang der Pandemie, die Politik die Kulturschaffenden auf Hartz IV | |
verweist, obwohl die Pause zwangsverordnet war und viele einfach zuhause | |
weiter arbeiteten. Deshalb haben sie Initiativen ins Leben gerufen, die ein | |
[4][bedingungsloses Grundeinkommen für Kulturschaffende] für die Dauer der | |
Pandemie forderten oder [5][dass die Kultur ins Grundgesetz gehört]. | |
## Lobby dringend gesucht | |
Die Kulturschaffenden und die Pfleger*innen haben keine Lobby, anders | |
als zum Beispiel Fluggesellschaften, die mit staatlichen Milliardenhilfen | |
unterstützt werden. Diese Lobby bräuchten sie vor allem auch jenseits des | |
pandemischen Ausnahmezustands, um angemessene Honorare und Löhne | |
durchsetzen zu können. Am Ende drückt sich Wertschätzung in einer | |
kapitalistischen Gesellschaft eben vor allem durch die Bezahlung aus. | |
Der Kampf gegen prekäre Beschäftigung in der Kulturbranche währt schon | |
lange. Tritt die von Kultursenator Lederer prognostizierte Notlage | |
tatsächlich ein, könnte sie auch eine Chance sein, Forderungen nach | |
besserer Bezahlung durchzusetzen. | |
Denn bisher dreht sich die Debatte in der Pandemie vor allem darum, was die | |
Kultur [6][angesichts hoher Inzidenzen anbieten darf]; in wenigen Wochen | |
schon könnte die Frage hingegen sein, was vor allem privat finanzierte | |
Kultur noch machen kann angesichts des Fachkräftemangels. Die Folgen würden | |
die Konsument*innen gerade in einer Kulturmetropole wie Berlin direkt | |
zu spüren bekommen. Darüber hinaus wäre auch der Tourismus betroffen wäre �… | |
immerhin eine der wichtigsten Einnahmequellen der Stadt. | |
12 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Erneutes-Tanzverbot-in-Berliner-Clubs/!5809741 | |
[2] /RKI-zum-Verlauf-von-Omikron/!5829776 | |
[3] /Berlins-Kultursenator-ueber-die-Pandemie/!5831808 | |
[4] /Eine-Petition-zum-Grundeinkommen/!5696971 | |
[5] /Kultur-soll-ins-Grundgesetz/!5749289 | |
[6] /Der-Umgang-mit-der-vierten-Welle/!5814340 | |
## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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