# taz.de -- Ausstellung in Hamburg zu Pueblo-Kunst: Lauter Leerstellen | |
> Studierte der Kunsthistoriker Aby Warburg indigene Gesellschaften aus | |
> kolonialem Interesse? So oder so ließ er sich dabei Touristenramsch | |
> andrehen. | |
Bild: Touristisch erschlossenes Reiseziel: Aby Warburg und ein Navajo-Mann, Kea… | |
HAMBURG taz | Ist es okay, Aby Warburg als geistigen Ahnherrn des Berliner | |
Humboldt-Forums heranzuziehen? Horst Bredekamp, Gründungsintendant des | |
umstrittenen Ausstellungshauses, hatte vor einem Jahr Warburg [1][in der | |
Frankfurter Allgemeinen Zeitung] als geistige Inspiration in Dienst | |
genommen: als Kunsthistoriker, der nicht aus kolonialem Interesse die Werke | |
indigener Gesellschaften studierte, sondern um deren Schätze für die | |
Nachwelt zu bewahren. | |
„Rettet, rettet, rettet“, das sei Warburgs Motivation hinter dem Sammeln | |
gewesen, behauptete Bredekamp und macht den 1929 Verstorbenen so zum | |
Kronzeugen gegen einen linken, [2][identitätspolitisch motivierten | |
Postkolonialismusdiskurs.] | |
Im gleichen Atemzug unterstellt Bredekamp diesem Diskurs auch | |
grundsätzlichen Antisemitismus – ob der säkulare Jude Warburg es gut | |
gefunden hätte, heute als Stichwortgeber für eine Institution zu gelten, | |
die sich bis zum Kreuz auf der Kuppel des Gebäudes als christlich versteht? | |
Zumal Warburgs kunsthistorisches Denken nicht per se als | |
antikolonialistisch durchgeht. Das zeigt die Hamburger Ausstellung | |
„Blitzsymbol und Schlangentanz – Aby Warburg und die Pueblo-Kunst“. Warbu… | |
war 1895 in die USA gereist, zunächst zur Hochzeit seines Bruders nach New | |
York, dann aber, angewidert von der vorgeblichen Kulturlosigkeit der | |
Metropole, weiter Richtung Westen, als „gebildeter Tourist“, wie es | |
Co-Kurator Uwe Fleckner ausdrückt, der in rituellen wie alltäglichen | |
Gegenständen indigener Gesellschaften die Ursprünge symbolischer Kunst | |
finden wollte. | |
Und der sich dabei nicht immer vorbildlich verhielt: Warburgs Blick war ein | |
formalistischer, der davon überzeugt war, dass sich das Wesen eines | |
rituellen Objekts durch Anschauung erschließen ließe. Dass diese Anschauung | |
ein Gewaltakt sein kann, wollte ihm nicht in den Sinn. | |
Tatsächlich sind aber bestimmte rituelle Objekte Träger von Geheimwissen, | |
das keinem breiteren Publikum zur Verfügung gestellt werden darf; wenn man | |
diese Objekte also sammelt und weiterträgt, entweiht man sie. Warburgs gut | |
gemeintes „Rettet, rettet, rettet“ bedeutet eigentlich „Sammelt, | |
katalogisiert, präsentiert“, und es zielt somit an den Exponaten vorbei, | |
trotz bester Absichten. | |
## Fotografier- und Abbildungsverbot | |
Die von Warburg besuchten Pueblo-Gesellschaften befinden sich in der | |
heutigen Four-Corners-Region im Grenzbereich von Arizona, Utah, Colorado | |
und New Mexico. Das war Ende des 19. Jahrhunderts kein unbekanntes Land | |
mehr, sondern eine touristisch erschlossene Gegend, in der reges, kulturell | |
meist unsensibles Interesse für indigene Kultur vorherrschte. Zwischen 1898 | |
und 1920 hatten die meisten Pueblo-Gemeinschaften ein Fotografier- und | |
Abbildungsverbot für rituelle Aktionen erlassen – ein Hinweis darauf, wie | |
belastend die öffentliche Aufmerksamkeit gewesen sein muss. | |
Die Hamburger Ausstellung thematisiert das mit einer Karikatur aus „The | |
Illustrated Police News“ von 1886, in der die Anthropolog*innen James | |
und Matilda Coxe Stevenson sich in einem Pueblo-Umfeld wie die Axt im Walde | |
aufführen. Dass Warburgs Verhalten im Vergleich kultursensibler gewesen | |
sein dürfte, ändert nichts daran, dass er die rituellen Objekte ebenfalls | |
ohne tieferes Verständnis öffentlich machen wollte: Ab 1902 vermachte er | |
dem Markk-Vorgänger, dem Hamburger Museum für Völkerkunde, einen Großteil | |
seiner Sammlung. | |
In Teilen wurde der Bestand immer wieder präsentiert, meist in der heute | |
als inhaltlich problematisch angesehenen Ausstellung über die Völker | |
Nordamerikas. „Blitzsymbol und Schlangentanz“ ist allerdings die erste | |
kritische Gesamtpräsentation dieses Vermächtnisses. Und man merkt den | |
Kurator*innen Christine Chávez und Fleckner an, wie bemüht sie sind, | |
tatsächlich kritisch mit dem Erbe umzugehen: dass sie Warburg eben nicht | |
wie Bredekamp lobend für eine antikoloniale Sicht vereinnahmen wollen. Und | |
dass sie seine anthropologischen Forschungen dennoch würdigen. | |
## Abwesendes als Scherenschnitt | |
In der praktischen Umsetzung allerdings bringt das gewisse Probleme mit | |
sich. Den Kurator*innen standen mit Stewart B. Koyiyumptewa (Direktor | |
des Hopi Cultural Preservation Service), Joseph H. Suina (Oberster War | |
Chief von Cochiti Pueblo) und Joseph R. Aguilar (stellvertretender | |
Beauftragter des Tribal Historic Preservation Office von San Ildefonso | |
Pueblo) Betroffene beratend zur Seite; sobald bei einem Exponat die Frage | |
auftauchte, ob man es hier mit einem rituellen Objekt zu tun haben könnte, | |
wurden diese um Rat gefragt. | |
Und wenn etwas als „kulturell sensibel“ eingestuft wurde, wurde es nicht | |
gezeigt. Beziehungsweise: In den Vitrinen sind hier „Leerstellen“ zu sehen, | |
Scherenschnitte, die auf die problematischen Objekte verweisen, ohne sie zu | |
zeigen. Es sind einige „Leerstellen“, die hier aufscheinen. | |
Das macht „Blitzsymbol und Schlangentanz“ zur Gratwanderung. Einerseits | |
geht es darum, etwas zu zeigen, andererseits sorgt das kuratorische | |
Selbstverständnis dafür, dass man nicht alles zeigen kann. Zumal Letzteres | |
immer Interpretationssache ist: Wenn man um das Abbildungsverbot innerhalb | |
der Pueblo-Gemeinschaften weiß, sind Warburgs Fotos des | |
Büffel-Hirsch-Tanzes im San Ildefonso Pueblo problematisch, auch wenn | |
Berater Aguilar grünes Licht gibt. | |
Schön allerdings sind einzelne Objekte, die zwar durch die typischen | |
Stufenverzierungen wirken, als ob sie einen rituellen Zweck erfüllt hätten, | |
in Wahrheit aber tatsächlich nur Töpfe und Schalen sind. Aguilar: „Nur weil | |
etwas rituell aussieht, heißt das noch nicht, dass es das auch ist.“ Mit | |
anderen Worten: Warburg ließ sich hier Touristenramsch andrehen. | |
An einer Stelle verweist die Ausstellung auf den Indigenen Cleto Yurina, | |
der Warburg ein „extrem bedeutendes“ Ritualobjekt verkauft hatte. Bloß: | |
Yurina war in Cochiti Pueblo als Trinker und Betrüger verrufen, das Objekt | |
hatte er in Wahrheit selbst hergestellt. Dass Warburg, der eine | |
übergreifende Struktur in den untersuchten Arbeiten suchte, sich so leicht | |
über den Tisch ziehen ließ, ist erfrischend menschlich – einerseits. | |
Andererseits lässt sich über die – jenseits der Betrugsabsicht durchaus | |
beeindruckende – künstlerische Fertigkeit Yurinas auch ein Bezug herstellen | |
zur heutigen Pueblo-Kunst, die eine ganz und gar nicht marginale Position | |
auf dem US-Kunstmarkt darstellt; und von der einzelne Beispiele, von | |
Roxanne Swetzell und von Victor Masayesva etwa, einen Link in die Gegenwart | |
herstellen, wie ihn die zwangsläufig fragmentarische Ausstellung ansonsten | |
vermeidet. | |
13 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/postkolonialismus-schaedigt… | |
[2] /!s=Postkolonialismus/ | |
## AUTOREN | |
Falk Schreiber | |
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