| # taz.de -- Besuch im Warburg-Haus: In guter Nachbarschaft | |
| > Das Hamburger Warburg-Haus ist heute ein Forum für Kunst- und | |
| > Kulturwissenschaften. Hier befand sich die Bibliothek von Aby Warburg. | |
| Bild: Schon architektonisch ein Ort des freien Forschens: Lesesaal des Warburg-… | |
| Hamburg taz | Auf den ersten Blick von außen sticht es zwischen den | |
| gepflegten Stadtvillen aus den 1900er- bis 1920er-Jahren kaum heraus, das | |
| Haus mit der roten Backsteinfassade am Alsterufer in der Heilwigstraße 116 | |
| in [1][Hamburg-Eppendor]f. Die drei Buchstaben K, B und W ragen aus dem | |
| Mauerwerk über dem Eingang, neben der Tür zwei imposante metallene | |
| Laternen. | |
| Eher würde man hier ein Bankhaus vermuten als den einstigen Sitz der | |
| Bibliothek des Kulturwissenschaftlers [2][Aby M. Warburg]. Und der wurde ja | |
| tatsächlich am 13. Juni 1866 als ältestes von sieben Kindern des Bankiers | |
| Moritz Warburg und seiner Frau Charlotte in Hamburg in ein wohlhabendes, | |
| konservatives jüdisches Elternhaus geboren. | |
| Aber schon als 13-Jähriger, heißt es, soll Aby Warburg seinen | |
| Erstgeborenenstatus ausgeschlagen und seiner Familie abgerungen haben, ihm | |
| stattdessen ein Forscherleben zu finanzieren. Er steckte das Geld in Reisen | |
| und kostspielige Bücher und sammelte eine beeindruckende Bibliothek | |
| zusammen, die heute weltberühmte [3][„Kulturwissenschaftliche Bibliothek | |
| Warburg“, die „K.B.W.“], rund 60.000 Bände, die sich vor allem der | |
| Erforschung des Nachlebens der Antike widmeten. | |
| Die befinden sich schon lange nicht mehr hier: Im Dezember 1933, vier Jahre | |
| nach Aby Warburgs Tod, wurde sie nach London verschifft, um sie dem Zugriff | |
| der Nationalsozialisten zu entziehen. In Hamburg blieben damals | |
| Archivmaterial von 1.500 Büchern, Broschüren und Zeitschriften und viele | |
| Zeitungsausschnitte zurück. Das Material gilt heute als verschollen. | |
| ## Die Ellipse war für Warburg zentral | |
| Nebenan, im Haus mit der Nummer 114, lebte Warburg mit seiner Familie seit | |
| 1909 und hatte dort neben improvisierten Vortragssälen und Büros auch seine | |
| Bibliothek untergebracht. Die war Anfang der 1920er längst eine etablierte | |
| Institution und eng wurde es auch, also ließ Warburg auf dem Grundstück | |
| nebenan, das er bereits gekauft hatte, einen Neubau errichten, um ihr die | |
| richtige Präsenz zu geben. Am 1. Mai 1926 weihte Ernst Cassirer, damals | |
| Philosophieprofessor an der Uni Hamburg, die nun öffentliche Bibliothek | |
| ein. | |
| Architekt des Hauses war Gerhard Langmaack, den Oberbaudirektor Fritz | |
| Schumacher Warburg empfohlen hatte. Hinter der roten Backsteinfassade liegt | |
| ein rational durchgegliederter Baukörper: Zur Straße hin ein | |
| dreigeschossiger Bürotrakt, ein viergeschossiger Bücherturm dahinter, und | |
| zur Alster hin, bis in den Garten hinein, ein ellipsoider [4][Lese- und | |
| Vortragssaal]. | |
| Die Ellipse war Warburg als Formelement zentral: Das elliptische Oberlicht | |
| soll die kosmologische Freiheitsidee der Renaissance im Bewusstsein halten, | |
| erfährt man auf der Internetseite des Warburg-Hauses, ein Symbol für | |
| wissenschaftliche Freiheit. | |
| Und es steht für eine Welt, die sich zwischen vielen entgegengesetzten | |
| Polen aufspannt: Mythos und Logik, Magie und Mathematik, konkreter Körper | |
| und abstraktes Zeichen, manische Bewegung und melancholische Hemmung – | |
| Warburg litt, so sagt man es heute, an einer bipolaren Störung. | |
| ## Heute beherbergt es verschiedene Archive | |
| Ungewöhnlich war auch die Sortierung der Bücher: In seiner Bibliothek in | |
| guter Nachbarschaft hielt sich Warburg an das Prinzip guter Nachbarschaft: | |
| Nicht streng alphabetisch oder nach Fachgebieten waren die Bücher sortiert, | |
| sondern nach vier Rubriken: „Orientierung“, „Bild“, „Wort“ und „H… | |
| Lange Jahre residierten hier nach Warburg Unternehmen, die Neue Deutsche | |
| Wochenschau Gesellschaft drehte hier die erste „Tagesschau“-Sendung. Seit | |
| 1983 steht das Haus unter Denkmalschutz, 1993 kaufte die Stadt das Gebäude | |
| und ließ es denkmalgerecht renovieren. | |
| Heute ist das Warburg-Haus eine Einrichtung der Aby-Warburg-Stiftung und | |
| der Uni Hamburg. Es beherbergt verschiedene Archive, darunter das | |
| Warburg-Archiv, das sich der Forscherpersönlichkeit Warburgs widmet, und | |
| das Archiv für verfolgte Kunst in Hamburg. | |
| Und geforscht und diskutiert wird auch wieder, ganz im Sinne Warburgs: Das | |
| Haus wird als interdisziplinäres Forum für Kunst- und Kulturwissenschaften | |
| genutzt. Am Mittwoch dieser Woche etwa zeigt das [5][Institut für die | |
| Geschichte der deutschen Juden] den ersten Dokumentarfilm über den | |
| jüdischen Maler Moritz Daniel Oppenheim. Kommende Woche laden das Zentrum | |
| Gender & Diversity und das Hamburg Institute for Advanced Study zum | |
| Kolloquium über aktuelle Forschungsansätze zum Thema „affektive | |
| Männlichkeiten“. | |
| Infos: [6][http://www.warburg-haus.de] | |
| 8 May 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Bilderatlas-Ausstellung-in-Hamburg/!5795042 | |
| [2] /Kulturwissenschaftler-Aby-Warburg/!5342558 | |
| [3] http://www.warburg-haus.de/kulturwissenschaftliche-bibliothek-warburg/ | |
| [4] http://www.warburg-haus.de/wp-content/uploads/kbw-historie/033_Slider_KBW_N… | |
| [5] http://www.warburg-haus.de/events/ | |
| [6] http://www.warburg-haus.de | |
| ## AUTOREN | |
| Robert Matthies | |
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