# taz.de -- Buch über Künstlerin Mary Warburg: Im Schatten des Gatten | |
> Alle reden über den Kunsthistoriker Aby Warburg, nur wenige über seine | |
> Frau Mary Warburg. Nun erscheint eine Monografie über die Künstlerin. | |
Bild: Mary Warburg bei der Arbeit an der Büste von Peter Paul Braden, 1928 | |
„Neulich kam es mit aller Macht über mich, welch großes, großes Glück mir | |
die Kunst gegeben hat.“ Als Mary Hertz im November 1890 diese Zeilen in ihr | |
Tagebuch schrieb, war die Tochter des Hamburger Senators und Kaufmanns | |
Adolph Ferdinand Hertz gerade 25 Jahre alt. | |
[1][Die höhere Tochter aus besserem Hause] hatte es sich in den Kopf | |
gesetzt, Künstlerin zu werden. Im Park der Großeltern hatte das Mädchen zu | |
zeichnen begonnen, nahm nach der Schule Privatunterricht. In einem anderen | |
Eintrag schwärmt die junge Frau von ihrem unstillbaren „Malhunger“. | |
Materiell und psychologisch schien also das Fundament für einen Weg zur | |
Kunst gelegt. Mary verfolgte diesen trotz späterer Ehe und drei Kindern | |
auch immer. Es sollte jedoch Jahrzehnte dauern, bis die Kunstgeschichte sie | |
als Künstlerin eigenen Rechts zu würdigen bereit war. | |
Im April 1985, 51 Jahre nach ihrem Tod im Jahr 1934, zeigte die Hamburger | |
Kunsthalle eine kleine Mary-Warburg-Ausstellung, versteckt im | |
Kupferstichkabinett, gerade einmal zwei Wochen, begleitet von einem kleinen | |
Faltblatt. | |
In der Presse wurde die Schau damals mit den bezeichnenden Worten bedacht, | |
dass sie „dokumentarische Bedeutung für Aby Warburgs Leben hat“. 1897 hatte | |
Mary Hertz nämlich den [2][Kunsthistoriker Aby Warburg], einen | |
Bankierssohn, geheiratet, den sie bei einer Studienreise nach Florenz | |
kennenlernte. | |
An dem Leben und Wirken der Mary Warburg lassen sich exemplarisch die | |
Ausschluss- und Konkurrenzmechanismen nachvollziehen, die die amerikanische | |
Kunsthistorikerin Linda Nochlin in ihrem 1971 erschienenen Text „Why have | |
there been no great women artists?“ skizzierte. | |
Junge Frauen, selbst wenn sie aus großbürgerlichem Hause kamen, durften | |
damals noch keine Kunstakademien besuchen. Nach der Heirat ordnete Mary | |
ihre Kunst zunächst der Ehe, den drei Kindern und dem „Mnemosyne“-Projekt | |
ihres ebenfalls aus großbürgerlichem Hause stammenden Mannes unter. | |
In dem legendären Projekt verfolgte der vermögende Privatgelehrte seine | |
Idee eines Nachlebens der Antike im Bildprogramm von Renaissance und | |
Neuzeit. In vielen Gesprächen diente der „Kamerad“, wie Mary ihren Mann in | |
vielen Briefen nannte, als intellektueller Sparringspartner. Ihre eigene | |
Kunst blieb freilich im Schatten seines Mythos. Zwischen Ehepflichten und | |
den immer wieder unterbrochenen Gehversuchen als Künstlerin kam sie sich | |
vor, als hätte sie „geschnittene Flügel“. | |
## Zwischen Ehe und Stigma | |
Der sozialpsychologische Kontext tat sein Übriges. Um 1900 bemühten | |
männliche Theoretiker das Konstrukt, Frauen könnten nur nachschöpfen, | |
nicht erfinden. Spätestens seit Ernst Guhls 1858 erschienener Monografie | |
„Die Frauen in der Kunstgeschichte“ hatten [3][Künstlerinnen mit dem Stigma | |
der Zweitrangigkeit], des Weichen und Zarten, des Natürlichen und | |
Gewöhnlichen zu kämpfen. | |
Mary Warburg durchlief in ihrer künstlerischen „Karriere“ mehrere Phasen: | |
von der Zeichnung über die Pastellmalerei bis zur Skulptur. Motivisch und | |
von ihrem Aktionsradius verblieb sie aber immer in dem intim-privaten | |
Rahmen, den ihr die Familie setzte. Meist wählte sie Natursujets, schuf | |
Reiseskizzen, Porträts und Büsten enger Freund:innen oder | |
wissenschaftliche Zeichnungen zu den Forschungen ihres Mannes. Zu ihren am | |
häufigsten gewürdigten Werken gehört das Triptychon „Palazzo Potetje“. | |
In dem nach dem Spitznamen ihres Mannes betitelten Zyklus hatte sie die | |
Florenzer Wohnung, in der sie Ende der 1890er Jahre lebten, gezeichnet. Die | |
Leibrente, die der aus der väterlichen Bank ausgestiegene Warburg von | |
seiner Familie bezog, machte es möglich. Man sieht die beiden abends traut | |
in der „Amüsierecke“ oder den Forscher im tadellosen Anzug, den Kopf in die | |
Hand gestützt, am Sekretär sitzen. | |
Obwohl sie durchgehend künstlerisch arbeitete, wurde Mary Warburg von ihrer | |
Umwelt eher als eine Art begabte Dilettantin wahrgenommen. Ihr eigener | |
Bruder gab ihr nach ihrem Krebstod im Dezember 1934 mit ins Grab, ihre | |
Kunst sei „wirklich von innen“ gekommen, vieles jedoch „ungelöst“ | |
geblieben. | |
## Mehr Sichtbarkeit fürs weibliche Kunstschaffen | |
Wirklich Anerkennung fand einzig die Totenbüste ihres Mannes, die sie nach | |
dessen überraschendem Tod 1929, kurz vor der Emigration nach London, | |
fertigte. Doch kaum jemand erwähnte je, dass das Werk, das bis heute das | |
Nach-Bild Warburgs als asketische Geistesgröße prägt, von ihr stammt. Heute | |
steht es auf einem Sockel des Künstlers Franz Erhard Walther im Hamburger | |
Warburg-Haus. | |
Mary Warburg mag vielleicht keine von den „großen“ Künstlerin gewesen sei… | |
nach denen Lynda Nochlin gesucht hatte. Doch in ihrer verdienstvollen | |
Monografie arbeiten Bärbel Hedinger, ehemals Direktorin des Altonaer | |
Museums, und der Warburg-Forscher Michael Diers nicht nur die Kontinuität | |
weiblichen Kunstschaffens gegen die Widrigkeiten des patriarchalen | |
Kontextes im ausgehenden Fin de Siècle heraus. | |
Sie heben auch ein übersehenes Œuvre in die Sichtbarkeit. Obwohl viele | |
Werke verloren gingen, umfasst ihr erstmals publiziertes Werkverzeichnis | |
fast 900 Positionen. Vor allem befreien sie Mary Warburg von der | |
herablassenden Wertung, eine Art Hobby-Künstlerin gewesen zu sein, nur weil | |
sie ihrem gemäßigten Realismus treu blieb und nicht der heraufziehenden | |
Avantgarde von Cézanne bis Picasso nacheiferte. Sie wollte, schrieb sie | |
1890 in ihrem Tagebuch, einfach „etwas Ordentliches in der Kunst leisten“. | |
14 Dec 2020 | |
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## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
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