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# taz.de -- Kulturwissenschaftler Aby Warburg: Die Spannung der Gegensätze
> Im Warburg-Haus lebt der Geist des Hamburger Bankierssohns und
> Kulturwissenschaftlers Aby Warburg weiter. Der wäre in diesem Jahr 150
> Jahre alt geworden.
Bild: Herzstück des Warburg-Hauses: Der elliptische Lesesaal.
Hamburg taz | Dass da zwischen den Gründerzeitbauten und Jugendstilvillen
plötzlich ein Klinkerbau stand, damit konnten die Leute im
Hamburg-Eppendorf der 1920er-Jahre gerade noch leben. Aber dass der
elliptische Lesesaal an der Rückseite des Gebäudes bedrohlich nah an die
Ufer des Alsterarmes reichte, sorgte doch für einen gewissen Unmut. „Über
sein Aussehen von hinten wird ‚gerüttelt‘. Aber wer ist von hinten wirklich
schön?“, schrieb Aby Warburg 1926 unbekümmert-pragmatisch an seine Brüder.
Für den jüdischen Bankierssohn, Kunsthistoriker und Mitbegründer der
Kulturwissenschaften zählte bei aller architektonischer Durchdachtheit und
Finesse vor allem die Funktionalität, die der Kulturwissenschaftlichen
Bibliothek dienen sollte – und ihren Besuchern.
Schon früh begeisterte sich der vor 150 Jahren geborene Aby – eigentlich
Abraham – mehr für die Forschung als fürs Bankwesen: Als 13-Jähriger trat
er seinem Bruder Max das Erstgeborenenrecht ab unter der Bedingung, dass
dieser ihm sein Leben lang alle Bücher kaufen würde, die er, Aby, haben
wollte. Diesem Handel ist die Entstehung der Kulturwissenschaftlichen
Bibliothek zu verdanken, die heute ein Ort des interdisziplinären
Austausches ist und noch stärker werden soll.
## Die Bibliothek sollte Abys Genesung dienen
Dabei hatten die Brüder die Bibliothek ursprünglich zur Heilung des
seelisch und körperlich fragilen Aby initiiert. Warburg war unter den
Bedrohungen des Ersten Weltkrieges und den ökonomischen und sozialen
Problemen der Nachkriegszeit zusammengebrochen. Zwei Jahre, von 1921 bis
1923, verbrachte er im Sanatorium Bellevue in Kreuzlingen.
Die Forschung und seine unbändige Neugier, die von antiker Kunst über
fremde Kulturen bis zu Briefmarken und Werbeplakaten reichte und sich auf
alles erstreckte, was bildhaft war: All dies war immer wieder der Motor,
sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf der Depression zu ziehen. Entlassen
wurde Warburg, als er vor Ärzten und Patienten einen Vortrag über das
Schlangenritual der Hopi-Indianer hielt.
1926 wurde dann die Kulturwissenschaftliche Bibliothek in der Heilwigstraße
116 eingeweiht, direkt neben seinem Wohnhaus, Nummer 114; beide waren durch
einen Durchgang verbunden. Bei der Konzipierung des Hauses arbeitete
Warburg eng mit dem Architekten Gerhard Langmaack zusammen, den ihm Fritz
Schumacher empfohlen hatte, selbst einflussreicher Architekt und viele
Jahre lang Hamburgs Oberbaudirektor.
In der Bauweise der Bibliothek spiegeln sich sowohl Warburgs theatralisches
Gemüt als auch sein Bewusstsein um das Erbe der Ökonomendynastie und ihrem
Sinn für Effizienz wider: Vier säulenähnliche Vorsprünge zieren die Front
des Hauses, eine Anlehnung an die tempelartige Architektur vieler
Bankhäuser jener Zeit. Dazwischen wurden die Buchstaben K – B – W gesetzt,
für „Kulturwissenschaftliche Bibliothek“.
Den Eingang flankieren zwei Lichtstelen, von Warburg als „Leuchtfeuer der
Aufklärung“ inszeniert. Und damit jeder gleich wusste, worum es in der KBW
ging, ließ er über der Tür zum Eingangsfoyer in griechischen Buchstaben das
Wort „Mnemosyne“ ein, womit er sein großes Forschungsthema bezeichnete: das
Nachleben der Antike in der europäischen Kultur.
Einen Bestand von 120.000 Bänden sollte die Bibliothek fassen können. Um
ausreichend Platz zu schaffen, ließ Warburg das Haus quasi halbieren: In
der Vorderhälfte, wo die Büros untergebracht lagen, gab es drei Stockwerke,
das Archiv selbst hatte vier Stockwerke mit tiefergezogenen Decken.
Das Herzstück des Warburg-Hauses aber war und ist der elliptische Lesesaal,
dessen Ovaloid an der Decke für die Spannung zwischen zwei Polen stand, für
Warburg das Sinnbild wissenschaftlichen Denkens. Dort wurde studiert, es
wurden aber auch Vorträge gehalten und der interdisziplinäre Austausch
gepflegt, den Warburg so konsequent wie wenige andere Wissenschaftler
seiner Zeit kultivierte. Er selbst hatte ein massives Schreibproblem:
Wissenschaftliche Veröffentlichungen hinterließ er kaum. Dafür war er ein
mitreißender Redner, der die Besucher seiner langen Vorträge manchmal an
die Grenzen der Belastbarkeit brachte.
## Wer ein Buch bestellte, bekam benachbarte mitgeliefert
Wenn aber studiert wurde, dann sollte das mit der größtmöglichen Ruhe und
Effizienz geschehen: Im „Denkraum der Besonnenheit“ sollten keine
quietschenden Bücherwagen die Studien stören. Daher erfand Warburg ein
ausgeklügeltes System aus zwei Bücherfahrstühlen und 28 Telefonen, mit
denen die Bibliotheksbesucher sich die gewünschten Exemplare von den
Angestellten des Hauses liefern ließen. Geordnet wurde nicht alphabetisch
oder chronologisch, sondern nach dem „Prinzip der guten Nachbarschaft“: Wer
ein Buch bestellte, bekam weitere Bücher mitgeliefert, die ihn
wahrscheinlich auch interessieren würden.
Warburg selbst konnte seine Bibliothek nur kurz nutzen: 1929 starb er an
einem Herzinfarkt. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde die
Kulturwissenschaftliche Bibliothek in der Heilwigstraße aufgelöst:
Vorausschauend ließ man die 60.000 Bände 1933 nach London bringen, wo heute
das Warburg Institute einen Bestand von 320.000 Bänden zählt.
Danach geriet der Geist der KBW über 60 Jahre lang in Vergessenheit. Der
Käufer der Häuser in der Heilwigstraße nutzte das Wohnhaus und vermietete
die Nummer 116 an Werbefirmen oder die Neue Deutsche Wochenschau
Gesellschaft mbh, die im Keller dann die erste „Tagesschau“ produzierte. In
den Lesesaal kamen zusätzliche Decken, vom ursprünglichen Zustand war
nichts mehr zu erkennen.
Dass das Warburg-Haus rekonstruiert und wieder zu einem Ort der
Wissenschaft wurde, ist vor allem Martin Warnke zu verdanken: Den berief
1978 die Hamburger Universität zum Professor für Kunstgeschichte. Durch ein
hektografiertes Zettelchen einer Volontärin am Denkmalamt wurde er auf das
Warburg-Haus aufmerksam und setzte sich mit seinen Kollegen Horst Bredekamp
und Klaus Herding dafür ein, es wieder zu errichten
„Ich habe damals zur Warburg-Propaganda eine große Tagung gemacht, und
Klaus von Dohnanyi, der ja durchaus Sinn fürs Intellektuelle hatte, fing
Feuer“, erinnert sich Warnke an einen ehemaligen SPD-Bürgermeister. Die
Stadt Hamburg kaufte das Haus, Gertrud und Jan Philipp Reemtsma sowie die
Mäzene Rita und Hans Reimer wurden Gründungsstifter.
## Sogar Detailzeichnungen waren erhalten
„Unser großes Glück war, dass der Sohn des Architekten noch lebte“, sagt
Warnke. „Der hatte alle Zeichnungen des Vaters bis in die Profile der
Holzstücke hinein aufbewahrt, sodass wir das Haus wortwörtlich
wiederherstellen konnten.“ Auch Warburg hatte als Archivar ganze Arbeit
geleistet: Um seinen Brüdern den Baufortschritt zu dokumentieren, ließ er
zahlreiche Fotografien machen. Seinem Tagebuch entnahmen die akribisch
recherchierenden Forscher, dass der Boden „jaspisgrün“ gewesen sein musste.
1995 wurde das [1][Warburg-Haus] wiedereröffnet, neben der Bibliothek zur
politischen Ikonografie und den Veranstaltungen im Lesesaal beherbergt das
Haus nun auch die jährlich wechselnde Warburg-Professur.
Seit 2015 hat sich das Haus mit einem dreiköpfigen Direktorium neu
aufgestellt: Der Kunsthistoriker Uwe Fleckner, die Philosophin Birgit Recki
und die Germanistin Cornelia Zumbusch, Professoren allesamt, wollen es
wieder stärker öffnen, zum Dialog einladen. „Warburg lebt“ heißt
konsequenterweise die derzeit laufende Veranstaltungsreihe zum 150.
Gründer-Geburtstag.
„Warburg selber war ja jemand, der im Gespräch Dinge produzieren konnte,
die er schriftlich nicht produzieren konnte. Die Lebendigkeit dieses Hauses
liegt in seinem Raum für Austausch“, sagt die Germanistin Zumbusch. Sie
plant ein Programm mit mindestens einem Vortrag pro Monat, das
unterschiedliche Disziplinen zu Wort kommen lässt; ganz im
interdisziplinären Sinne Warburgs.
Als zentrales Thema hat man „Latenz“ gesetzt, „als Neuformulierung eines
Ur-Warburg’schen Problems“, so Zumbusch: „Wie passiert es, dass Bilder in
Vergessenheit geraten, und wie wirken sie unterschwellig weiter?“ Was
Warburg einst „Mnemosyne“ oder „kulturelles Gedächtnis“ genannt habe, …
ja ein höchst aktuelles Thema: „Die Welt verändert sich rasant und immer
schneller, und man fragt sich: Was passiert mit dem, was vorher war? Das
heißt ja auch letztlich: Wie denken wir Fortschritt?“
Nächster Jubiläumsvortrag: Di, 18. Oktober, 19 Uhr
8 Oct 2016
## LINKS
[1] http://www.warburg-haus.de
## AUTOREN
Hanna Klimpe
## TAGS
Kulturwissenschaft
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