| # taz.de -- 150. Geburtstag von Mary Warburg: Erst Künstlerin, dann Vergessene | |
| > Viele kennen sie nur als Ehefrau des Historikers Aby Warburg. Kein | |
| > Wunder: Die Künstlerin Mary Warburg war bescheiden. Zeit, das zu ändern. | |
| Bild: Eines ihrer Werke: „Seelandschaft“ | |
| Unter ihrem Mädchennamen ist die Künstlerin Mary Hertz weitgehend | |
| unbekannt, unter ihrem Ehenamen Mary Warburg ist sie zumindest durch ein | |
| einzelnes Werk in Erinnerung geblieben. Dabei handelt es sich, kaum | |
| zufällig, um die Büste ihres Mannes, des heute wieder allseits gerühmten | |
| Kunst- und Kulturhistorikers Aby Warburg, der 1929 verstorben ist. | |
| Bald nach dessen Tod geschaffen, hat dieses Bildnis der Künstlerin | |
| zumindest ein bescheidenes Nachleben gesichert. Aber selbst in der | |
| Aby-Warburg-Literatur vergisst man gelegentlich, ihren Namen als Urheberin | |
| in der Bildunterschrift zu erwähnen. Das ist vielleicht kaum verwunderlich | |
| in einer lange Zeit fast vollständig von Männern dominierten | |
| wissenschaftlichen Welt, aber völlig unangemessen und ungerechtfertigt im | |
| Blick auf das ungemein vielseitige Schaffen einer Künstlerin, die sich | |
| bereits mit 16 Jahren für die Kunst entschieden hatte und diesen Weg als | |
| Tochter aus höchst angesehenem hanseatischen Haus – ihr Vater war Reeder | |
| und Senator in Hamburg – auch konsequent und mit Erfolg gegangen ist. | |
| Konkret hieß dies in den 1880er Jahren, als es noch keine Akademie in | |
| Hamburg gab (und wenn es sie gegeben hätte, wäre sie ihr als Frau nicht | |
| zugänglich gewesen), privaten Mal- und Zeichenunterricht bei ortsansässigen | |
| Künstlern zu nehmen. Das waren damals regional prominente Fachvertreter, | |
| aber keine Berühmtheiten. Hinzu kamen als weitere wichtige | |
| Ausbildungsstationen zahlreiche Touren ins europäische Ausland, die sie an | |
| der Seite ihres Vaters unternommen hat. Auf diesen Reisen füllte sie ein | |
| Skizzenbuch nach dem anderen. Neben Pastellen und Aquarellen – insbesondere | |
| Landschaften und Porträts – kam bald auch die Plastik ins Spiel, und es | |
| entstanden Kleinskulpturen aus Gips, Porzellan und Bronze. | |
| Mit 30 Jahren war sie schließlich eine bereits erfolgreiche, vom | |
| Symbolismus und Jugendstil inspirierte Künstlerin mit eigenem Atelier, die | |
| Illustrationsaufträge für Plakate und Bücher erhielt, ihre große Familie | |
| immer wieder mit Werken bedachte und überraschte und deren Œuvre in | |
| bescheidenem Umfang auch in die öffentlichen Sammlungen Einzug hielt. | |
| ## Dann: Hausfrau und Mutter | |
| Wer sich heute auf die Suche nach ihrem Schaffen begibt, stößt rasch auf | |
| den Nachlass, der seit den achtziger Jahren im Depot der Hamburger | |
| Kunsthalle verwahrt wird, sowie auf das Konvolut ihrer Briefe und | |
| Aufzeichnungen, das im Londoner Warburg Institute archiviert ist. Forscht | |
| man darüber hinaus weiter nach Werken und Daten im Kreis ihrer Familie im | |
| In- und Ausland, so erhält man rasch ein facettenreiches Bild ihrer | |
| vielseitigen Kunst. | |
| Dass dieses Œuvre fast vollständig vergessen – oder sollte man besser | |
| sagen: vernachlässigt – ist, hat diverse Ursachen. Zum einen hat Mary | |
| Warburg zeitlebens nie viel Aufhebens von ihrer Arbeit gemacht. Nachdem sie | |
| bereits als junges Mädchen in Florenz den gleichaltrigen Studenten der | |
| Kunstgeschichte Aby Warburg, ebenfalls aus Hamburg, gleichfalls aus bestem | |
| Haus, kennengelernt hatte, erlebte das Paar, das sich fast ein Jahrzehnt | |
| lang nicht öffentlich zu verloben, geschweige denn zu heiraten traute, weil | |
| der eine Partner aus einem protestantischen und der andere aus einem | |
| jüdischen Elternhaus stammte, eine nachdrückliche Zeit wechselseitiger | |
| Inspiration und intensiven (Brief-)Austauschs in Sachen Bildung, Kunst und | |
| Geschichte. | |
| Mary hat ihren Freund mit der Kunst der Gegenwart in Hamburg bekannt | |
| gemacht, Aby seiner Vertrauten die Kunst der Renaissance erläutert. Die | |
| Künstlerin und der Kunsthistoriker in bestem wechselseitigem Verbund und | |
| Einverständnis. Diese Symbiose war so gut wie unverbrüchlich, hat aber, so | |
| könnte man sagen, sehr verschiedene Aggregatzustände durchlaufen. | |
| Mit der Eheschließung 1897 und den drei in rascher Folge zur Welt | |
| gebrachten Kindern war Mary als Hausfrau und Mutter jahrelang fast | |
| vollständig in Anspruch genommen. Ihr Atelier hat sie allerdings nie | |
| aufgegeben, vielmehr ihre künstlerische Arbeit den neuen Lebensbedingungen | |
| immer wieder angepasst, indem sie sich jetzt zum Beispiel bevorzugt ihre | |
| Kinder als Modell für Zeichnungen und Plastiken gewählt hat. Auch der | |
| Karriere ihres Mannes hat sie sich nachdrücklich verpflichtet gefühlt und | |
| ihm als engagierte Hilfs- und Schreibkraft, aber insbesondere auch als | |
| ermunternde Psychologin zur Seite gestanden. | |
| ## In die Emigration gezwungen | |
| Mit dem wachsenden beruflichen Renommee ihres Mannes und dem Auf- und | |
| Ausbau seiner großen Forschungsbibliothek rückte die eigene künstlerische | |
| Existenz in der allgemeinen Wahrnehmung immer weiter in den Hintergrund, | |
| wurde aber kontinuierlich fortgeführt. | |
| Auch im Neubau der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek besaß sie im | |
| Dachgeschoss ihr eigenes Atelier. Als sie im Dezember 1934 mit 67 Jahren | |
| starb, hatte sie anlässlich der NS-Machtergreifung im Jahr zuvor noch mit | |
| ansehen müssen, wie das Lebenswerk ihres Mannes, an dem sie selbst größten | |
| Anteil hatte, in die Emigration gezwungen worden war. | |
| Über diese einschneidenden historischen Ereignisse geriet ihr Schaffen | |
| schließlich vollständig in Vergessenheit und auch die diversen | |
| Aby-Warburg-Renaissancen seit 1970 haben es kaum wieder sichtbar werden | |
| lassen. Vor allem die Familie hielt ihr verstreutes Werk in Ehren. Zu | |
| entdecken ist heute eine Künstlerin, deren Œuvre 150 Pastelle, Aquarelle | |
| und Zeichnungen, 15 Skizzenbücher mit mehreren hundert Darstellungen, 60 | |
| Plastiken und darüber hinaus Buchschmuck und Gebrauchsgrafik umfasst. | |
| So weit statistisch die erstaunliche Quantität. Wichtiger jedoch ist die | |
| beeindruckende Qualität. Ein im Entstehen begriffenes Werkverzeichnis wird | |
| davon demnächst beredt und reich illustriert Zeugnis ablegen. Vorerst sei | |
| an ihren Geburtstag am 13. Oktober 1866 erinnert. | |
| 13 Oct 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Bärbel Hedinger | |
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