# taz.de -- Gemeinschaftstaxis im Realitätstest: Aufs eigene Auto verzichten | |
> Ruf-Kleinbusse können ein Beitrag zur Mobilitätswende sein. Aber nur, | |
> wenn die Politik gleichzeitig das Autofahren unattraktiver macht. | |
Bild: Ein Moia-Kleinbus im Hamburger Stadtverkehr | |
Sie tragen Namen wie Berlkönig oder Moia und sind eine Mischung aus Taxi | |
und öffentlichem Nahverkehr. In etlichen Orten gibt es mittlerweile ein | |
Angebot von digital vernetzten Ruf-Kleinbussen, in denen Fahrgäste mit | |
unterschiedlichen Zielen einen Teil des Wegs gemeinsam zurücklegen. | |
[1][Ridepooling] nennt sich das. Mobilitätswissenschaftler:innen | |
untersuchen, ob die Angebote sinnvoll sind – oder ob sie für noch vollere | |
Straßen sorgen. | |
Angesichts des fortschreitenden Klimawandels geht es natürlich um mehr als | |
nur Stauvermeidung: Der Verkehrssektor ist mit rund 20 Prozent CO2-Austoß | |
der drittgrößte Verursacher von Treibhausgasemissionen in Deutschland. | |
Daran ist zu über 90 Prozent der [2][Straßenverkehr schuld]. | |
Beim Ridepooling buchen mehrere Nutzer:innen eine Fahrt in einem – in | |
der Regel – Elektrokleinbus per App und zahlen digital. Ein Algorithmus | |
berechnet, wer wo zusteigt, außerdem die Fahrroute und den Preis. Pooling | |
bedeutet bündeln: Durch das Sammeln mehrerer Fahrten entfallen Wege mit dem | |
Pkw, das ist zumindest die Idee. Wird das tatsächlich erreicht, ist | |
Ridepooling ein Beitrag zur Verkehrswende – der Abkehr von der Dominanz des | |
individuellen Autofahrens hin zu einer nachhaltigen Mobilität. Ersetzt es | |
aber lediglich Fahrten mit Bus oder Bahn oder fahren die Sammeltaxis leer | |
herum, ist das nicht sinnvoll. | |
In rund 40 deutschen Städten gibt es mittlerweile ein Ridepooling-Angebot, | |
sagt Mobilitätsforscher Thorsten Koska vom Wuppertal Institut für Klima, | |
Umwelt, Energie. Er wertet im Auftrag der Landesregierung und des | |
„Zukunftsnetzes Mobilität NRW“ zehn Modellvorhaben zum innovativen | |
öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) im ländlichen Raum aus. | |
Kommunen in NRW konnten sich 2020 für die Teilnahme bewerben, die | |
Ergebnisse sollen 2024 vorliegen. Die meisten Projekte haben ein | |
Ridepooling-Angebot, etwa die Stadt Gütersloh das „Shuttle“ oder die | |
Gemeinde Roetgen bei Aachen den „Netliner“. Auch in Großstädten gibt es | |
Rufbusse, in Berlin etwa den „Berlkönig“, in Hamburg „Moia“. | |
## Eine Lücke schließen | |
„Ob Ridepooling einen [3][Beitrag zur Verkehrswende] leistet, hängt von den | |
Rahmenbedingungen ab“, sagt Koska. „Ich bin optimistisch, dass diese | |
Rahmenbedingungen geschaffen werden.“ Ruf-Sammelbusse können nach seiner | |
Einschätzung eine Lücke schließen, die Zu-Fuß-Gehen, Radfahren, Bus und | |
Bahn sowie Mietangebote, etwa für Räder oder Scooter, bisher lassen. Vor | |
allem in Randlagen von Städten oder in ländlichen Regionen könne | |
Ridepooling sinnvoll sein, um Fahrzeiten zu verkürzen – oder überhaupt ohne | |
Auto oder Taxi ans Ziel zu kommen. | |
Rufbusse können Bürger:innen erstmals mit dem öffentlichen Verkehr in | |
Kontakt bringen. Vergangenen Herbst hat Koska 347 Fahrgäste des „Shuttles“ | |
in Gütersloh befragt. 40 Prozent davon hatten zuvor nie oder fast nie den | |
ÖPNV genutzt, berichtet er. Die drei wichtigsten Gründe für die Befragten, | |
Ridepooling zu buchen, waren die schnelle Verbindung, geringe Kosten und | |
die gute Verfügbarkeit. | |
„Das System wird überwiegend für Freizeitwege genutzt“, sagt er. 36 Proze… | |
hätten ohne Shuttle das Auto genommen, andere Bus, Bahn, Rad oder Taxis. | |
„Es gibt viele Möglichkeiten, Ridepooling mit dem öffentlichen Nahverkehr | |
zu kombinieren“, sagt Koska. „Wird beides klug verbunden, kann Ridepooling | |
die Verkehrswende unterstützen, weil es Menschen ermöglicht, auf ein | |
eigenes Auto zu verzichten.“ | |
Damit ist es allerdings nicht getan. „Autofahren muss unattraktiver | |
werden“, fordert Koska. Maßnahmen etwa zur Stärkung von Fußgänger:innen, | |
Radler:innen und dem ÖPNV würden nicht oder viel zu langsam umgesetzt. | |
Wissenschaftler:innen des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) | |
sind ebenfalls zum Ergebnis gekommen, dass Ridepooling ein Beitrag zur | |
Verkehrswende sein kann, wenn zugleich Autofahren unattraktiver wird. | |
„Ridepooling kann ein Baustein für die Verkehrswende sein, aber nicht | |
alleine“, sagt Martin Kagerbauer vom Institut für Verkehrswesen am KIT, der | |
in Rufbussen eine Art „individuelles öffentliches Verkehrsmittel“ sieht. | |
## Der Schlüssel zum Erfolg | |
„Wir müssen zuerst sinnvolle und gute Alternativen anbieten und im zweiten | |
Schritt regulatorische Maßnahmen gegen Pkw ergreifen“, sagt er. Sonst sei | |
es schwer, die nötige Akzeptanz für Änderungen zu erreichen, fürchtet der | |
Verkehrsforscher. Und: Haben Bürger:innen die Gelegenheit, einfach mal | |
was Neues auszuprobieren, sind sie offener dafür. „Die Menschen müssen die | |
verschiedenen Optionen kennen, nutzen und verstehen“, sagt er. „Das ist der | |
Schlüssel zum Erfolg: etwas ausprobieren zu können in einem Reallabor.“ | |
Kagerbauer und sein Team haben in Zusammenarbeit mit der TU München zwei | |
Jahre lang untersucht, welche Auswirkungen der Shuttleservice von Moia in | |
Hamburg hat. Moia ist ein Angebot des Autobauers Volkswagen. Die | |
Elektrokleinbusse haben Platz für sechs Mitfahrer:innen, in der Coronakrise | |
ist die Anzahl auf fünf begrenzt. | |
Befragungen zufolge nutzen Fahrgäste den Service vor allem als Ersatz für | |
fehlende öffentliche Nahverkehrsverbindungen, weil sie mit anderen zusammen | |
fahren wollen, die Fahrt mit dem eigenen Auto nicht möglich oder das Wetter | |
schlecht ist. Die Auslastung liegt bisher im Schnitt bei 1,33 | |
Nutzer:innen pro Fahrt. „Dabei haben wir auch die Leerfahrten vom und | |
zum Depot mitberechnet“, sagt Kagerbauer. | |
Die Wissenschaftler:innen haben einen sogenannten Mixed-Method-Ansatz | |
genutzt. Zunächst führten sie eine Online-Erhebung mit 12.000 Teilnehmenden | |
durch, um das Verhalten von Nutzenden und Nichtnutzenden vergleichen zu | |
können. Darüber hinaus arbeiten sie mit dem von ihnen entwickelten | |
Simulations-Tool mobiTopp. „Damit können wir in die Zukunft schauen und | |
sehen, was neue Angebote bringen“, sagt Kagerbauer. Für die Simulation | |
wurden unter anderem Daten der Wege und Aktivitäten von 4 Millionen | |
Menschen in Hamburg und Umgebung plus Besucher:innen erhoben. | |
Ihr Ergebnis: Bei einer flächendeckenden Verfügbarkeit von autonom | |
fahrenden Ridepooling-Angeboten, einem gut ausgebauten öffentlichen | |
Nahverkehr und gleichzeitigen Einschränkungen für Pkws ließe sich der | |
Autoverkehr in Hamburg um 8 Prozent reduzieren. Bei den Berechnungen sind | |
die Forscher:innen davon ausgegangen, dass sich die Fahrtzeiten für | |
Autos etwa durch Parkplatzabbau oder Streckensperrungen um 50 Prozent | |
verlängern. | |
Autonomes Fahren ist dabei keine Utopie: Pilotprojekte laufen bereits, bis | |
2025 will Moia ein entsprechendes Fahrsystem entwickeln. „Der Rückgang der | |
Fahrzeugkilometer um etwa 15 Millionen Kilometer pro Woche wäre | |
beachtlich“, sagt Kagerbauer. Die Simulation berücksichtigt den ganzen | |
Baukasten der Verkehrswende, also auch Carsharing, Fahrrad- und | |
E-Scooter-Leihangebote. | |
Kritiker:innen fürchteten, dass durch das neue Angebot Fahrgäste aus | |
dem ÖPNV umsteigen würden. Das hat sich den Wissenschaftler:innen | |
zufolge nicht bestätigt. | |
## Auch der öffentliche Nahverkehr profitiert | |
„Wenn neue Verkehrsmittel hinzukommen, werden zwar Wege von den bereits | |
vorhandenen Verkehrsmitteln auf das neue Mobilitätsangebot verlagert, aber | |
durch den sogenannten Toureneffekt und die bessere Erreichbarkeit von | |
Haltestellen profitiert der öffentliche Verkehr durch Ridepooling“, sagt | |
Gabriel Wilkes, der ebenfalls am Institut für Verkehrswesen des KIT | |
forscht. Fahre jemand von zu Hause ins Kino und zurück, werde auf dieser | |
Tour mit zwei Wegen oft nur einer mit Ridepooling zurückgelegt, der andere | |
fast immer per öffentlichem Nahverkehr. Insgesamt ergäben sich für diesen | |
somit positive Effekte. | |
Eine Untersuchung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung | |
stellt Ridepooling ebenfalls ein positives Zeugnis aus. Das | |
Verkehrsforschungsteam um Andreas Knie und Lisa Ruhrort hat Daten des | |
Mobilitätsdienstleisters CleverShuttle von 2019 aus Berlin, Leipzig, | |
München und Dresden analysiert und rund 3.500 Nutzer:innen befragt. | |
„Solche Angebote sind eine sinnvolle Ergänzung zu Bussen und Bahnen“, hei�… | |
es in der Studie. Genutzt wurde das Ridepooling vor allem in den Abend- und | |
Nachtstunden. Etwa die Hälfte der Nutzer:innen wäre zwar sonst Bus oder | |
Bahn gefahren, aber rund 10 Prozent hätten den privaten Pkw gestartet. | |
17 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /BVG-Ridepooling/!5583388 | |
[2] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/klimaschonender-v… | |
[3] /Wie-Klimaschutz-im-Verkehr-funktioniert/!5791014 | |
## AUTOREN | |
Anja Krüger | |
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