| # taz.de -- Brückenenergie und Erneuerbare: Einfach nur Glück gehabt | |
| > Die Erderwärmung ist eine Gefahr für unser Überleben – die atomare | |
| > Vernichtung nicht weniger. Lieber gleich komplett umsteigen, als auf AKWs | |
| > setzen. | |
| Bild: Lieber gleich Deckel zu, als Atomkraft nachhaltig zu labeln | |
| Was die taz-Autorin Silke Mertins am 13. Januar [1][„Tabuthema Atomkraft“] | |
| nennt, ist in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und in der ARD schon | |
| lange und in den letzten Monaten auch in der Welt, im Spiegel und der | |
| Süddeutschen Zeitung diskutiert worden. Ein „großes Tabu“, wie die Kolleg… | |
| meint, ist die Frage nicht. | |
| „Wenn die Erderwärmung die größte politische Krise unserer Zeit ist, von | |
| deren Lösung das Überleben der Menschheit abhängt“, so schreibt sie, „wie | |
| kann es dann sein, dass die klimaschädlichen Kohlekraftwerke nicht zuerst | |
| abgeschaltet werden?“ Gemeint ist: erst Kohlekraft und dann AKWs | |
| abschalten. Also längere Laufzeiten der noch drei deutschen AKWs, die zum | |
| Jahresende 2022 vom Netz sollen. | |
| Silke Mertins überschätzt – wie viele Journalisten oder auch Bill Gates – | |
| die alten Energieträger und unterschätzt die Chancen einer raschen | |
| hundertprozentigen Energieversorgung mit erneuerbaren Energien. Bill Gates | |
| will „[2][kleine, aber sehr sichere Atomkraftwerke]“ verkaufen, hat er | |
| Sandra Maischberger erzählt. | |
| Zumindest über eine Laufzeitverlängerung der deutschen AKWs „müssen wir | |
| reden“, meint jetzt auch die taz-Autorin. Ich tue es als konservativer | |
| Mensch, der bis Tschernobyl für Atomenergie eintrat und für den | |
| „konservativ“ heißt: bewahren, was uns bewahrt. Also saubere Luft, reines | |
| Wasser und fruchtbare, nicht kontaminierte Böden. | |
| Nach Tschernobyl zeigte ich in meinen damaligen „Report“-Sendungen in der | |
| ARD viele Beiträge gegen Atomkraft. Dann lernte ich über den SPD-Politiker | |
| und späteren „Vater“ des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes, [3][Hermann | |
| Scheer], die Vorteile der erneuerbaren Energien kennen und schrieb das Buch | |
| „Die Sonne schickt uns keine Rechnung“, hielt dazu weltweit 3.000 Vorträge | |
| und konnte global über 300 Windräder und Windparks mit einweihen. | |
| ## Kostenlose Geschenke der Natur | |
| Dabei lernte ich die Effizienz und die Chancen der Öko-Energien noch besser | |
| kennen. Sie sind beinahe kostenlose Geschenke der Natur (die alten Energien | |
| werden immer teurer), sie sind umweltfreundlich (die fossilen sind | |
| klimaschädlich und die nuklearen gefährlich und unbezahlbar, wenn die | |
| Folgekosten mit einberechnet werden) und sie sind ewig vorhanden, während | |
| alle fossil-atomaren Energieträger Auslaufmodelle sind. Und es sind | |
| Bürgerenergien, weitgehend unabhängig von Konzerninteressen. | |
| Das stärkt, vertieft und verankert die Demokratie bei den Menschen. Warum | |
| also längere Laufzeiten für deutsche AKWs? Wir haben unbestreitbar bessere | |
| und preiswertere Alternativen. Hierzulande kann heute eine Kilowattstunde | |
| Solarstrom für etwa 3 Cent und in Afrika oder Indien für 1,5 Cent | |
| produziert werden. Die [4][Internationale Agentur für Erneuerbare Energien] | |
| (IRENA) schätzt, dass diese Preise in wenigen Jahren noch mal halbiert | |
| werden. Ein weiterer Vorteil der Erneuerbaren: Solarstrom ist Sozialstrom. | |
| Doch der Umstieg wird halt noch dauern, meint die Kollegin und empfiehlt | |
| längere AKW-Übergangs-Laufzeiten als kleineres Übel. Vom Slogan | |
| „Atomkraft?– nein danke“ zu „Atomkraft? – ja bitte“? Einspruch: Ein… | |
| renommiertesten Solarforscher der Welt und langjähriger Chef des | |
| Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme in Freiburg, Professor Eicke | |
| Weber, hat soeben in meiner Zukunftssendung auf „[5][Transparenz TV]“ | |
| gesagt: | |
| „Der Umstieg auf 100 Prozent erneuerbaren Strom ist bis 2030 in Deutschland | |
| möglich“. Man muss es also nur wollen. Auch Eicke Weber sieht in AKWs eher | |
| einen Teil des Problems als einen Teil der Lösung. Ich halte die aktuelle | |
| Diskussion „Kohle oder Atomkraft?“ für eine Gespenster-Diskussion. Wer | |
| gegen Cholera ist, muss sich doch nicht für die Pest entscheiden. Erst vor | |
| wenigen Wochen hat der neue Eon-Chef, Leonhard Birnbaum, längere Laufzeiten | |
| für AKWs abgelehnt und der Süddeutschen Zeitung gesagt: | |
| „Das Thema Kohleausstieg erledigt sich gerade von selbst“. Wegen der stets | |
| steigenden CO2-Bepreisung. Die einstige Wunderwaffe des deutschen | |
| Wirtschaftswachstums nach 1950, die Kohle, ist preislich nicht mehr | |
| konkurrenzfähig mit den Erneuerbaren. Schon zuvor hatte mir der EnBW-Chef | |
| in einer Diskussion gesagt: „Wir brauchen keine längeren AKW-Laufzeiten. | |
| Erst unter Rot-Grün raus aus der Atomkraft, dann 2010 unter Merkel wieder | |
| rein und kurz nach Fukushima 2011 wieder raus und jetzt wieder rein? | |
| ## Kohleausstieg erledigt sich von selbst | |
| Das ist doch ökonomisch unmöglich. Wir brauchen vor allem | |
| Planungssicherheit“. Wir können davon ausgehen, dass die deutschen | |
| Atomkonzerne an einem finanziellen Harakiri kein Interesse haben. Atomarer | |
| Klimaschutz? Es ist schlauer, gleich komplett umzusteigen. Wir setzen auf | |
| unserem Hausdach in Baden-Baden seit 30 Jahren auf den Fusionsreaktor | |
| Sonne, der uns aus sicherer Entfernung von etwa 150 Millionen Kilometern | |
| preiswert, zuverlässig, sicher und per Speicher mit Strom und zum Teil auch | |
| mit Wärme versorgt. | |
| Es reicht auch noch für kostenloses Fahren mit einem E-Auto. Der | |
| Atomreaktor Sonne schickt uns etwa 15.000-mal mehr Energie als die gesamte | |
| Menschheit heute verbraucht. Es gibt von Natur aus kein Energieproblem, es | |
| gibt nur falsches Energieverhalten und vorgestrige Energiepolitik. Leider | |
| stehen in Deutschland 2022 noch 90 Prozent der Dächer energetisch völlig | |
| umsonst in der Gegend herum. | |
| Die Kollegin hat natürlich recht, dass der komplette Umstieg nicht von | |
| heute auf morgen geht. Doch er ist in 10, spätestens 15 Jahren machbar. Das | |
| traue ich dem neuen Klimaminister [6][Robert Habeck] eher zu als der alten | |
| Groko. Dieses Szenario wird auch gestützt von den Wissenschaftlern des | |
| Wuppertal-Instituts und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. | |
| Habeck bekommt zwar viel Gegenwind, doch er setzt auf die gesamte Symphonie | |
| der Erneuerbaren: Sonne, Wind, Wasserkraft, Bioenergie, Erdwärme sowie | |
| Gezeiten- und Strömungsenergie der Ozeane. So wirds klappen. Die deutsche | |
| Solar- und Energieforschung hat hierfür über Jahrzehnte hervorragende | |
| Arbeit geleistet. | |
| ## Schlag ins Gesicht der Anti-AKW-Bewegung | |
| Silke Mertins meint auch: „Die Klimakiller Kohlekraftwerke länger laufen zu | |
| lassen, während AKWs abgeschaltet werden, ergibt einfach keinen Sinn“. Doch | |
| welchen Sinn macht ein zweiter Ausstieg aus dem zweiten Ausstieg von AKWs? | |
| Zwei gravierende Gegenargumente. Erstens: Wie glaubwürdig wäre noch unser | |
| Jahrzehnte langer Kampf gegen die Gefährlichkeit von Atomkraft, wenn wir | |
| jetzt für eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten kämpfen würden? | |
| Zweitens: Die Autorin übersieht in ihrem Bericht den gefährlichen | |
| Zusammenhang zwischen ziviler und militärischer Nutzung der Atomenergie. | |
| Warum hängt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron noch immer an der | |
| Atomenergie? Weil er für seine Atombombenpolitik den Stoff der AKWs | |
| braucht, genauso wie die acht weiteren Atomwaffenmächte. Solange es noch | |
| ein einziges AKW gibt, wird es Atombomben geben. Und solange es Atombomben | |
| gibt, besteht die Gefahr eines Atomkriegs. | |
| Für mich ist jedes AKW ein Anschlag auf die Schöpfung. Ein AKW emittiert | |
| zwar kein CO2. Doch das Kernproblem der Kernenergie ist die nukleare | |
| Verstrahlung über Zehntausende Jahre oder noch länger. Der US-Atomphysiker | |
| Richard L. Garwin vor dem Nuclear Control Institute in Washington: „Ein | |
| durchschnittliches Atomkraftwerk produziert täglich so viel Radioaktivität | |
| wie vier Hiroshima-Atombomben“. Täglich. | |
| Das hieße für die drei noch länger laufenden deutschen AKWs: so viel | |
| Radioaktivität wie zwölf Hiroshima-Atombomben. Täglich! Auf Einladung der | |
| Stadt Hiroshima habe ich dort zweimal Vorträge zum Thema „Sonne statt Atom“ | |
| gehalten. Der frühere Oberbürgermeister der Stadt sagte mir dabei: „Was in | |
| Europa kaum jemand weiß, ist, dass hier in Südjapan noch 70 Jahre nach den | |
| beiden Atombombenabwürfen jedes Jahr über 3.000 Menschen an den Folgen der | |
| nuklearen Verstrahlung sterben“. | |
| ## Die Weltuntergangsuhr tickt seit 1947 | |
| Inzwischen sind es nahezu eine halbe Million Tote. Hiroshima und Nagasaki | |
| liegen nicht nur hinter uns. Sie liegen auch vor uns. Dasselbe gilt für | |
| Tschernobyl und für Fukushima. Und dann „Atomkraft? Ja bitte“? Wirklich, | |
| liebe Kollegin? Die Klimakatastrophe ist die eine große Gefahr für unser | |
| Überleben. Aber die ebenso große Gefahr, die Gefahr der atomaren | |
| Vernichtung, wegen durchgeknallter Politiker oder wegen eines technischen | |
| Fehlers, dürfen wir nicht verdrängen. | |
| Die sogenannte Weltuntergangsuhr, die von Atomphysikern in den USA seit | |
| 1947 betrieben wird, steht im Januar 2022 auf 100 Sekunden vor zwölf. Der | |
| Realpolitiker Michail Gorbatschow sagt dazu in dem Buch, das wir zusammen | |
| geschrieben haben: „Kommt endlich zur Vernunft“. Und er fügte hinzu: „Wir | |
| haben bisher nur Glück gehabt, dass es nicht zu einem Atomkrieg gekommen | |
| ist“. Wir sollten das atomare Glücksrittertum so rasch wie irgend möglich | |
| beenden. | |
| Dazu passt eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten überhaupt nicht. Atomkraft | |
| ist langfristig die weit größere Gefahr als Kohlekraft, meine ich als Sohn | |
| eines Kohlenhändlers, der sich auch für einen raschen Kohleausstieg | |
| engagiert. Jedes AKW – egal, wo es steht – beinhaltet ein atomares | |
| Restrisiko. „Was ist ein atomares Restrisiko?“, habe ich 1987 in einem | |
| ARD-Interview den Chef der Aufräumarbeiten von Tschernobyl gefragt. | |
| Die Antwort des Atomphysikers, Professor [7][Wladimir Tschernousenko], bis | |
| zum Tschernobyl-GAU ein glühender Anhänger der Atomenergie: „Atomares | |
| Restrisiko ist jenes Risiko, das uns jeden Tag den Rest geben kann. Es gibt | |
| kein einziges absolut sicheres Atomkraftwerk auf der Welt“. Der langjährige | |
| Atomfreund war im havarierten Reaktor verstrahlt worden und starb wenige | |
| Jahre danach an Krebs. Zuvor aber reiste er noch um die Welt und warnte vor | |
| der Atomenergie. Von diesem Atomexperten können wir noch heute viel lernen. | |
| Dieser Text ist Teil einer breiteren Diskussion zu Klimawandel und | |
| Atomkraft. Alle Texte finden Sie [8][hier]. | |
| 22 Jan 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Brueckenenergie-und-Erderwaermung/!5825281 | |
| [2] https://www.forbes.com/sites/scottcarpenter/2020/08/31/bill-gates-nuclear-f… | |
| [3] https://www.hermann-scheer-stiftung.de/?id=4 | |
| [4] https://www.irena.org/ | |
| [5] https://www.youtube.com/watch?v=G3KjkeYhO-U | |
| [6] /Geplante-Klima-Sofortmassnahmen/!5825155 | |
| [7] https://vimeo.com/416854639 | |
| [8] /Debattenreihe-Atomkraft/!t5832255 | |
| ## AUTOREN | |
| Franz Alt | |
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