# taz.de -- Kritik aus Berlin und Wien: Europa streitet um Atomkraft | |
> Die EU-Kommission will Atomkraft und – mit Abstrichen – Erdgas als | |
> klimafreundlich einstufen. Dagegen wehren sich Deutschland und | |
> Österreich. | |
Bild: In Deutschland wurde das AKW Brokdorf zum Ende des Jahres abgeschaltet | |
BRÜSSEL/BERLIN afp | Die EU-Kommission will Atomkraft als [1][grüne | |
Energiequelle] einstufen – und stößt damit auf entschiedenen Widerstand in | |
Deutschland und Österreich. Die Brüsseler Behörde schickte in der | |
Neujahrsnacht einen entsprechenden Verordnungsentwurf zur sogenannten | |
Taxonomie an die Regierungen der 27 EU-Mitgliedstaaten. Insbesondere von | |
grünen Mitgliedern der Bundesregierung erntete er heftige [2][Kritik]. Teil | |
des Streits ist auch die Rolle von Erdgas in der künftigen | |
Energieproduktion. Österreich drohte mit einer Klage. | |
Die nächste Verordnung zur Taxonomie wird seit Monaten mit Spannung | |
erwartet. Die Taxonomie ist eine Art Klassifizierung nachhaltiger | |
Wirtschaftsaktivitäten und kommt einer Einstufung als förderwürdig und | |
einer Empfehlung an Investoren gleich. Die Bewertung von Gas- und | |
Atomenergie ist dabei eine der heikelsten Fragen, deren Beantwortung | |
Brüssel wiederholt aufgeschoben hatte. | |
„Es muss anerkannt werden, dass der fossile Gas- und der Kernenergiesektor | |
zur Dekarbonisierung der Wirtschaft der Union beitragen können“, heißt es | |
nun in dem Brüsseler Entwurfspapier. Konkret schlägt die Kommission vor, | |
dass bis 2045 erteilte Genehmigungen für neue Atomkraftwerke unter die | |
Taxonomieverordnung fallen. | |
Demnach soll der „Bau und sichere Betrieb neuer Kernkraftwerke zur Strom- | |
oder Wärmeerzeugung, auch zur Wasserstofferzeugung, unter Einsatz der | |
besten verfügbaren Technologien“ als nachhaltig und klimafreundlich gelten. | |
Weitere Vorgaben sind etwa für den langfristigen Umgang mit radioaktiven | |
Abfällen vorgesehen. | |
## Für Gas grünes Label bis 2030 | |
Für neue Gasinfrastruktur sollen laut Kommission bis 2030 genehmigte | |
Projekte für das grüne Label infrage kommen. Die Regeln sind hier | |
allerdings strenger, etwa sollen die fraglichen neuen Anlagen stets eine | |
alte, CO2-intensive Anlage ersetzen. Auch soll nachgewiesen werden müssen, | |
dass die geplante Energieproduktion nicht auch mit einer erneuerbaren | |
Energiequelle geleistet werden könnte. | |
Die Kommission leitete mit ihrem Entwurf einen Konsultationsprozess mit den | |
Mitgliedstaaten ein. Die grüne Bundesumweltministerin Steffi Lemke | |
bezeichnete die Pläne gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe als | |
„absolut falsch“. „Eine Zustimmung zu den neuen Vorschlägen der | |
EU-Kommission sehen wir nicht“, erklärte Bundesklimaschutzminister Robert | |
Habeck (Grüne). | |
Vor allem Frankreich dringt mit Nachdruck auf eine Einstufung der Atomkraft | |
als nachhaltig. Auch Polen und weitere östliche Länder, die mit Atomstrom | |
ihre Klimabilanz verbessern wollen, sind dafür. Entschieden dagegen war | |
bislang nur eine Minderheit der EU-Staaten, allen voran Deutschland, | |
Österreich und Luxemburg. | |
## EU-Kommission mit Nacht- und Nebelaktion“ | |
Österreichs grüne Klimaschutzministerin Leonore Gewessler kritisierte: „Die | |
EU-Kommission hat gestern in einer Nacht- und Nebelaktion einen Schritt in | |
Richtung Greenwashing von Atomkraft und fossilem Gas gemacht.“ Österreich | |
habe bereits ein umfassendes Rechtsgutachten einer renommierten | |
Rechtsanwaltskanzlei zur Atomkraft in der Taxonomie in Auftrag gegeben. | |
„Damit im Gepäck werden wir auch nicht davor zurückschrecken, rechtlich | |
gegen die geplante Taxonomieverordnung vorzugehen“, versicherte Gewessler. | |
Die zumindest eingeschränkt positive Bewertung von Erdgas im | |
Kommissionspapier wurde als Entgegenkommen gegenüber den Atomkraft-Gegnern | |
aufgefasst. Insbesondere Deutschland und Österreich sind stark von | |
russischem Erdgas abhängig und wollen dessen Nutzung als | |
Übergangstechnologie hin zur Klimaneutralität weiter fördern. | |
Die neue Bundesregierung hat hier allerdings keine geschlossene Linie. | |
Während SPD-Kanzler Olaf Scholz am Kurs der Vorgängerregierung festhalten | |
will, nannte Habeck die Pläne der EU-Kommission für den Umgang mit Erdgas | |
„fraglich“. Immerhin mache die Kommission in diesem Punkt aber „sehr klar, | |
dass Gas aus fossilen Brennstoffen nur ein Übergang ist und es durch grünen | |
Wasserstoff ersetzt werden muss“. | |
Der nun begonnene Konsultationsprozess mit den EU-Mitgliedstaaten soll rund | |
zwei Wochen dauern. Mitte Januar will die Kommission dann den finalen | |
Vorschlag vorstellen, gegen den der Rat der Mitgliedstaaten und das | |
EU-Parlament jeweils ein Veto einlegen können. | |
Um die Kommissionspläne aufzuhalten, bräuchte es allerdings eine | |
qualifizierte Mehrheit von 20 der 27 Mitgliedstaaten, die zudem für 65 | |
Prozent der EU-Einwohner stehen. Auch im EU-Parlament, wo eine einfache | |
Mehrheit für ein Veto reichen würde, zeichnet sich diese bislang nicht ab. | |
2 Jan 2022 | |
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[1] /EU-will-Atomkraft-auf-gruen-trimmen/!5817392 | |
[2] /Nachhaltigkeits-Standard-der-EU/!5807443 | |
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