# taz.de -- EU-Entwurf zur Taxonomie: Atomstrom als Religion à la Macron | |
> Energiewende mal anders: Frankreichs Präsident setzt sich vehement für | |
> Meiler ein. Die Bevölkerung ist erstaunlicherweise dafür. | |
Bild: 53 Prozent der Franzosen und Französinnen finden Atomkraft gut: Kraftwer… | |
Die Frage, wann der Druckwasserreaktor EPR am Ärmelkanal endlich in Betrieb | |
geht, wird in Frankreich kaum noch gestellt. Denn die Entwicklung auf der | |
Dauerbaustelle im Nordwesten des Landes ist zweitrangig geworden, seit | |
Präsident Emmanuel Macron klar gemacht hat, dass die EPR-Technologie trotz | |
ihrer Pannenserie eine Zukunft hat. Er werde weitere solcher Reaktoren | |
bauen, kündigte der Staatschef in einer Rede bereits im November an. | |
Dazu sollen neue Mini-Reaktoren kommen. „Wir brauchen diese Technologie auf | |
alle Fälle“, versicherte der frühere Wirtschaftsminister, der aus seiner | |
Begeisterung für die Atomkraft nie einen Hehl machte. Deshalb verhandelte | |
Frankreich in den umstrittenen EU-Entwurf zur Taxonomie auch die Kernkraft | |
als „nachhaltig“ hinein. | |
Die Mehrheit der Bevölkerung ist für Atomkraft. Nach Jahren des Zweifels | |
erlebt „le nucléaire“ gerade einen zweiten Frühling. Laut einer Umfrage v… | |
Oktober sind 53 Prozent der Französinnen und Franzosen der Ansicht, dass | |
die Atomkraft eine „gute Sache“ für ihr Land ist. In den 1990er Jahren | |
vertraten weniger als 30 Prozent diese Meinung. Mit einem Atomstromanteil | |
von 70 Prozent ist Frankreich das Land mit der meisten Nuklearenergie in | |
Europa. | |
Das Energiewendegesetz sieht vor, den Anteil der Kernenergie am Strommix | |
bis 2035 auf 50 Prozent herunterzufahren, doch die dazu nötige Schließung | |
eines Teils der 56 Reaktoren ist noch nicht beschlossen. Bisher gingen | |
lediglich die beiden Reaktoren des ältesten Atomkraftwerkes im elsässischen | |
Fessenheim unweit von Freiburg vom Netz. Ihre Abschaltung war zunächst an | |
die Inbetriebnahme von Flamanville geknüpft. Doch der Pannenreaktor, der | |
bereits 2012 Strom produzieren sollte, wird frühestens zum Jahresende | |
fertig. Mit 19 Milliarden Euro ist er zudem sechs Mal so teuer wie einst | |
geplant, da während der Bauarbeiten immer neue Schwächen auftraten. | |
Angesichts der Summen, die in die Atomkraft fließen, wirken Solarenergie | |
und Windkraft wie Stiefkinder der Energiepolitik. Die Erneuerbaren | |
lieferten 2020 gut 19 Prozent zum Energiemix zu. Laut dem französischen | |
Umweltministerium wurden 2018, dem letzten erfassten Jahr, 8,6 Milliarden | |
Euro in „alternative Energien“ investiert. Ein Klacks im Vergleich zu den | |
100 Milliarden Euro, die der ohnehin hoch verschuldete staatliche | |
Stromkonzern EdF für die Renovierung des alternden Atomparks zahlen muss. | |
Frankreichs Anlagen sind durchschnittlich 36 Jahre alt, sodass einige | |
regelmäßig wegen Pannen oder Wartungsarbeiten ausfallen. In den vergangenen | |
Wochen waren bis zu 17 Reaktoren gleichzeitig abgeschaltet. Frankreich | |
musste deshalb mehr Strom – auch aus Deutschland – importieren als üblich. | |
Das Geld, das nach der Brüsseler Einstufung der Atomkraft als „grüne“ | |
Energie nun in die Modernisierung der alten Meiler fließen dürfte, ist | |
deshalb in der Atomindustrie mit ihren 220.000 Beschäftigten | |
hochwillkommen. | |
## Klimaziel verfehlt | |
Der Klimaschutz ist eines der wichtigsten Argumente, mit denen die | |
Regierung für die Atomkraft wirbt. „Die französische Energieproduktion ist | |
eine der CO2-ärmsten der Welt. Warum? Dank der Atomkraft“, rühmte sich | |
Macron immer wieder. Die EU-Klimaziele verfehlt Frankreich allerdings auch | |
mit der Atomkraft. Im Klimaschutzindex der Organisation Germanwatch, der | |
neben dem Treibhausgas-Ausstoß auch die Entwicklung der erneuerbaren | |
Energien und den Energieverbrauch bewertet, landet das Land nur auf einem | |
mittleren Platz. | |
„In Frankreich ist Atomkraft fast eine Religion“, sagt der Aktivist André | |
Hatz, der jahrzehntelang gegen das Atomkraftwerk Fessenheim kämpfte. Fast | |
alle Präsidentschaftskandidatinnen und -kandidaten setzen auf die | |
Weiterentwicklung der Atomkraft. Die Rechtspopulistin Marine Le Pen will im | |
Falle ihrer Wahl sogar so weit gehen, die Windräder abzuschaffen. | |
3 Jan 2022 | |
## AUTOREN | |
Christine Longin | |
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