# taz.de -- EU-Einstufung von Atomkraft und Erdgas: Russisch-europäisches Roul… | |
> Die EU-Kommission betreibt ein Glücksspiel. Berlin und Paris schieben | |
> sich gegenseitig die Bälle zu. Paris setzt auf Kernenergie, Berlin auf | |
> Erdgas. | |
Bild: Wenn die geahnt hätten, dass AKWs wieder in Mode kommen – Kernkraftgeg… | |
Nachhaltigkeit ist ein dehnbarer Begriff. Besonders, wenn er für die | |
Katastrophentechnologie Atomkraft und den [1][Klimakiller Erdgas] verwendet | |
wird. So hat die EU-Kommission nun die beiden Verfahren zur | |
Energieerzeugung im Entwurf der sogenannten Taxonomie als nachhaltige | |
Investments eingestuft. Es handelt sich um einen klassischen Kompromiss | |
nationaler Egoismen, der die Gefahren brutal ignoriert. | |
Zwei Katastrophen durch AKW-Unfälle mit zahlreichen Toten hat die Welt | |
schon erlebt: 1986 in [2][Tschernobyl] und 2011 in [3][Fukushima]. Außerdem | |
schiebt die EU das ungelöste Problem des radioaktiven Mülls beiseite – eine | |
Gefahr für zehntausende Jahre. Erdgas ist eine fossile Energiequelle, die | |
den Klimawandel beschleunigt. Bei der Verbrennung in Kraftwerken wirkt das | |
Gas zwar weniger klimaschädlich als Kohle. | |
Allerdings entweichen bei Förderung und Transport große Mengen Methan, die | |
den Treibhauseffekt verstärken. Nicht so schlimm, sagt die Erdgasindustrie. | |
Diesen Daten sollte man jedoch nicht glauben. Dass Atom und Gas auf die | |
Liste gerieten, ist ein Kompromiss zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten. | |
[4][Paris setzt auf die heimische Atomindustrie]. In Berlin glaubt man eher | |
an die Putin befriedende Wirkung der russischen Gaslieferungen. Besonders | |
die SPD ist eine Erdgas-Partei. | |
Allerdings kann die EU-Kommission auf einen realpolitischen Kern ihrer | |
Entscheidung verweisen. Die Taxonomie ist kein EU-weites Programm für | |
staatliche Energiepolitik, sondern nur ein Kompass, der Investoren die | |
Richtung weist. Was die einzelnen Staaten, Konzerne und Investmentfonds | |
tun, bleibt ihnen selbst überlassen. Dass beispielsweise die letzten drei | |
deutschen AKWs in zwölf Monaten abgeschaltet werden, steht nicht zur | |
Diskussion. | |
Und tatsächlich entstehen bei der Stromerzeugung in AKWs keine | |
klimaschädlichen Emissionen. Gaskraftwerke sollen laut EU nur noch bis 2030 | |
genehmigt, ab 2035 soll die Infrastruktur für grünen Wasserstoff genutzt | |
werden. Gegen letztere Ansage spricht freilich, dass von der angeblichen | |
Zukunftstechnologie des klimaneutralen Wasserstoffs bis jetzt nichts zu | |
sehen ist. | |
Wer weiß, ob diese neue Technik in den nächsten zehn Jahren wirklich kommt | |
oder ob uns die Erdgaswirtschaft nicht noch Jahrzehnte begleitet – einfach, | |
weil sie da ist. Bei der Atomkraft will die EU-Kommission das | |
Genehmigungsende anscheinend auf 2045 legen. Heißt: Die Anlagen laufen bis | |
2080. Wenn sich bis dahin in Europa keine Atomkatastrophe ereignet, haben | |
wir echt Glück gehabt. Die EU-Kommission betreibt ein Glücksspiel. Erdgas | |
ist russisches, Atomkraft europäisches Roulette. | |
2 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Studie-zu-Oekobilanz/!5608950 | |
[2] /KGB-Dossier-zu-Tschernobyl/!5762591 | |
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[4] /Atomkraft-in-Frankreich/!5808214 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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